Wilsdruffer Straße: Dresdens Parade-Meile verwaist

Dresden. Es war eine der schwersten Entscheidungen, die Susann Kless-Ehrig in ihrem Leben getroffen hat. Die Inhaberin des Uhren- und Schmuckgeschäftes "Juwel" auf der Wilsdruffer Straße 13 hat im Juli die Liquidation ihres Unternehmens beantragt.
"Ich wollte einer Insolvenz zuvorkommen", sagt die 51-Jährige. "Lieber alles ordentlich regeln und ohne Schulden herausgehen, das war schon immer meine Einstellung", sagt sie.
Seit 1. Oktober läuft bei ihr der Räumungsverkauf, sie gibt den meisten Schmuck für die Hälfte des eigentlichen Preises ab. Die Leute rennen ihr seitdem sprichwörtlich die Bude ein. "Es kommen auch viele ältere Damen, die mir erzählen, dass sie zur Eröffnung des Geschäfts 1957 oder in den Jahren danach hier die Trauringe gekauft haben.
Andere bringen Schmuckstücke mit, die sie im 'Juwel' gekauft haben. Ich merke, dass viele Dresdner Erinnerungen mit diesem Laden verbinden, das ist schön", sagt die Geschäftsführerin.
Doch sie sieht sich nicht in der Lage, das Geschäft weiterzuführen. "Im Januar dieses Jahres habe ich einen super Umsatz gemacht, im Februar so lala. Doch mit Corona kam der absolute Einbruch."
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Die staatliche Soforthilfe von 9.000 Euro hat sie über einen Zeitraum gerettet. "Dafür bin ich absolut dankbar, davon konnte ich die Miete bezahlen", sagt Kless-Ehrig. Allerdings laufen bei ihr weitere Kosten auf, wie Schmuckversicherung, Betriebskosten und die Summe für die Security Firma, die laufend zu zahlen sind.
Vom Eigentümer der Immobilie, der Litos GmbH in Pöcklig, bekam sie keine Unterstützung. "Dann habe ich alles durchgerechnet, Inventur gemacht und die Entscheidung zur Liquidation getroffen. Denn unser Teil der Wilsdruffer Straße ist regelrecht tot, das wird nicht besser. Hier kommen nur wenige Leute vorbei, weil sie so viele leere Schaufenster sehen", sagt sie.
Tristesse mit leeren Schaufensterscheiben
Tatsächlich bietet der Bereich vom Pirnaischen Platz bis zur Weißen Gasse auf der Südseite ein meist düsteres Bild. Die große Schaufensterfront der Wilsdruffer 3 steht leer, der letzte Mieter, ein Raumausstatter, hat im August Insolvenz anmelden müssen, sagt Marko Rosteck, der Sprecher des Vermieters Deutsche Wohnen.
Auf der Wilsdruffer 5 steht zwar noch der Goldene Löwe über der Tür, doch die Löwen-Apotheke ist schon einige Monate ausgezogen, zum 15. Oktober endet ihr Mietvertrag. Nebenan, auf der Wilsdruffer 7, ist der Braut- und Festmodenausstatter von Uwe Herrmann bereits im Dezember 2019 an den Wiener Platz gezogen, wie die Aufschrift an den Fenstern zeigt.
Und die Deutsche Wohnen hat weitere leere Läden in diesem Komplex. Auf der Ringstraße 7 ist der Friseur weg, ein früherer Imbiss auf der Ringstraße 3 steht leer.

Weiter geht es mit der Wilsdruffer 11, in der früher Obst und Gemüse verkauft wurde und in der es jetzt dunkel bleibt. Und auch für die einstige Ticketzentrale der Philharmonie am Eingang zur Weißen Gasse hat sich offenbar noch kein Interessent gefunden.
Dieses Schicksal teilen schon lange die Räume des früher beliebten Restaurants "Szeged" auf der Nordseite der Wilsdruffer Straße. Im Frühjahr 2015 gab dort der letzte Pächter auf, der den "Steiger Dresden" betrieb. Geschlossen sind auch die Türen des einstigen Geschäftes Cocoon auf der Wilsdruffer 10 und des Dresdener Antiquariates auf der Wilsdruffer 16.

