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Panik-Alarm im Waschhaus

Eine Frau behauptet, weil sie von ihrem Nachbarn verfolgt worden sei, habe sie zum Taschenalarm gegriffen. Zweimal. Eine angebliche Notlage war nicht zu erkennen.

Von Alexander Schneider
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© Symbolfoto: Marion Doering

Dresden. In einem schönen Wohnhaus einer Grunaer Siedlung ist der Nachbarschaftsfrieden seit Jahren gestört. Es begann mit Missverständnissen, als ein Lokführer und seine Frau dort 2018 eingezogen sind. Als die Nachbarin, die schon zehn Jahre länger dort lebt, dann aber auf dem Balkon über dem neuen Paar ihren Badezimmerteppich ausschüttelte, war das für den 61-Jährigen zu viel. Ihm habe das Butterbrötchen nicht mehr geschmeckt, zumal die Frau von oben ihren Teppich noch öfter über ihrem Frühstückstisch ausgeschüttelt habe. Spätestens da entwickelte sich ein Streit, der mit den Jahren anwuchs. Es gab Anzeigen und Gegenanzeigen – und nun einen Prozess vor dem Amtsgericht Dresden.

Die Staatsanwaltschaft warf der 57-jährigen Mieterin aus dem Obergeschoss gefährliche Körperverletzung vor. Die Frau hatte den 61-Jährigen im August 2021 im Waschraum im Keller mit einem sogenannten Taschenalarm so sehr verletzt, dass er drei Wochen arbeitsunfähig war und für gut drei Monate keine Lok fahren durfte. Im November hat sie den Mann erneut auf der Kellertreppe mit ihrem Höllengerät verletzt.

Die Angeklagte begründete ihre Aktion mit Notwehr: Sie habe sich das Alarmgerät – es heult mit mehr als 125 Dezibel und sendet Lichtblitze – angeschafft, weil der Nachbar ihr seit Jahren nachstelle. Im August 2021 habe er sich in die Tür des Waschraums gestellt, sodass sie nicht vorbeigehen konnte. Daher habe sie Alarm ausgelöst. Auch beim zweiten Mal habe er ihr den Weg versperrt.

Der Nachbar soll die Frau schon seit dem Einzug verfolgt und ihre Nähe gesucht haben. Sie behauptete weiter, dass der Nachbar sie immer wieder mit seinem Handy filmen würde. Sie habe am Familiengericht ein Kontaktverbot nach dem Gewaltschutzgesetz beantragt. Weil das aber fehlschlug, habe sie dem Nachbarn per Anwalt mitteilen lassen, dass sie keinerlei Kontakt mit ihm wünsche.

Keine Belege für Stalking-Belästigungen

Richter Arnd Fiedler sagte, man müsse ein Kontaktverbot gut begründen, mit konkreten Taten des Betroffenen. Es sei jedoch in seiner Akte nichts dergleichen dokumentiert. Auch im Prozess blieb offen, was man sich unter Nachstellungen und Belästigungen vorzustellen habe – und was der Frau überhaupt angetan worden sein soll. Selbst den Anwaltsschreiben, die der 61-Jährige erhielt, war diesbezüglich nichts zu entnehmen. Für Juristen, so Fiedler, sei das ein Hinweis auf paranoide Persönlichkeitszüge.

Der Lokführer berichtete dagegen ausführlich über die gestörte Beziehung zur Angeklagten und deren Mann: „Das ist kein Zusammenleben“, sagte er. Der Versuch, über die Hausverwaltung ein klärendes Gespräch zu führen, sei schon vor Jahren gescheitert. Und so, wie er es darstellte, könnte man auch eine gezielte Aktion dahinter vermuten. Zunächst habe der Ehemann der Angeklagten das vereinbarte Treffen abgesagt, dann sei er doch hingefahren und habe ohne die zweite Partei mit der Hausverwaltung gesprochen.

Der Eisenbahner sagte, als Schichtarbeiter sei ihm wichtig, dass Ruhezeiten eingehalten würden. Er zählte allerlei Dinge auf, die ihn störten. Herumliegende Gegenstände der Angeklagten, deren Waschmaschine auch nachts liefe, Schuhe im Treppenhaus. Während sie sich möglicherweise schnell verfolgt fühlt, ist er mehr der übertrieben Genaue.

Hausdurchsuchung bei dem Geschädigten

Der Zeuge bestritt, die Angeklagte mit seinem Handy aufgenommen zu haben. Das hatten offenbar auch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergeben. Im September 2021, wenige Tage nach dem Lärm-Angriff, hatte die Polizei nach einer Anzeige der Angeklagten die Wohnung des Eisenbahners durchsucht und beide Handys, das private Gerät und das Diensthandy, mitgenommen. Es wurden keine Hinweise gefunden, was im Umkehrschluss wieder für die mögliche Paranoia der Angeklagten spricht.

Er selbst habe jedoch bis zuletzt Probleme im Gespräch lösen wollen, sagte der Zeuge wiederholt. Auch das brachte wiederum den Richter zum Stutzen: "Sie haben doch gewusst, dass die Angeklagte nicht mit ihnen sprechen will. Das haben Sie zu akzeptieren." Wie seien Probleme denn anders zu lösen, als in einem gemeinsamen Gespräch? Die Frage des Zeugen klang irritiert, fast ungläubig. Fiedlers Antwort ist deutlich: "Man kann nicht mit jedem Menschen sprechen." Für manche sei ein Gespräch nur der Anlass für weitere Eskalationen. Solchen Menschen könne man nur aus dem Weg gehen – "oder ausziehen".

"Ich hatte Existenzangst"

Die Tat beschriebt der Geschädigte so: Im August sei er mit seiner Wäsche gegen 20.30 Uhr in den Keller gegangen. Als er die Tür zur Waschküche aufmachte, habe die Angeklagte ihn schon angeschrien. Er habe sie dort nicht erwartet, denn der Gang zur Waschküche sei dunkel gewesen, er habe Licht anmachen müssen. Die Frau habe schon geschrien, ehe er das Licht in dem Waschraum angemacht hatte. Im Licht habe er gesehen, wie sie den Arm mit dem Alarmgeber hob: "Ein stechender Schmerz durchdrang mein Ohr und meinen Kopf", sagte er, "sie schrie mich an". Er sei gegangen.

Warum die Angeklagte dort im Dunklen stand – es muss nach den Angaben des Zeugen öfter vorgekommen sein – blieb offen. Der zweite Fall lief nach den Schilderungen des 61-Jährigen ähnlich ab. Die Verletzungen seien für ihn dramatisch gewesen. Er habe monatelang gefürchtet, nie mehr eine Lok fahren zu dürfen: "Ich hatte Existenzangst." Erst im Dezember habe er bei einer Tauglichkeitsprüfung so gut gehört, dass er wieder fahren durfte. Bis heute leide er an einem Tinnitus, der durch den Angriff verursacht worden sei.

Richter Fiedler stellte das Verfahren nach einem Rechtsgespräch vorläufig ein. Die nicht vorbestraften Frau müsse jedoch eine Geldauflage von 500 Euro zahlen. In dem Haus seien zwei Charaktere aufeinandergetroffen, die nicht zueinander passten. Es war eine recht milde Entscheidung angesichts der Verletzungsfolgen. Immerhin musste die Angeklagte ihr Alarmgerät abgeben.