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Der Maler der Idylle

Jochen Fiedler wohnt und arbeitet in der Sächsischen Schweiz. Schloss Burgk in Freital widmet ihm eine große Werkschau.

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Nicht ohne Strohhut: Jochen Fiedler ist auf den Gamrig bei Rathen gestiegen und malt den Blick ins Elbtal.
Nicht ohne Strohhut: Jochen Fiedler ist auf den Gamrig bei Rathen gestiegen und malt den Blick ins Elbtal. © Holger Heuber

Von Thomas Morgenroth

Jochen Fiedler steht auf einer sonnigen Wiese bei Bad Schandau in der Sächsischen Schweiz, auf dem Kopf einen Strohhut, vor sich die Staffelei mit einer Leinwand. Mit Pastellkreide wächst darauf in drei Stunden eine steile Felswand des Elbsandsteingebirges. Die Szene könnte einem Gemälde von Carl Spitzweg entstammen. Aber es ist alles echt, es ist Fiedlers alltägliche Arbeitssituation. Selbst der Hut, sagt Fiedler, sei keine Marotte, sondern ein wesentliches Kleidungsstück, um blendfrei gegen das Licht schauen zu können.

Solange es die Witterung zulässt, steht er in der Landschaft, die er sich von Cunnersdorf bei Hohnstein aus mit dem Fahrrad erschließt. "Aus dem Auto heraus finde ich keine Motive", sagt er. Jochen Fiedler, der im Juli 60 wird, wirkt durchtrainiert. In jungen Jahren bezwang er auf den Spuren der Tour de France den Mount Ventoux. Heute hält er sich mit morgendlichen Spaziergängen und Gartenarbeit fit. Zehntausend Schritte will er jeden Tag gehen, meistens schafft er mehr. Zehn vor sieben klingelt der Wecker, um neun sitzt er mit seiner Frau Runhild beim Frühstück. Dann packt er sein Rad für die Arbeit, neuerdings auch mal ein elektrisches. Seine Utensilien transportiert er mit einer Kraxe auf dem Rücken. Das begrenzt die Formate.

Auf den Spuren der Impressionisten

Größer wird er drinnen, im Winter, wenn er nach den Pastellen und Aquarellen Ölbilder malt. Oder Porträts. Neuerdings auf einem "Wunderwerk": einer drehbaren zweiseitigen Staffelei, die fast vier Meter in die Höhe ragt. Sie stammt aus dem Nachlass des Freitaler Künstleranatomen Gottfried Bammes, der Fiedler in den Achtzigern an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden unterrichtete. "Er sagte mir, ich sei sein schlechtester Schüler gewesen, aber der beste Diplomand – aus anatomischer Sicht."

Fiedler diplomierte 1988 bei Johannes Heisig. Eines der von Bammes gelobten Gemälde, ein Familienbild mit ihm, seiner Frau und damals drei Kindern in Lebensgröße, steht im Hausflur. Bei Gerhard Kettner war er Meisterschüler, aber nur ein halbes Jahr, weil Kettner krank wurde. Seit 1989 ist Fiedler freischaffend, zog in die Sächsische Schweiz. Von 1992 bis 2010 fuhr er mit Sebastian Glockmann nach Südfrankreich, auf den Spuren von Monet, Cezanne und van Gogh. Viele Jahre zeichnete und malte Fiedler in der Dresdner Philharmonie, in der Tradition Robert Sterls, der einst die Staatskapelle porträtierte. "Die Impressionisten sind in meinem Hinterkopf", sagt er. Auch Theodor Rosenhauer, in dessen Atelier Fiedler und Glockmann kurzzeitig arbeiteten.

Jochen Fiedler, "Felsen am Basteimassiv" (Ausschnitt), Pastell, 2009
Jochen Fiedler, "Felsen am Basteimassiv" (Ausschnitt), Pastell, 2009 © freier Fotograf

Der Kirschbaum als malerische Herausforderung

Mit der Wende kamen Unsicherheiten. "Manche meinten, ich müsse jetzt abstrakter werden, um auf dem Kunstmarkt bestehen zu können", sagt Fiedler. Aber er ließ sich nicht beirren. Er fuhr in den Westen und stellte fest, dass er keineswegs aus der Mode ist. Und malte weiter Landschaften und Porträts. "Die Idee für ein Bild ist immer abstrakt", sagt er. "Aber der Gegenstand darf bleiben, ich füge eine zusätzliche Ebene dazu, ich will das Zeitlose in der Landschaft sehen." Fiedler, der nie nach Fotos malt, lässt weg und überhöht, greift die Licht- und Schattenverhältnisse eines halben Tages auf.

