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30 Jahre Neustadt: Wie ein Café in Dresden durch die Jahre gekommen ist

Im Oktober 1996 übernimmt Ferenc Weidel sein erstes Neustadt-Lokal, das Café Europa. Inzwischen gehören drei Gaststätten und zwei Herbergen zum Familien-"Imperium" im Kiez. Was die Neustadt für ihn so einzigartig macht.

Von Christoph Springer
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Ferenc Weidel hat gerade das 30-jährige Jubiläum vom Café Europa gefeiert. Seit 26 Jahren betreibt er das Neustadt-Lokal und hat immer noch nicht genug.
Ferenc Weidel hat gerade das 30-jährige Jubiläum vom Café Europa gefeiert. Seit 26 Jahren betreibt er das Neustadt-Lokal und hat immer noch nicht genug. © Sven Ellger

Dresden. "Wir können Frühstück!" Davon ist Ferenc Weidel überzeugt. Den Beweis geht er täglich mehrfach an - in drei Lokalen in der Äußeren Neustadt. Das älteste davon hatte gerade seinen 30. Geburtstag. Das Café Europa gilt in Dresden als einer der ersten Läden, die in der Nachwendezeit neu entstanden sind. Seinen Ruf haben nicht nur die Rund-um-die-Uhr-Öffnungszeiten geprägt, sondern auch mancher wilde Abend - und nicht zuletzt hatte dort immer mal wieder auch die Polizei zu tun.

"Das ist ein Laden ohne Hemmschwelle", sagt Luisa Maria Eggenhofer. Sie meint, jeder ist dort willkommen - egal, ob im Frack oder in der Jogginghose, im kurzen Kleid oder der Abendrobe. Eigentlich sollte sie gar nicht mit am Tisch sitzen bei diesem Treffen, doch sie ist trotzdem dazugekommen und kann kaum an sich halten. "Wir fallen uns immer gegenseitig ins Wort", gesteht ihr Vater Ferenc Weidel eine Eigenart der Gastrofamilie, die nicht nur drei Lokale, sondern auch ein Hostel und ein Hotel betreibt.

Wie schon immer - der goldene Engel achtet seit 30 Jahren auf den Betrieb und die Gäste im Café "Europa".
Wie schon immer - der goldene Engel achtet seit 30 Jahren auf den Betrieb und die Gäste im Café "Europa". © Sven Ellger

Frühes Ende bedeutet weniger Stress

"Wir können Frühstück" bedeutet: Das ist der Schwerpunkt in den drei Neustadt-Gaststätten, dem Café Eckstein, dem Continental und dem Europa. Auch Abends geht es dort mitunter lebhaft zu - mit Ausnahme vom Continental. Das war früher ein Frühstückslokal, in dem es auch Mittagessen gab und in dem abends die Bar gefragt war.

Inzwischen schließt das Continental bereits um 18 Uhr. "Kein Stress mehr", begründet Ferenc Weidel diese Entscheidung, niemand würde jetzt mehr den Kellnerinnen die Geldbörsen oder den Mitarbeitern die Handys stehlen. Auch die Toilettensituation im Keller habe sich deutlich gebessert.

Die Entscheidung, den Laden früh am Abend zu schließen, ist einer Veränderung in der Neustadt geschuldet: Das "Conti", so heißt das Café unter Einheimischen, befindet sich direkt am sogenannten "Assi-Eck", der Kreuzung von Görlitzer, Louisen- und Rothenburger Straße. Der Betrieb, das Party-Chaos draußen vor der Tür und der damit verbundene Ärger waren der Grund für die neue Schließzeit. Als abzusehen war, dass sich gerade in der warmen Jahreszeit immer wieder hunderte Menschen dort versammeln könnten, zogen die Conti-Gastgeber die Reißleine.

Das Neustadt-Flair ist entscheidend

Nie würden sie ein Lokal in der Altstadt eröffnen, sagt Ferenc Weidel, der sich als Gastwirt in 26 Jahren Neustadt einen Namen gemacht hat. "Das ist hier bunter, ausgeflippter, das macht Spaß", beschreibt er die Neustadt. "Wir waren mal an einem Lokal in der Altstadt dran, haben dann aber abgesagt."

