Müssen wir den Dresdner Neumarkt entsiegeln, Herr Grunewald?

Dresden. Temperaturen von 38 Grad im Schatten und zehn Wochen fast ohne Niederschlag: Dresden hat in diesem Sommer eine langanhaltende Dürre erlebt. Darunter litt vor allem die Bevölkerung in der Innenstadt, in der die Temperaturen bis zu drei Grad höher waren als in städtischen Randgebieten. In mehreren tropischen Nächten sanken die Werte dort nicht unter 20 Grad Celsius.
Die SZ sprach mit Dr. Karsten Grunewald, Projektleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Dresden (IÖR), ob und wie die Innenstadt umgestaltet werden müsste, damit die Menschen besser mit solchen Hitzeperioden zurechtkommen.
Schauen wir uns die großen Plätze in der Innenstadt an, die sind meist komplett gepflastert, auf ihnen wächst wenig Grün. Sollten wir sie entsiegeln und darauf Rasen und Bäume pflanzen?
So drastisch würde ich das nicht sehen, schließlich soll das Stadtzentrum kein Wald und keine Wiese werden. Pflaster ist rund um die Frauenkirche aufgrund der vielen Besucher angebracht. Aber der Neumarkt und andere steinerne Plätze sollten mit Pflanzen und Bäumen in Kübeln versehen werden. Es gibt sogar Bäume, die extra so gezüchtet werden, dass sie nur an einer Seite zur Hausfassade hochwachsen.
Apropos Fassade: In Dresden sollen Neubauten künftig zwingend begrünte Dächer und Fassaden erhalten. Reicht das, um gefällte Bäume zu ersetzen?
Ich bin ein Verfechter der grünen Stadt, jedes Grün zählt! Den Trend zur Dach- und Fassadenbegrünung gibt es weltweit und wir sollten ihn auf jeden Fall auch in Dresden fördern. Nicht nur an Neubauten, sondern auch an bestehender Bebauung. Nehmen wir das Beispiel Einfamilienhaus: Ein in Grün eingebettetes Haus vermittelt etwas von einem Idyll, das steigert auch den Immobilienwert.
Aber natürlich benötigt solch eine Begrünung auch ein Bewässerungsmanagement und dafür muss ausreichend Wasser zur Verfügung stehen. Das muss in Zisternen oder begrünten Mulden direkt vor Ort aufgefangen werden. Das hat dann doppelten Nutzen: Bei Starkregen fangen wir das Wasser auf, um es bei Trockenheit zu nutzen. Beide Ereignisse wird es künftig häufiger geben. Auch sogenanntes Grauwasser, also aufbereitetes, fäkalienfreies, gering verschmutztes Abwasser aus Bädern, Duschen oder Waschmaschinen, sollte zum Gießen verwendet werden.
Dresdens strategisches Leitbild ist die kompakte Stadt im ökologischen Netz. Das bedeutet weitere Verdichtung der Innenstadt. Geht da nicht wertvolles Grün verloren, was für Schatten und Hitzeverminderung wichtig ist?
Stadtplanung muss viele Sichtweisen beachten, nicht allein die ökologische. Und das Dresdner Leitbild ist ja nicht starr. Die kompakte Stadt ist das, was die Menschen wollen mit kurzen Wegen zu allem, was man braucht. Aber die eigentliche Herausforderung besteht im Flächenmanagement. Wir sollten keine grünen Innenhöfe bebauen, vielleicht stattdessen überlegen, wo es möglich ist, etwas an Wohnraum draufzusetzen, beispielsweise auf Discounter.
Und die Stadt muss klare Vorgaben machen für Investoren, dass eine bestimmte Anzahl an Bäumen, Sträuchern, Blumen bei Neu- oder Umbauten dazugehört. Brachen sollten nicht nur bebaut, sondern auch als Grünflächen aufgewertet werden. Und es müssen auch neue Ideen im Stadtraum aufgegriffen werden, die andere Städte schon hatten, wie große überdachte Haltestellen mit Solarpaneels, unter denen die Menschen Schatten finden und wo gleichzeitig Strom erzeugt wird, wie in Rotterdam. Es wäre auch möglich Radwege damit zu überdachen.
Wir hatten jetzt den vierten heißen Sommer, aber all diese Hinweise scheinen bei Dresdner Bauprojekten noch nicht angekommen zu sein.
Bei allen Projekten in Dresden muss das Thema Klimaanpassung eine Rolle spielen und dabei ressortübergreifend gearbeitet werden. Wenn zum Beispiel die Prager Straße eine neue Werbesatzung erhalten soll, Klimaaspekte darin aber gar nicht beachtet werden, geht das nicht. Bei allen Vorhaben muss gefragt werden, ob damit eine Verschlechterung der Klimaregulation einhergeht und welche Folgen das für die Bewohner hat. Da gehört auch das Gesundheitsamt mit an den Tisch.