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Billy Talent: „Deutschland scheint toleranter zu sein als Kanada“

Die Rocker von Billy Talent kommen Ende November mit neuem Album nach Dresden. Im Interview spricht Gitarrist Ian D’Sa auch über Rassismus und seine Deutschkenntnisse.

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Mit Peace-Zeichen und Pommesgabel statt Zeigefinger – Ian D’Sa (l.) und seine Kollegen von Billy Talent beschallen am 29. November die Messe in Dresden.
Mit Peace-Zeichen und Pommesgabel statt Zeigefinger – Ian D’Sa (l.) und seine Kollegen von Billy Talent beschallen am 29. November die Messe in Dresden. ©  PR

Die kanadische Rockband ist auch dank Leadsänger Benjamin Kowalewicz bekannt für ihre vor Energie strotzenden Live-Konzerte. Damit eroberten sie vor allem Fans in ihrer Heimat und im deutschsprachigen Raum, wo sie seit vielen Jahren auf Festivals triumphieren.

Sorgten Billy Talent in ihren Anfangstagen noch für den globalen Siegeszug des Punk-Revivals Anfang der 2000er-Jahre, orientierten sie sich später erfolgreich in Richtung Alternative Rockmusik. Sechs Jahre haben Fans auf das neue Album „Crisis of Faith“ gewartet, zu Deutsch Glaubenskrise. Die Platte kletterte etwa in Deutschland und Kanada sofort an die Spitze der Charts.

Gitarrist, Backgroundsänger und Songwriter Ian D’Sa spricht im Interview über den großen Erfolg in Deutschland, über eine neue Billy-Talent-Smartphone-App, aber auch über selbst erlebte Diskriminierung und die Frage, warum viele Menschen ihre Mitmenschen nicht leben lassen können, wie diese leben wollen.

Herr D’Sa, Ihre kompromisslos offensiven Bühnenshows sind berüchtigt. Woher nehmen Sie immer wieder diese Energie?
Ich bin ja seit 1993 bei Billy Talent dabei. Seitdem haben wir immer versucht, alles zu geben. Im Prinzip ist die Sache ganz einfach: Wir spielen jede Show so, als wäre es unsere letzte.

Haben Sie in all den Erfolgsjahren in Deutschland ein bisschen Deutsch gelernt?
„Wie geht es dir?“ Ja, ein paar Sachen kann ich auf Deutsch, zum Beispiel Essen bestellen, „mit Pommes und Ketchup“. Ich lerne aber immer noch von meinen deutschen Freunden, die mich jedes Jahr hier in Kanada besuchen kommen. Ich habe festgestellt, dass ich umso mehr lerne, wenn sie hier sind, weil sie ja die ganze Zeit mit-einander reden und ich dann nach dem Inhalt fragen muss.

„Crisis of Faith“ heißt Ihr neues Album, also Glaubenskrise. Welche Botschaft wollen Sie transportieren?
Der Titel hat keine religiöse Bedeutung, eher geht es um den Verlust des Glaubens an die Menschheit oder Menschlichkeit. Es geschehen Dinge auf der Welt, die absolut zu verhindern gewesen wären. Der Krieg in der Ukraine oder der ehemalige US-Präsident Trump. Dass man als soziales menschliches Wesen solchen Leuten oder fragwürdigen Zielen zuweilen blind folgt, das können wir nicht immer nachvollziehen, daher ist vielleicht auch der Albumtitel entstanden. Auch die anderen Lieder passen ganz gut unter diesen Gedankenschirm.

Gibt es ein markantes Beispiel dafür?
Ein Lied wie „Judged“ behandelt die Frage, warum so viele Leute das Bedürfnis haben, sich unbedingt um die Belange anderer kümmern zu müssen. Wir sagen: Lasst doch die Leute ihr Leben einfach so leben, wie sie möchten! Lasst sie doch einfach so sein, wie sie eben sind oder sein wollen.

Gibt es eventuell auch persönliche Antriebe, diese Themen auf die Agenda zu setzen?
Vielleicht auch, weil ich selbst einen Migrationshintergrund habe, eine „Person of Colour“ bin und ich Dinge erlebt habe, die mit Rassismus zu tun haben. Man muss sich das mal überlegen, wir leben im Jahr 2022 und reden immer noch über Dinge, von denen wir glaubten, sie längst hinter uns gelassen zu haben.

Ihre Eltern stammen aus Indien, aus dem Urlaubsparadies Goa. Als Kind von drei Jahren kamen Sie nach Kanada. Was haben Sie persönlich für Erfahrungen mit Rassismus gemacht?
In der Zeit, als ich aufgewachsen bin, habe ich das alles noch sehr stark erlebt. Dann gab es 20 Jahre, in denen das Problem auf seltsame Art und Weise wie verschwunden schien. Aber in den letzten sechs Jahren ist das Problem für mich wieder spürbarer geworden, also quasi seit der Trump-Ära. Seitdem erleben wir eben diese tiefe Spaltung der Gesellschaft, wie in vielen Teilen der Welt. Interessanterweise spüre ich das alles nicht, wenn ich in Deutschland bin. Ich habe sogar den Eindruck, dass Deutschland zurzeit ein weitaus toleranterer Ort zu sein scheint als Kanada.