Mitunter scheitert er, wie an dem Kirschbaum im Garten, unter dem Runhild Fiedler Tee und Kuchen serviert. Dreimal hat er ihn gemalt, mit Blüten, buntem Laub und mit Schnee. Aber jetzt, im Sommer, wenn die reifen Früchte im üppigen Blattwerk kaum auszumachen sind, ist es für Fiedler eine besondere Herausforderung. Zu wenig kontrastiert das Rot mit dem Grün. "Ich habe für diese Jahreszeit noch keine richtige Farbidee", sagt er und lacht. Im Schatten des Baumes lässt es sich gut aushalten. Die Sonne bescheint das 122 Jahre alte Haus, das auf der Rückseite ein ungewöhnlich großes dreieckiges Fenster im Dachgeschoss hat. Es lässt viel Licht in das neue Atelier des Künstlers. 1998 sind Fiedlers mit ihren fünf Jungs von Dresden aufs Land gezogen, in ein Ausgedingehaus, das normalerweise einfach und schlicht ist. Anders in Cunnersdorf: Die Hofbesitzer bauten sich für ihren Lebensabend eine großzügige Villa. Fortan hatte die Familie Fiedler viel Platz, aber auch viel Arbeit. Sie sanierte behutsam. Die Gründerzeit-Elemente blieben erhalten, wurden restauriert und ergänzt, Türen, Fenster, Fußböden und auch die herrlichen Öfen. Jochen Fiedler richtete sich im Erdgeschoss Arbeitsräume ein. Mit den Lichtverhältnissen aber haderte er. Nachmittags kam die Sonne schräg von vorn, vier doppelte Leuchtstofflampen unter der Decke vor dem Fenster sollten das kompensieren. Es blieb ein Kompromiss und trieb ihn in die Landschaft.

Mit etwas Glück trifft man ihn beim Malen

"Feldblumen am Wendischauweg" malte Jochen Fiedler 2020, hier ein Ausschnitt.
"Feldblumen am Wendischauweg" malte Jochen Fiedler 2020, hier ein Ausschnitt. © Jochen Fiedler

Fiedler behielt deshalb bis 2018 sein nach Norden ausgerichtetes Atelier auf dem Weißen Hirsch in Dresden, auch, weil er meinte, seine Kunstfreunde und Sammler würden den Weg in die Provinz scheuen. "Sie kommen jetzt auch hierher", sagt Jochen Fiedler und gibt zu, dass er Angst hatte, Dresden zu verlassen.

Er konnte es kaum erwarten, bis aus den einstigen Abstellräumen sein neues Atelier wurde. Schon im Winter 2015, als es noch keine Heizung gab, stand er dick eingemummelt unter dem Dach an der Staffelei. Dazu passt ein Zitat von Herbert von Karajan, das Fiedler an die Wand gepinnt hat: "Jede künstlerische Leistung ist ein Sieg über die menschliche Trägheit." Daneben hängt ein Foto vom August 1984, das ihn mit Runhild zeigt. "Es war unsere Verlobungsanzeige", sagt Fiedler.

Jochen Fiedler erinnert sich mit einem Lächeln an seine erste Begegnung mit seiner Frau, beim Zeichnen war das. Er schaut sinnend aus dem gläsernen Dreieck in die Landschaft und scheint mit sich und der Welt im Reinen zu sein. "Wir wohnen schon idyllisch", sagt er.

Mit "Idylle" ist auch seine große Ausstellung auf Schloss Burgk überschrieben, eine Werkschau über einen Zeitraum von 40 Jahren. Dresdner und Radebeuler Stadtansichten hängen neben Bauernhäusern, Landschaften der Sächsischen Schweiz und Bildern mit Motiven aus seinem Garten.

Jochen Fiedler: "Herbst im Uttewalder Grund" (Ausschnitt), gemalt 2021.
Jochen Fiedler: "Herbst im Uttewalder Grund" (Ausschnitt), gemalt 2021. © Jochen Fiedler

Einer seiner Lieblingsplätze ist der Liebens Berg mit seinem einzelnen Baum am Dorfausgang von Cunnersdorf. Gut möglich, dass Jochen Fiedler im Herbst dort auf dem Stoppelfeld seine Staffelei aufstellt und die Landschaft malt. Wieder einmal und wieder anders und dennoch unverkennbar. Wie der Maler, der, einen Strohhut auf den halblangen Haaren, die Idylle mit Kreide auf Leinwand oder Papier holt. Jochen Fiedler ist unverwechselbar. Wer Glück hat, wird ihm bei der Arbeit zusehen dürfen.

Bis 3. Juli auf Schloss Burgk in Freital, Di – Fr 12 – 16 Uhr, Sa./So. 10 – 17 Uhr, am 2. Juli im Rahmen der Dresdner Museumsnacht 18 – 24 Uhr.