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Reichsbürger-Prozess: "Alle machen, was ich sage!"

In wenigen Wochen hat das Amtsgericht Dresden sieben Reichsbürger verurteilt, die eine Krankenkasse gegründet hatten. Ein Verfahren mit interessanten Erkenntnissen.

Von Alexander Schneider
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Das Amtsgericht Dresden hat inzwischen alle sieben Angeklagte aus der Reichsbürger-Szene verurteilt, die illegal eine Krankenkasse gegründet hatten.
Das Amtsgericht Dresden hat inzwischen alle sieben Angeklagte aus der Reichsbürger-Szene verurteilt, die illegal eine Krankenkasse gegründet hatten. © Symbolfoto: Patrick Seeger / dpa

Dresden. Der Shop ist noch immer online. Wer es partout nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland aushält, kann sich ganz fix Formulare für einen "Personenausweis" des Deutschen Reiches oder einen Fahrerausweis herunterladen. Die Dokumente gibt es schon für jeweils 50 Euro, ein echter Schnapper. Auf besonders Entschlossene wartet das "BRD-Ade-Paket-Deutschland" für nur 13 Euro. Dafür gibt es dann zwar nur alle notwendigen Formulare für den finalen Schnitt. Aber wer es ernst meint, der verleiht mit dieser Investition seinem Bundes-Exit die nötige Klarheit.

Erhard L., "Staatssekretär des Inneren", tritt auch gerne als „Präsidialsenat“ eines Deutschen Reichs auf, das nicht nur auf elektronischem Wege erreichbar ist, sondern auch über diverse Postfächer in der Reichshauptstadt Berlin. Den Begriff „Reichsbürger“ lehnt er ab, spricht lieber von einer anderen „Rechtsgemeinschaft“. So weit, so deutsch. Der 68-Jährige, der heute in der Nähe von Frankfurt am Main lebt, konnte in den letzten zehn, zwölf Jahren ungestraft machen, was er wollte. Doch das lag nicht an seiner etwaigen diplomatischen Immunität als Organ eines virtuellen Deutschen Reichs.

Die bundesdeutsche Justiz hat stets mit Verweis auf seinen "Jagdschein" ein Auge zugedrückt. Kurz: Seiner Durchlaucht war attestiert worden, das Unrecht seiner Handlungen nicht erkennen zu können. Mehr als 30 Strafverfahren sollen nicht abgeurteilt worden sein, weil psychiatrische Gutachter, es waren mehrere, zu der Überzeugung gelangt waren, wer so ein irres Zeug wie der Betreiber dieser Briefkastenfirma erzählt, kann nicht ganz klar im Kopf sein.

Wahnhafte Reaktionen?

Die psychiatrischen Sachverständigen können von Glück sagen, dass ihrem Patienten 1986 einmal bei der Arbeit eine Kiste auf den Kopf gefallen war. Jahrzehnte später noch diente das Malheur mit der halbstündigen Bewusstlosigkeit den Ärzten als die wohl einzig plausible Erklärung für die Ursache L.s wahnhafter Reaktionen. Die, so hatten sie diagnostiziert, sei immer dann aufgetreten, wenn ihr Patient mit seinen politischen Spinnereien konfrontiert wurde. In den eingestellten Verfahren ist an Vorwürfen alles enthalten, was Reichsbürger im Konflikt mit der Bundesrepublik so einsammeln: Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen, Betrug und dergleichen mehr.

Im September wurde L. dann aber doch am Amtsgericht Dresden verurteilt – wegen Betreibens einer illegalen Krankenkasse. Zwar war er zunächst nicht zu seinem Prozess erschienen, weil er sich der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht zugehörig empfand. Das änderte sich jedoch mit einem Sitzungshaftbefehl des Richters. L. wurde eine Woche nach dem anberaumten Prozessbeginn in Handschellen vorgeführt und gab die Vorwürfe zu. Er räumte ein, schon 2010 an die Gründung einer Krankenkasse gedacht zu haben.

