Feuilleton
Merken

Dresdens Stadtmuseum widmet sich dem Hellerau-Architekten

Heinrich Tessenow ist der Architekt des Festspielhauses Hellerau in Dresden. Das Stadtmuseum zeigt, wie der Reformer auch gegen Stilmix und Wildwuchs kämpfte.

Von Birgit Grimm
 4 Min.
Teilen
Folgen
Das Festspielhaus Hellerau um 1912. Der Bau der damaligen "Bildungsanstalt für rhythmische Gymnastik" war Tessenows erster Großauftrag als Architekt.
Das Festspielhaus Hellerau um 1912. Der Bau der damaligen "Bildungsanstalt für rhythmische Gymnastik" war Tessenows erster Großauftrag als Architekt. © Landesamt für Denkmalpflege Sac

Der Papierkorb dürfte eine unbekannte Schöpfung des Architekten Heinrich Tessenow sein. Im Stadtmuseum Dresden kann man ihn bestaunen, und in einem Video erzählt eine Dame, Ehefrau eines Schülers von Heinrich Tessenow, wie sie diesen Papierkorb lieben lernte, den der Architekt um 1930 entworfen hatte. Aus Weidenruten geflochten, steht er auf drei Beinen, hat oben einen Griffrand, an dem man ihn gut tragen und entleeren kann. Er sieht gut aus, also unterm Schreibtisch verstecken muss man diesen Korb auch nicht.

Heinrich Tessenow als Lehrer. Seine Schüler nannten den gelernten Zimmermann auch den "heiligen Schreiner".
Heinrich Tessenow als Lehrer. Seine Schüler nannten den gelernten Zimmermann auch den "heiligen Schreiner". © Stadtmuseum Dresden

Die Ausstellung über Leben und Werk des Reformarchitekten Heinrich Tessenow im Dresdner Stadtmuseum zeigt nicht nur seine Zeichnungen, Modelle und Fotografien seiner Bauten, sondern auch seine Möbel. Tessenow kam am 7. April 1876 in Rostock zur Welt. Sein Vater war Zimmermann, und in dessen Betrieb ging er in die Lehre. Einer der Hobel des „heiligen Schreiners“ hat seit 1895 überlebt und steht gleich am Anfang der Ausstellung unter einem Porträt des Architekten, der sich eher autodidaktisch bildete denn akademisch konsequent: Gasthörer hier, Assistent dort, Denker immer und überall.

Tessenow entwarf auch Möbel, hier sein Papierkorb.
Tessenow entwarf auch Möbel, hier sein Papierkorb. © © Copyright 2022 Museen der Sta

Handwerkliches für Handwerker

Zuerst trat Tessenow mit Zeichnungen an die Öffentlichkeit, von denen die Ausstellung einige zeigt. Schon in diesen Blättern spielt das einfache Wohnen für einfache Leute eine große Rolle: Handwerkliches für Handwerker und Arbeiter. Provozierend schlicht sind seine kleinen Häuser, und die Siedlungen in Hellerau und in Pößneck sind ohne aufwendigen Schnickschnack, aber gut proportioniert. Doch auch sein erstes Großprojekt, das 1910/11 als Bildungsanstalt für rhythmische Gymnastik errichtete Festspielhaus Hellerau mit den Wohngebäuden für Lehrer und Schüler, fällt nicht durch überladene Dekorationen auf. „Das Einfache ist nicht immer das Beste, aber das Beste ist immer einfach“, lautete einer von Tessenows Kernsätzen. Aufgeschrieben hat er ihn in seinem Buch „Hausbau und dergleichen“ von 1916.Übrigens entwarf er 1925 in einem Ideenwettbewerb ein Hochhaus für Dresden, das nie gebaut wurde. Und für sich und seine Familie baute er in seinem Leben vier Wohnhäuser: Neubauten waren es jeweils 1911 in Dresden-Hellerau und 1930 in Berlin-Zehlendorf. Vorhandenes gestaltete er er 1918 und 1928 in Neubrandenburg um und 1943 in Siemitz.

Historische Postkarte von 1911: Hellerau, Am Grünen Zipfel
Historische Postkarte von 1911: Hellerau, Am Grünen Zipfel © Wikimedia
Die Neue Wache in Berlin wurde 1931 von Tessenow umgebaut.
Die Neue Wache in Berlin wurde 1931 von Tessenow umgebaut. © Stadtmuseum Dresden

Doch zurück nach Dresden: Hier arbeitete Tessenow als Assistent an der Technischen Hochschule und als freiberuflicher Architekt beim Aufbau der Gartenstadt Hellerau. Außer an den hübschen, kleinen Siedlungs- und Reihenhäuschen war er an Villen für den Mitbegründer des Deutschen Werkbundes, den Architekten Hermann Muthesius, und für den Jugendstilkünstler, Architekten und Designer Richard Riemerschmid beteiligt. Wie geschickt er seine Bauten in die Landschaft einbettete, davon zeugt in Hellerau die Landesschule, die aus einer Offiziersschule hervorging, nach dem 1. Weltkrieg zivilem Unterricht diente und 1925 um einen Internatsneubau erweitert wurde. Wald drumherum, ein gartenähnlicher Hof mittendrin, eine Pergola, viel Licht und Grün sowie Platz zum Sporttreiben und für den Gemüseanbau. Heute ist auf dem Gelände eine Ausbildungsstätte für Versicherungsvertreter untergebracht.

In den Schweizer Alpen setzte Heinrich Tessenow ein Haus in die Berge, das nicht quadratisch, praktisch, schlicht daherkommt. Es hat einen unregelmäßigen Grundriss, und sein Dach passt sich in der Form ganz wunderbar die gewaltige Berglandschaft ein.

Zu Hause eher unaufgeräumt

Der zweite Teil der Sonderschau ist der Reformbewegung am Beginn des 20. Jahrhunderts, Tessenows Ausstellungsgestaltungen, seiner Lehrtätigkeit und seinen Möbeln gewidmet. Für Furore sorgte er mit der schlichten Architektur, die er für die Internationale Kunstausstellung 1926 in Dresden entwickelte. Das Publikum staunte nicht schlecht über die mit Stoff bespannten Wände und einen begrünten Innenhof.

Auch Tessenows Möbel sind schlicht und solide, wie die gute Stube in der Schau beweist, die 2019 zum Bauhausjubiläum in Pößneck nachgebaut und eingerichtet worden war. Man mag es kaum glauben, aber Tessenow selbst richtete sich wohl eher unaufgeräumt ein: „Ich stelle gern alles durcheinander“, sagte er.

Ausstellung "Heinrich Tessenow. Architektur und Möbel" Bis 29. Mai im Stadtmuseum Dresden, Eingang Landhausstraße. Geöffnet Di – So, Feiertage 10 – 18 Uhr, Fr 10 – 19 Uhr.

Während der Laufzeit erhalten Sie bei Vorlage des Ausstellungstickets ermäßigten Eintritt für eine Veranstaltung im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau. Ausgenommen sind Sonderveranstaltungen und Veranstaltungen der Dresden Frankfurt Dance Company.