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Darum ist Dresdens neue "Butterfly" kein Missbrauchsopfer

Kann man die tragische Oper von Puccini noch so inszenieren, wie sie einst komponiert wurde? Man kann, wenn man die Liebe der Kinderfrau ernst nimmt.

Von Bernd Klempnow
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Die Braut wird zum Bräutigam geführt: Kristine Opolais gestaltet in der Semperoper die Cio-Cio-San, die "Butterfly" genannt wird. Premiere ist diesen Mittwoch.
Die Braut wird zum Bräutigam geführt: Kristine Opolais gestaltet in der Semperoper die Cio-Cio-San, die "Butterfly" genannt wird. Premiere ist diesen Mittwoch. © Ludwig Olah

Ob Shakespeare, Verdi, Mozart oder Tschaikowski – diesen Künstlern vertrauen viele Theaterleute nicht mehr. Weil heute andere moralische und ethische Grundsätze als zur Zeit der Entstehung der Werke gelten, werden Stücke angepasst und verändert. Othello darf nicht mehr schwarz sein, obwohl in Text und Gesang vom Mohren die Rede ist. Der chinesische Tanz im "Nussknacker" darf keine asiatischen Klischees bedienen, obwohl genau das dem Zeitgeist der Tschaikowski-Ära entspricht. Die weißen Schwäne im "Schwanensee" bilden nicht die heutige Multikulti-Gesellschaft ab. Mozarts "Zauberflöte" ist rassistisch und frauenfeindlich. Und in Puccinis "Madame Butterfly" sehen Experten den Missbrauch einer 15-Jährigen.

Puccini hat MeToo nicht komponiert

Das ist alles richtig und doch falsch. Wenn etwa Othello zu einem hellhäutigen Mann oder Europäer gemacht wird, mag das für manchen interessant und richtig sein, Verdi aber hat das nicht komponiert. Sich dem verdi-shakespeareschen musikdramatischen Fluss hinzugeben, kann nicht gelingen – ständig wird eine ganz andere, im Zweifel konträre Geschichte reflektiert.

Auch die Semperoper hat mit ihren letzten beiden "Othello"-Deutungen derart Schiffbruch erlitten. Dies sollte bei der nun anstehenden "Butterfly"-Premiere nicht passieren. "Unsere Wahrnehmungen ändern sich bei allen Klassikern", sagt Chefdramaturg Casimir Eule, deshalb sei es gut, sich mit den historischen Hintergründen der "Butterfly" und der Figurenkonstellation auseinanderzusetzen. Schon zur Uraufführung 1904 habe der große Altersunterschied der 15-jährigen Japanerin und des erwachsenen Amerikaners Pinkerton das Publikum schockiert. In Deutschland spielte man das Werk lange so, dass die Japanerin älter gemacht wurde. Trotzdem: "Der Rassismus und die Abschätzigkeit des Amerikaners gegenüber der japanischen Kultur und der Frau sind nicht zu leugnen." War also Puccini ein Rassist und Frauenfeind?

Schicksalhafte Liebe, wie sie es nur einmal im Leben gibt

Der japanische Regisseur der neuen Semperoper-"Butterfly", Amon Miyamoto, glaubt das nicht. Er würde auch keinen Missbrauch erkennen, sondern die schicksalhafte Begegnung zweier Menschen, wie "man sie nur einmal in seinem Leben hat. Zumindest ist das die Geschichte, die mir die hochemotionale Musik erzählt."

Die Lösung für das Dilemma ist verblüffend: Der Regisseur ergänzt das Libretto um eine Vorgeschichte, ohne das Stück zu beschädigen. Die Vorgeschichte ermöglicht, vieles in anderem Licht zu sehen: Pinkerton gibt auf dem Sterbebett seinem Sohn einen Brief, in dem "die Geschichte zwischen mir und deiner Mutter" – der Butterfly – erzählt wird. Ab diesem Punkt erlebt der Zuschauer das Geschehen retrospektiv, bekommt neuen Zugang zu den Figuren.

Eine überirdische Liebe Im Tode vereint: Butterfly und Pinkerton im Schlussbild der Semperoper-Inszenierung.
Eine überirdische Liebe Im Tode vereint: Butterfly und Pinkerton im Schlussbild der Semperoper-Inszenierung. © Ludwig Olah

Regisseur Amon Miyamoto: "Pinkerton hat noch nie so eine Frau getroffen. Cio-Cio-San ist anders als alle anderen. Und so kommt es, dass er sie, obwohl daheim seine Kate wartet, unbedingt heiraten möchte. Es ist ihnen egal, was die anderen über sie denken, für sie zählt nur der Moment. Dieses unüberlegte Handeln besiegelt die Tragödie, die ihnen daraufhin widerfahren wird."

Vielleicht sollten die Skeptiker nicht nur mehr auf die Musik, sondern auf den Text achten, gibt Chefdramaturg Eule zu bedenken: Die Butterfly sei kein dümmliches Sex-Püppchen, sondern eine junge Frau, die mit unglaublicher Energie an ihrer Liebe festhalte. Ja, sie singe "bin 15 und bin schon alt", sie war aus der Sicht der damaligen Zeit heiratsfähig.

Selbst in Butterflys Suizid sieht Casimir Eule "keine tödliche Verzweiflung". Es sei ihr letzter Schritt als in Japan Ausgestoßene, um ihrem Kind in den USA eine Zukunft zu geben, wenn sie singt: "Für dich stirbt Butterfly! Dass übers Meer du kannst ins andre Land ziehn". Sie nehme sich die Freiheit, so Eule, zu sterben. Was die Regie zu einem visionären Schlussbild einer überirdischen Liebe inspiriert.

"Madame Butterfly" in der Semperoper am 6., 8., 14. und 18. April sowie im Mai und Juni; Kartentel. 0351 4911705