Zukunftspläne der Vermieter
Inzwischen gibt es für einige der leerstehenden Gewerbeflächen bereits Interessenten oder zumindest Pläne der Vermieter. So soll im ehemaligen Friseur auf der Ringstraße 7 ein Geschäft aus dem Beauty-Bereich einziehen, sagt Deutsche-Wohnen-Sprecher Marko Rosteck. Dort sei man gerade in Abstimmung mit dem Denkmalschutz, weil innen umgebaut werden soll.
In der Wilsdruffer 7, dem früheren Brautmodenausstatter, sollen Büros entstehen. "Das würde auch den benachbarten Gastronomen weitere Gäste bringen", sagt Rosteck. Momentan suche man nach Interessenten, nach deren Vorstellung die Räume dann gestaltet werden könnten. Eine gastronomische Nutzung als Restaurant oder Café könnte in der Wilsdruffer 3 einziehen, wo zu DDR-Zeiten ein Sportkaufhaus logierte.

Weniger konkret wird Vonovia-Sprecher Matthias Wulff. Die Zeit mit dem Coronavirus sei nicht geeignet, um viele Interessenten für leerstehende Ladenflächen zu finden.
"Vielmehr konzentrieren wir uns darauf, mit unseren bestehenden Mietern Lösungen wie Mietstundungen zu finden", sagt er. Wulff weiß jedoch, dass die Anlieferung zu den Geschäften an der Wilsdruffer Straße immer schwierig sei. Man sei im Gespräch mit der Stadt, um das zu verbessern.
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Stadt möchte Händler unterstützen
Im Stadtplanungsamt ist die Leerstands-Situation bekannt. "Insbesondere der östliche Teil der Wilsdruffer Straße liegt etwas abseits der Hauptlauflage, die sich zwischen Neumarkt und Schloss über den Altmarkt in Richtung Hauptbahnhof erstreckt", schreibt Stadtsprecherin Anke Hoffmann auf SZ-Anfrage.
In den vergangenen Jahren habe sich stattdessen der westliche Teil der Wilsdruffer Straße, getrieben von der Entwicklung am zunehmend belebten Postplatz, gut entwickelt und so gegebenenfalls auch Passantenfrequenzen aus dem östlichen Teil abgezogen.
Obwohl die Entwicklung des Einzelhandels eine originär privatwirtschaftliche Aufgabe sei, wolle die Stadt gern unterstützen. Dies sei über das Bauplanungsrecht und eigene Investitionen möglich.
So könnten im Planungsleitbild Innenstadt Schwerpunkträume festgelegt werden, Zentrenkonzepte erstellt oder auch Geld zur attraktiveren Gestaltung öffentlicher Räume bereitgestellt werden, so Hoffmann.
Einer, dem die Kunden treu geblieben sind und der bisher auch viele Touristen in seinen Geschäftsräumen auf der Wilsdruffer 9 und 11 begrüßen konnte, ist Ralf-Peter März vom Möbelhaus Vivere.
"Wir tun natürlich auch etwas für unsere Außenwirkung", sagt er. Hinzu kommt ein umfangreiches Angebot im Dekosortiment, das viele im Schaufenster sehen und davon hineingelockt werden. "Uns haben die leerstehenden Geschäfte ringsum bisher nicht geschadet", sagt März.
Vor Susann Klett-Ehrig liegen jetzt noch arbeitsreiche Wochen. Sie hofft, noch möglichst viel Schmuck und auch Uhren verkaufen zu können. Zum Jahresende will sie das Gewerbe abmelden, auch wenn der Mietvertrag noch bis zum 31. März 2021 läuft.
Dann endet die Ära des Schmuckgeschäftes "Juwel", das es seit 1957 auf der früheren Ernst-Thälmann-Straße und heutigen Wilsdruffer Straße gibt. Damals war die Straße eine der beliebtesten Einkaufsmeilen Dresdens, auf der auch Paraden abgehalten wurden.