Der "König" erhielt elf Monate

Ein psychiatrischer Sachverständiger prüfte erneut die früheren Begutachtungen, kam aber zu einem ganz anderen Ergebnis. Wenn L. tatsächlich unter wahnhaften Einflüssen leidet, hätte sich das auch in anderen Lebensbereichen zeigen müssen. Die früheren Gutachten seien Ergebnisse von Zirkelschlüssen. Man hatte es sich offenbar sehr einfach mit dem „Präsidialsenat“ gemacht. Erhard L. wurde daher als schuldfähig eingeschätzt und zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Die setzte das Gericht zur Bewährung aus. Als Auflage muss er darüber hinaus 2.400 Euro zahlen.

Das Gericht hat im September neben L. die Strafverfahren sechs weitere Männer und Frauen aus der Reichsbürger-Szene abgeschlossen, die 2017 an der Gründung und am Betrieb der "Deutschen Gesundheitskasse" (Degeka) beteiligt waren. L.s Komplizen, darunter auch dessen Ehefrau, waren nach Überzeugung des Gerichts jedoch mehr oder weniger Handlanger, teilweise ohne genau gewusst zu haben, worauf sie sich eingelassen hatten.

Die Verfahren, für sie ging es um Beihilfe, wurden wegen gegen Geldauflagen in Höhe von zwei Monatseinkommen eingestellt. 2017 hatte die Degeka 49 Mitglieder geworben, die Monatsbeiträge von 70 Euro und teilweise auch Zusatzangebote der "Krankenkasse" erworben hatten. Die Staatsanwaltschaft beziffert den Schaden auf mindestens 8.110 Euro.

"Meister der Manipulation"

Ein 57-Jähriger aus Hamm war der letzte Angeklagte in dieser Reihe. Er berichtete, dass er sich von Erhard L. und seinen Reichsdeutschen-Phantastereien habe einnehmen lassen. Weil seine Eltern aus Ostpreußen stammten, habe er sich für das Deutsche Reich interessiert und sei auf die Internetseiten von L. gestoßen. Er habe etwa gelesen, dass man über die Deutsche Reichsdruckerei einen Staatsbürgerausweis erhalten könne. "Das war hochprofessionell gemacht", sagte der 57-Jährige.

Bei der Google-Suche habe die Reichsdruckerei ganz oben gestanden: "Erhard L. ist ein Meister der Manipulation", sagte der Angeklagte, "man glaubt ihm, was er erzählt". Auch er habe L. abgenommen, dass das Deutsche Reich noch existiere. Er sei er später dahintergekommen, dass L. nur einen "Schein" erweckt habe.

Der Angeklagte gab zu, im Frühjahr 2017 an einem Treffen in Dresden teilgenommen zu haben. Man habe einen Verein oder gar eine Stiftung zu gründen, um Naturheilverfahren und Homöopathie zu fördern. Diese Ideen habe Erhard L. dann anders ausgelegt, um eine Krankenkasse zu gründen. Er selbst habe einige Jahre bei einer Krankenkasse gearbeitet und L. daher geraten, dass es so einfach nicht ginge und dass viel mehr Auflagen zu erfüllen seien.

Anonyme Hinweise an die Bafin

Doch L. habe das ignoriert und lediglich erwidert: "Wir sind im Reichsrecht." Nach der Meinungsverschiedenheit mit L. habe er sogar die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) angerufen und auch anonym kontaktiert, um von der Gründung der illegalen Krankenkasse zu berichten, sagte der 57-Jährige.

Der Angeklagte sagte außerdem, Erhard L. habe nur Mitglieder in der Degeka aufgenommen, die von ihm zuvor für 30 Euro einen Staatsbürgerausweis bei seiner Reichsdruckerei gekauft hätten. Außerdem habe L. ihnen die Gesundheitskarte über die Reichsdruckerei für weitere 30 Euro verkauft. "Ich sagte, das kannst du nicht machen. Eine Karte gib's immer umsonst dazu." Doch das habe L. nicht interessiert. Erhard L. habe "von oben herab wie ein König" regiert nach dem Motto: "Alle machen, was ich sage!"

Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass auch der 57-Jährige wie manche andere der Angeklagten davon ausgegangen war, einen Selbsthilfeverein zu gründen. Obwohl er einige Jahre für Versicherungen gearbeitet hatte, sei der Angeklagte nicht maßgeblich an der Gründung der illegalen Kasse beteiligt gewesen. Auch sein Verfahren stellte das Gericht gegen die Geldauflage von 600 Euro vorläufig ein.