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Soll man sich bei der Arbeit als homosexuell outen?

Wie soll man auf der Arbeit mit der eigenen Sexualität umgehen? Der Dresdner Architekt Christoph Hahn spricht über seine Erfahrungen.

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Der Dresdner Architekt Christoph Hahn rät zu einem offenen Umgang mit Homosexualität
Der Dresdner Architekt Christoph Hahn rät zu einem offenen Umgang mit Homosexualität © Tobias Ritz

Von Joachim Göres

Soll ich als Berufsanfänger im neuen Betrieb gleich sagen, dass ich schwul bin? Eine Frage, die Christoph Hahn nicht mit einem Satz beantworten kann. Der Dresdner Architekt ist mit seiner Homosexualität bei seinen Arbeitgebern immer offen umgegangen.

Inzwischen führt er als Geschäftsführer bei Hahn + Kollegen selber Gespräche mit Stellenbewerbern. "Man merkt in wenigen Minuten, ob bei einem Einstellungsgespräch ein Pflichtprogramm abgespult wird oder ob es ein wirkliches Interesse an dem Menschen gibt", sagt Hahn und fügt hinzu: "Ich würde meine sexuelle Orientierung nicht demonstrativ vor mir hertragen, aber wenn ich ein Interesse an meiner Person spüre und private Dinge thematisiert werden, dann würde ich sie auch nicht verstecken."

"Das Schwulsein wurde im Osten nicht so offen gelebt wie im Westen"

Hahn wurde 1966 in Ilmenau geboren, hat in Weimar Anfang der 90er-Jahre Architektur studiert und danach in Architekturbüros in Jena und Dresden gearbeitet. Seit vielen Jahren ist er im Völklinger Kreis aktiv, einem Zusammenschluss von schwulen Führungskräften.

Dazu zählen Unternehmer, Freiberufler, Selbstständige, Beamte, leitende Angestellte, Hochschullehrer, Berater. Bundesweit gibt es rund 20 Regionalgruppen, eine davon ist die Dresdner Gruppe mit derzeit drei Mitgliedern. "Wir treffen uns unregelmäßig in Kneipen und sprechen darüber, was uns gerade bewegt. Es gibt kein festes Thema", sagt Hahn.

In anderen Städten legen die Mitglieder Wert darauf, unter sich zu bleiben – die VK-Treffen sind ein geschützter Raum, denn nicht alle Mitglieder reden bei ihrer Arbeit über ihre sexuelle Orientierung. Hahn sieht da gewisse Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland.

"Der Völklinger Kreis wurde 1991 in Hamburg gegründet, weil es im Westen bei vielen homosexuellen Männern das Gefühl der Diskriminierung bei der Arbeit gab. Diese Benachteiligung haben wir im Osten nicht so stark empfunden. Allerdings wurde das Schwulsein bei uns auch nicht so offen gelebt wie im Westen", sagt Hahn.

Außer in Dresden bestehen im Osten noch VK-Gruppen in Erfurt, Leipzig und Berlin. Hahn betont, dass er und seine beiden Dresdner Mitstreiter aus dem Völklinger Kreis bei der Arbeit zu ihrer sexuellen Orientierung stehen. So bringt Hahn zur Weihnachtsfeier oder zu Betriebsausflügen, zu denen auch die Partner der Mitarbeiter eingeladen sind, seinen Mann mit.

"Es gibt die Tendenz, Minderheiten auszugrenzen"

Hahn weiß, dass er es durch seine Stellung möglicherweise einfacher hat als andere schwule Männer. "Als Geschäftsführer und Gesellschafter bin ich in einer privilegierten Stellung. Aber ich habe mich auch nicht anders verhalten, als ich als junger Architekt noch angestellt war", sagt er und ergänzt: "Auch die Branche spielt eine Rolle. Bei uns arbeiten 14 Menschen, Architekturbüros sind meist klein und überschaubar. Da redet man mehr über private Dinge und lernt sich besser kennen als bei großen Arbeitgebern." Nicht zuletzt als Chef ist Hahn an einer offenen Atmosphäre interessiert.