Eine überraschende Erkenntnis. Aber zwischen Kanada und den USA gibt es sicherlich noch Unterschiede, oder?
Von Kanada hat man im Vergleich jedenfalls oft Gutes gehört. Dass es bei uns besser ist, das dachte ich eigentlich auch immer. Aber diese rechtsextreme Bewegung ist inzwischen auch bei uns angekommen. Man denke nur an die Trucker-Proteste in unserer Hauptstadt Ottawa. Und auch in den Statistiken kann man ablesen, dass es mehr Kriminalität gibt als noch vor zwei Jahren. Rechte Bewegungen gab es gefühlt in Kanada eigentlich nie, aber nun kommen sie aus dem Dickicht des Waldes hervor.

Können Krisen nicht auch eine Chance für Künstler sein und ein kreativer Musikmotor für Billy Talent?
Ja, wir fühlen da schon eine gewisse Art von Verpflichtung bei den Dingen, die wir tun. Darum war ich auch inspiriert, einen Songs wie „Judge“ oder auch „Reactor“ zu schreiben. Da kann man viele der aktuellen Themen herauslesen.

In Deutschland regieren musikalisch gesehen eher Pop, Hip-Hop und Electro. Gibt es in Kanada mehr Möglichkeiten für diese, Ihre Art von Rockmusik?
Um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, dass es in Kanada mehr Möglichkeiten gibt. In unseren Anfangszeiten haben wir ja noch von TV-Formaten wie MTV oder auch Auftritten in Late-Night-Shows profitiert. Aber was ich generell ganz interessant finde: Je schlimmer die Krisen-Ereignisse sind, wie zum Beispiel Krieg oder Pandemie, desto mehr habe ich den Eindruck, dass die Menschen eher aufbauende Wohlfühlklänge als alternative Rockmusik hören wollen.

Sie und Ihr Sänger Benjamin Kowalewicz haben einmal mit Rammstein-Gitarrist Richard Kruspe zusammengearbeitet. Wie war das und wie finden Sie generell die Musik von Rammstein?
Ja, dazu habe ich auch Background-Stimmen hier in Toronto beigesteuert. Wir haben dann in L.A. das Musikvideo gedreht, was sehr viel Spaß gemacht hat. Ich liebe Rammstein! Sie sind großartig. Ich glaube, wir haben einmal zwei Shows gemeinsam gespielt, beim Hurricane und Southside Festival vor ein paar Jahren. Und da hingen wir natürlich gemeinsam im Backstage ab und wurden Freunde.

Das könnte man von zwei weiteren Förderern wie den Beatsteaks und den Toten Hosen auch behaupten, oder?
Ja, als wir in den frühen 2000ern nach Deutschland kamen, nahmen uns die Beatsteaks mit auf Tournee. Das sind für uns bis heute die wichtigsten Tourneen überhaupt gewesen. Diese Energie der Beatsteaks, jeden Abend und diese Punkrock-Attitüde. Das werde ich nie vergessen. Wir haben sie erst dieses Jahr wieder gesehen, bei Rock am Ring und Rock im Park. Und mit den Toten Hosen haben wir gemeinsam ein paar Konzerte für den guten Zweck gespielt, für die Multiple-Sklerose-Stiftung für unseren erkrankten Schlagzeuger. Wir haben auch mal bei einem Stadion-Konzert in ihrer Heimat Düsseldorf für sie eröffnet.

Inzwischen haben Sie sogar eine eigene Billy-Talent-Smartphone-App. Wie ist die entstanden?
Wir wurden von einer Spielefirma angesprochen. Und da wir leider nie im weltbekannten Computerspiel „Guitar Hero“ vorgekommen sind, dachten wir, es sei eine gute Idee, unser eigenes „Guitar Hero“ zu haben. Unsere Freunde haben uns berichtet, dass es Spaß macht. Und gerade für jüngere Musikfans ist die App eine wunderbare Möglichkeit, „Musik“ zu machen, ohne ein Instrument zu spielen, oder als Ergänzung zum Erlernen von Instrumenten.

Auf „Crisis of Faith“ hat sich der Sound im Vergleich zu den früheren Alben ziemlich verändert. Billy Talent mit Saxofon und Synthesizern?
Bei der Arbeit an der neuen Platte stellte sich heraus, dass einige Songs nach dem Einsatz anderer Sounds und Instrumente geradezu riefen. Ich denke aber, dass es auf Dauer nur eine Episode bleiben wird. Es macht aber Spaß, Dinge interessant zuhalten, neue Sachen auszuprobieren. Das Grundgerüst bleibt natürlich Bass, Schlagzeug und Gitarre. Es kommt eben immer auf den Song an. Wenn man schon so lange dabei ist, möchte man sich nicht immerlimitieren. Andererseits ist das Festhalten an der Einfachheit ebenso wichtig.

Wie setzen Sie das live um? Billy Talent mit Orchester ist kaum vorstellbar.
Das Saxofon-Solo spiele ich selbst auf der Gitarre. Auf diese Art versuche ich, das für die meisten Dinge umzusetzen. Für andere Instrumente, wenn das nicht geht, haben wir ein paar Backing-Tracks vorbereitet, zum Beispiel für Klavier-Stellen.

Das Interview führte Tom Vörös.

Billy Talent spielen am 29.11. in der Dresdner Messe. Karten gibt es hier.