Es seien die vielen kleinen Geschäfte, Boutiquen und Cafés, die die Neustadt ausmachen, fällt ihm seine Tochter ins Wort. "Gut, wir haben auf der Alaunstraße vielleicht den einen oder anderen Barbershop oder asiatischen Laden zu viel", findet Weidel. Aber dennoch schätzt er das Flair des Viertels. "Ja, ich habe noch Lust", beantwortet er die Frage, ob ihm das Gastrogeschäft nach 26 Jahren Neustadt noch Spaß macht.

Beim 30-Jährigen drängten sich die Gäste im Café Europa und davor auf dem Fußweg der Königsbrücker Straße.
Beim 30-Jährigen drängten sich die Gäste im Café Europa und davor auf dem Fußweg der Königsbrücker Straße. © SZ/Christoph Springer

Heiratsantrag im "Europa"

Dabei war es einfacher als heute, als er mit dem Europa im Oktober 1996 gestartet ist. Das 24-Stunden-Café gab es damals schon vier Jahre lang, dennoch war es etwas ganz Neues, ein neuer Stil. Eine Goldgrube? "Ja", sagt Ferenc Weidel, regelmäßig war es gut besucht, besonders abends vor und nach den Öffnungszeiten der Dresdner Clubs. Luisa Maria Eggenhofer nennt als Beispiel das "Terminal 1", einen Club im alten, längst abgerissenen Flughafenterminal. "Da waren die Straßenbahnen rauszu und zurück immer voll." Und das "Europa" eine gute Adresse für den Drink davor und den Absacker danach.

"Im Europa haben sich Paare kennengelernt, es gab sogar eins, bei dem später dort auch der Heiratsantrag gemacht wurde", erzählt sie aus dem Gastroleben. Inzwischen läuft der Laden an der "Königsbrücker" gegenüber der Schauburg längst nicht mehr so wie Ende der 90er. "Die miserable Clubszene in Dresden ist ein Grund dafür, dass wir das Europa nicht mehr 24 Stunden bespielen", erklärt die Tochter von Ferenc Weidel.

Dort ist jetzt 0 Uhr Feierabend, freitags und sonnabends 1 Uhr. Dazu kommt die aktuelle Entwicklung mit hohen Energiekosten. Die Speisekarte wurde deshalb zuletzt verändert, aber Klassiker wie Würzfleisch und Krautnudeln liefert die Küche auch 26 Jahre nach der Übernahme durch Ferenc Weidel immer noch.

Mehr Konkurrenz und dennoch entspannt

Die Konkurrenz war damals nicht so groß, erklärt Luisa Maria Eggenhofer eine wesentliche Veränderung in der Neustadt. Zugleich lobt sie das Miteinander der Gastronomen. Man helfe sich gegenseitig, wenn zum Beispiel Eiswürfel oder Minze aus sind. Ihr Vater schätzt dieses Miteinander ebenso, aber er sagt auch: "Man würde nie alle an einen Tisch bekommen." Das heißt, es gibt zwar keine beinharte Konkurrenz untereinander, aber letztlich haben doch alle ihre eigenen Positionen, Vorstellungen und Interessen.

Dass zum Gastro-"Imperium" der Familie auch ein Hostel und seit Sommer 2021 das Hotel Rothenburger Hof gehören, lässt den Senior ruhiger schlafen. "Wir sind dadurch viel entspannter", sagt Ferenc Weidel. Insgesamt rund 70 Mitarbeiter beschäftigt die Gastrofamilie, Weidels Frau führt die Bücher, Tochter Luisa Maria - gelernte Hotelmanagerin - den Rothenburger Hof.

Noch ein Lokal brauchen sie eher nicht. Es sei denn, es gäbe eins mit Terrasse und großem Biergarten, sagt Ferenc Weidel. Veränderung wünschen sie sich trotzdem. Die Bunte Republik Neustadt soll es wieder geben, meinen sie, auch wenn sie an den Eckläden dabei alle Stühle wegräumen müssen. "Wir brauchen sie nicht", sagt Ferenc Weidel mit Blick aufs Geschäft, "aber als Stadtteilfest muss sie wiederkommen." Und seine Tochter fügt hinzu: "Mit mehr Kunst und weniger Kommerz."

Und sie wünschen sich weniger Autos in der Neustadt. Die Louisenstraße könnte gesperrt werden - zwischen der Alaunstraße und dem "Assi-Eck". Dann gebe es dort viel mehr Leben als bisher, meint Ferenc Weidel. Und für einen Wochenmarkt wäre dort dann auch Platz, ergänzt seine Tochter.