Sein Ziel: "Jeder soll gerne zur Arbeit kommen, durch Zugewandtheit und Ansprache. In unserem Büro gibt es eine hohe Verweilzeit, darauf bin ich stolz." Hahn betont das Positive: Von Auftraggebern habe er bislang nie abschätzige Kommentare wegen seiner Homosexualität gehört.

Der Christopher Street Day 2022 in Dresden.
Der Christopher Street Day 2022 in Dresden. © Sven Ellger

In der evangelischen Dresdner Kirchengemeinde, in der Hahn als gewählter Kirchenvorsteher aktiv ist, werde er geschätzt. Bei Ausflügen mit seinem Mann in Dresden und Umgebung, bei denen wir als schwules Paar identifizierbar sind, habe er in vielen Jahren nur zweimal demonstrative Ablehnung erfahren. Und doch macht er sich wegen gesellschaftlicher Entwicklungen auch Sorgen.

"Es gibt die Tendenz, Minderheiten auszugrenzen. Im politischen Bereich gibt es durch die AfD ganz offene Diskriminierungen, die früher Entrüstungsstürme ausgelöst hätten und heute hingenommen werden. Gerade deshalb hat der Völklinger Kreis nach wie vor seine Berechtigung, um Männern ein Zuhause zu geben und gemeinsam etwas gegen Diskriminierung zu tun."

Ein Doppelleben kostet Kraft

VK-Vorstandsmitglied Holger Reuschling verweist auf Studien, wonach 20 bis 60 Prozent der LGBT-Menschen bei der Arbeit ihre sexuelle Orientierung aus Angst vor Nachteilen für sich behalten. "Gerade junge und sehr gut ausgebildete Menschen, die sich im privaten Umfeld offenbart haben, scheuen das Outing beim Eintritt in den Beruf", sagt Reuschling. "Viele fühlen sich mit diesen Fragen allein und nehmen deswegen mit uns Kontakt auf. Unser Netzwerk hat nicht wenige ermutigt, sich zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen", betont Reuschling.

Er hat lange für die Commerzbank gearbeitet und erst im Alter von 43 Jahren im Büro erzählt, dass er mit einem Mann zusammenlebt. "Vorher musste ich lügen, wenn ich gefragt wurde, was ich am Wochenende gemacht habe." So ein Doppelleben kostet Kraft, sagt der selbstständige Unternehmensberater.

Betreiben große Unternehmen "pink washing"

Mittlerweile präsentieren sich viele große Unternehmen als LGBT-freundliche Arbeitgeber – die englische Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender. Speziell an diese Personengruppe wenden sich Aussteller wie Deutsche Bahn, Henkel, Bertelsmann und Allianz auf der Job- und Karrieremesse sticks & stones, die im Juni in Berlin stattfand. Standorte in Dresden haben unter anderem die Aussteller BNP Paribas Deutschland und die Offerista Group.

Auf der sticks & stones werben Konzerne damit, dass sie beispielsweise Sanktionen für diskriminierendes Verhalten am Arbeitsplatz festlegen und geschlechtsspezifische Kleidungsvorschriften ablehnen. Reuschling freut sich über diese Entwicklung einerseits, ist bei der Bewertung aber zurückhaltend: Er sieht die Gefahr des sogenannten pink washing – bei Arbeitgebern, die sich nur aus Kalkül tolerant geben, um so dringend gesuchte Fachkräfte und neue Kunden zu gewinnen.

"Heute sieht man oft homosexuelle Paare in der Werbung, das war vor fünf Jahren noch undenkbar", so Reuschling. Ob es Unternehmen wirklich ernst meinen mit ihrem Engagement gegen Diskriminierung, könne man unter anderem daran sehen, ob es ein LGBT-Netzwerk für interessierte Mitarbeiter gebe.

Dieser Beitrag wurde 2022 zum ersten Mal in der Wirtschaft in Sachsen veröffentlicht. Für eine Sonderbeilage über den Cristopher Street Day in Dresden haben wir ihn nun erneut veröffentlicht.