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Dresdens Philharmonie begeistert mit russischer Romantik

Gastdirigent Urbanski und Tastenzauberer Giltburg inspirierten zu Konzerten der Spitzenklasse.

Von Jens-Uwe Sommerschuh
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Dirigent Krzysztof Urbanski und Pianist Boris Giltburg boten mit der Dresdner Philharmonie ein Rachmaninow-Konzert der Spitzenklasse.
Dirigent Krzysztof Urbanski und Pianist Boris Giltburg boten mit der Dresdner Philharmonie ein Rachmaninow-Konzert der Spitzenklasse. © Oliver Killig

So ein faszinierender Konzertabend! Am Sonntag ließen die Dresdner Philharmonie und Solist Boris Giltburg im vollen Kulturpalast die Herzen höher und höher schlagen. Der zauberhafte Klangraum ist ein Schatz, und Dirigent Krzysztof Urbanski, der schon oft hier war und immer besser wird, brachte mit dem grandios aufgelegten Orchester die Juwelen in aufregender Weise zum Funkeln.

Rachmaninow und Tschaikowski auf höchstem Niveau

Rachmaninow und Tschaikowski, das ist Spätromantik auf höchstem Niveau. Die beiden Russen wussten Leidenschaft und kompositorische Finesse wahrlich wirkungsvoll zu verschneiden. Bei Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 3 in d-Moll von 1909 lauern zwei Gefahren: ein Zuviel an orchestraler Pathetik und ein Zusehr an solistischer Show. Nichts davon hier. Boris Giltburg ist dem hiesigen Konzertvolk dank starker Auftritte bei den Musikfestspielen oder dem Moritzburg-Festival als Vollblutpianist fern aller Eitelkeiten bekannt. Am Sonntag verlor er sich weder in der fingerbrecherischen Solokadenz im Kopfsatz noch in den triumphalen Passagen des Finales in demonstrativer Tasten–tigerartistik. Seine technische Brillanz, die ihn weltweit in die Schar der führenden Rachmaninow-Interpreten rückt, ist nie Selbstzweck. Sie dient dem Geist der Musik und korrespondiert auf Augenhöhe mit der Klangrede des Orchesters.

Im zentralen Adagio, das zunächst vom Gesang der Holzbläser und Hörner lebt, bis die Streicher feinste Seide auswehen lassen, brachte sich Giltburg höchst sensibel ein, ließ das Melos fließen, entlockte der kreisenden Schwermut dank sprühender Spiellaune einen Regenbogen. Hinreißend die folgende schnellere fis-Moll-Passage, ein Strudel, in der mäßige Schwimmer ertrinken würden. Als das Konzert dem lichten Ausklang in strahlendem D-Dur zustrebte, blieb Giltburgs Spiel schlank und transparent. Die vitalen instrumentalen Zärtlichkeiten des nun unter Urbanskis eleganter Leitung fast tanzenden Orchesters nahm er mit einem Lächeln. Tosender Applaus und stehende Ovationen waren der Dank für überragende Solokunst und exzellentes Miteinander. Als Zugabe erklang Kreislers „Liebesleid“, das in Rachmaninows Klavierversion ein Hohelied der Traurigkeit ist, wenn es so einfühlsam wie hier gespielt wird.

Flöte, Oboe & Co. schweben überm Orchester

Wie gut der 40-jährige Urbanski die Qualitäten der Philharmonie abzurufen versteht, zeigte sich dann auch bei Tschaikowskis Sinfonie Nr. 4 von 1878, in der die Sehnsucht nach dem Glück immer wieder im Nebel widriger Umstände zu ersticken droht. Die Musik durchlebt ein Wechselbad von Stimmungen. Wenn ausgangs des in f-Moll beginnenden Kopfsatzes die Hoffnung, die in As-Dur aufleuchtet, vom Schicksal mit dunklem gis-Moll-Tuch zugedeckt wird, kippt nicht nur der komplette Tonvorrat. Empfindsamen Seelen stockt hier der Atem, und das Herz schlägt wild. Im Andantino, einem der berührendsten Sätze der Musikgeschichte, war es Urbanski wichtig, der Zartheit der Empfindung genügend Licht und Raum zu geben, Flöte, Oboe, Klarinette und Fagott scheinbar überm Orchester schweben zu lassen. Mit dem kraftvollen Finale schloss sich der Bogen einer überzeugenden Interpretation, die Vehemenz und Eleganz, Verletzlichkeit und Behauptungswille zu verbinden wusste. Das Publikum jubelte hingerissen.