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Messerattacke in Dresden: "Sie haben laut geschrien"

Zeugen schildern die Messerattacke auf ein Paar in Dresden. Das Leiden des überlebenden Opfers ist längst nicht zu Ende.

Von Karin Schlottmann
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Der Angeklagte Abdullah H. wird von Polizisten in den Prozesssaal geführt.
Der Angeklagte Abdullah H. wird von Polizisten in den Prozesssaal geführt. © dpa/Sebastian Kahnert

Beim Abendspaziergang schlenderten die beiden Männer über den Neumarkt, vorbei am Museum, den Restaurants und Bars. Der Platz sei überraschend leer gewesen an dem Sonntagabend vor einem halben Jahr, schilderte Oliver L. dem Gericht.

Auf dem Weg durch die Rosmaringasse hinter dem Kulturpalast habe er plötzlich einen Schlag gegen den Rücken gespürt und im ersten Moment gedacht, ein Bekannter aus der nordrhein-westfälischen Heimat habe sie ausgerechnet in Dresden getroffen und sie mit einem kräftigen Hieb überraschen wollen. „Ich habe es erstmal nicht als feindselig empfunden“. Sekunden später gingen beide Männer mit schweren Stichverletzungen zu Boden.

Opferaussage per Video

An viele Einzelheiten der Messerattacke am Abend des 4. Oktober konnte sich Oliver L. am Freitag vor dem Oberlandesgericht Dresden nicht mehr erinnern. „Da bin ich auch froh drüber“, sagte er. Seine Zeugenaussage wurde über Video in den Gerichtssaal übertragen. Das Gericht hat mit Rücksicht auf seinen psychischen Zustand darauf verzichtet, ihn nach Dresden zu laden.

Von den Stichverletzungen sind immer noch Taubheitsgefühle im Rücken und im Knie zurückgeblieben. Seit einigen Monaten arbeite er wieder, auch, um sich abzulenken. Die Trauer um seinen getöteten Lebensgefährten habe ihn fest im Griff.

Kerzen und Blumen erinnerten am Tatort an das Verbrechen.
Kerzen und Blumen erinnerten am Tatort an das Verbrechen. ©  Sebastian Kahnert/dpa (Archiv)

Bei der Polizei hatte Oliver L. (54) gesagt, er habe am Boden liegend wie wild um sich getreten und sich gewehrt. Er war damals wohl von einem Raubüberfall ausgegangen. Der Täter habe während des Überfalls kein Wort gesagt. Sein 55-jähriger Lebensgefährte Thomas L. lag einige Meter entfernt auf dem Boden. „Ich hatte das Gefühl, er konnte sich nicht mehr bewegen.“ Er selbst hatte Atemnot und dachte: „Warum kommt denn keiner?“

Beide Männer riefen Zeugenaussagen zufolge laut um Hilfe. „Sie haben ganz fürchterlich geschrien“, sagte eine Frau, die das Geschehen von ihrem Hotelfenster aus beobachten konnte. Sie habe auch gesehen, wie der Täter die Flucht ergriff. Gäste aus den umliegenden Kneipen hatten die Polizei alarmiert, die sieben bis zehn Minuten später am Tatort war. Oliver L. erfuhr erst am nächsten Tag im Krankenhaus von dem Ärzteteam, dass sein Freund die wuchtigen Messerstiche durch Niere und Leber nicht überlebt hatte.

Zeugin reist aus Dänemark an

Eine der ersten Helferinnen am Tatort war eine polnische Touristin, die mit ihrer Freundin in einer Bar unmittelbar in der Nähe saß. Sie hatte den großen Blutfleck auf der Hose eines der Opfer gesehen und rannte spontan auf die Straße. Ohne lange nachzudenken, habe sie die Stichwunde am Bein mit bloßen Händen und aller Kraft zusammengepresst, um weiteren Blutverlust zu verhindern, schilderte die 34-Jährige das Geschehen aus ihrer Sicht. „Es tat mir leid, dass ich nur einem helfen konnte“, sagte die Zeugin, die für ihre Aussage aus Dänemark angereist war. Sie schilderte dem Gericht, wie Oliver L. sich an einem Bauzaun festhielt, noch ein paar Schritte ging, und dann zu Boden sackte.

Von der Bar aus habe sie Handbewegungen des Angreifers gesehen, die wie Messerstiche aussahen. Als sie zur Hilfe nach draußen eilte, sei der Täter bereits geflohen. Der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats sagte der Zeugin, sie habe Oliver L. wichtige Hilfe geleistet.

Der Angeklagte hatte sich das Paar mehr oder weniger zufällig als Opfer seines islamistisch geprägten Hasses ausgewählt. Wegen seiner Vorstrafe nach einem versuchten Terroranschlag hatten Polizei und Verfassungsschutz den Syrer als Gefährder eingestuft. Sicherheitskräfte observierten ihn zeitweise. Die tödliche Messerattacke beging er wenige Tage nach seiner Entlassung aus der Haft. Er muss sich wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Verletzung verantworten.

In der Untersuchungshaft räumte er in einem Gespräch mit einem Sachverständigen die Vorwürfe ein und nannte seine islamistische Überzeugung als Motiv. Homosexuelle seien Feinde Gottes, habe er gesagt.