Feuilleton
Merken

Darum ist Berlins Staatsoper zu klein für Christian Thielemann

Daniel Barenboim legt nun sein Amt als Chef der Lindenoper nieder. Dresdens Chefdirigent Christian Thielemann gilt als Nachfolger. Um Himmels willen!

Von Bernd Klempnow
 4 Min.
Teilen
Folgen
„Ich schaue mal, was sich ergibt“, sagt Christian Thielemann. Noch bis 2024 ist er Chef in Dresden, dann ...
„Ich schaue mal, was sich ergibt“, sagt Christian Thielemann. Noch bis 2024 ist er Chef in Dresden, dann ... © dpa

Sie können es nicht lassen. Führende Kritiker loben seit Monaten immer wieder Christian Thielemann über den Klee. Und wenn der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle demnächst Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ in der Semperoper musiziert, dürfte es auch so sein. Noch nie waren Kritikerplätze in der Dresdner Oper bei der Tetralogie so begehrt wie derzeit, obwohl Thielemann die Werke hier schon mehrfach mit seinem Orchester interpretiert hatte. Und stets ganz hervorragend!

Der Grund für die Hymnen ist simpel und durchaus berechtigt: Der 63-Jährige war seit vergangenem Sommer mehrfach in der Berliner Staatsoper für erkrankte Dirigenten eingesprungen. So rettete er am Pult der Berliner Staatskapelle die Premiere vom „Ring“, den sich Generalmusikdirektor Daniel Barenboim zum eigenen 80. schenken wollte. Barenboim selbst hatte Thielemann zum Einspringen überredet.

Geht nach Jahrzehnten als Generalmusikdirektor der Lindenoper in den Ruhestand: Daniel Barenboim.
Geht nach Jahrzehnten als Generalmusikdirektor der Lindenoper in den Ruhestand: Daniel Barenboim. © dpa

Die szenische Produktion geriet zum Flop, die musikalische Leistung erschien manchen Kennern als „so noch nie erlebt“. Mag sein. Aber wo waren die so jubelnden Damen und Herren, als der Kapellmeister in Bayreuth und Dresden den sächsischen Komponisten gespielt hatte? Sei es drum!

Nun wird es interessant. Barenboims Vertrag als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden läuft eigentlich noch bis Sommer 2027. Doch unlängst kündigte der „General“ an, wegen seines besorgniserregenden Gesundheitszustandes sein Amt Ende Januar niederzulegen. Damit steht das Traditionshaus, das er gut drei Jahrzehnte geprägt und zu Erfolgen geführt hat, vor einem Problem. Da in der Klassik die Top-Leute auf Jahre im Voraus verplant sind, dürfte so schnell kein Nachfolger zu finden sein. Außer Thielemann – so rechnet man sich das in Berlin schön. Dessen Vertrag in Dresden läuft im Sommer 2024 aus. Und bis dahin könnte er ja ...

Thielemanns Kalender ist bereits bis 2028 voll

Egal, wie oft der Umworbene betont, dergleichen „momentan nicht in Erwägung zu ziehen“ und seine Verpflichtungen in Dresden erfüllen zu wollen oder auf seinen vollen Kalender mit „bereits Planungen bis 2028“ verweist. Egal, ob selbst der Intendant der Lindenoper betont, dass Thielemann sich wohl gerade an die Freiheiten eines künftig nicht fest an ein Haus gebundenen Dirigenten gewöhnt. Thielemann-Zitate wie „die Zusammenarbeit mit der Berliner Staatskapelle ist einfach formidabel, wir haben uns sofort verstanden, das Pianissimo ist berückend, das präzise, dunkle Spiel gefällt mir unglaublich gut“ nähren offenbar Hoffnungen.

Verstehen kann man das ja, denn der in Potsdam lebende Dirigent, der die drei wichtigsten unter den vielen Berliner Orchestern kennt, ist ein exzellenter Interpret des großen deutschen romantischen Fachs und gilt als der Meister des Klangmalers Richard Strauss. Doch der natürliche Nachfolger von Daniel Barenboim ist er damit überhaupt nicht. Im Gegenteil!

Die Musik von Wagner zieht in ihren Bann - der Bildhauer Arno Breker zeigt das an der Büste von Richard Wagner mit «steinerner Miene». Die Büste steht vor dem Festspielhaus in Bayreuth.
Die Musik von Wagner zieht in ihren Bann - der Bildhauer Arno Breker zeigt das an der Büste von Richard Wagner mit «steinerner Miene». Die Büste steht vor dem Festspielhaus in Bayreuth. © dpa Deutsche Presse Agentur

Mit dieser Reputation ist er an der Lindenoper der völlig falsche Mann. Denn das Theater ist ungeeignet für eben jenes Repertoire, welches Thielemann so begnadet beherrscht. Das Opernhaus, im Auftrag Friedrichs des Großen im Stil des Friderizianischen Rokoko errichtet und nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg in etwa in diesen Proportionen und dieser Optik wiedererrichtet, ist für die Musik von Wagner und Co. zu klein. Besser geeignet ist es für das barocke Repertoire, Mozart, Belcanto und klein besetzte Moderne.

Von Barenboim mitinitiierte Veränderungen des Raumes, der Einsatz von ausgleichender Technik änderten daran nichts. Die deutlich größer und moderner gebaute Deutsche Oper von 1961 ist viel besser für solche Musik geeignet und gibt diese auch regelmäßig. Dennoch setzte der Maestro der Lindenoper ununterbrochen Wagner an und brachte das Haus an akustische Grenzen. Entsprechende Spielplan-Dubletten sorgen schon lange für Verwunderung.

Mit Thielemann jedenfalls dürfte die Lindenoper ein ungeeigneter Wagner-Tempel bleiben. Das weiß er auch und plant schon: 2024 macht er den „Ring“ erstmals in Mailand – und auch den Dresdner findet er „immer noch gut funktionierend“.

Thielemanns letzter "Ring" in Dresden & mehr

  • Zwanzig Jahre nach Fertigstellung der Dresdner „Ring“-Inszenierung kehrt ab 27. Januar Wagners Drama auf die Bühne der Semperoper zurück. Die musikalische Leitung der beiden Vorstellungszyklen bis 10. Februar hat letztmalig Christian Thielemann.
  • Hochkarätig sind die Sänger wie Christa Mayer, Waltraud Meier, Andreas Schager und Georg Zeppenfeld. Alle Abende sind überbucht, Restkarten können an den Vorstellungstagen an der Kasse erfragt werden.
  • Es gibt Begleitveranstaltungen wie die „Von Helden und Schlachtjungfern“ in der Reihe „Aktenzeichen“ des Historischen Archivs der Staatstheater. Die Reihe „Wagner.Kino.Oper“ des Programmkinos Ost beleuchtet Leben und Werk des Künstlers etwa mit Fritz Langs „Die Nibelungen!“ (1924) und Luchino Viscontis „Ludwig II.“ (1973).