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Dresdner Synagoge: Jubiläum in schwieriger Zeit

Seit 2001 hat die Jüdische Gemeinde zu Dresden eine neue Heimstatt an historischem Ort. Am Dienstag feierte sie Jubiläum - nicht ohne Sorge.

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"Sichtbarer Ort jüdischen Glaubens": die Dresdner Synagoge.
"Sichtbarer Ort jüdischen Glaubens": die Dresdner Synagoge. © Tino Plunert

Zwei Jahrzehnte nach ihrer Weihe ist die Neue Synagoge in Dresden als Heimstatt der Jüdischen Gemeinde und Begegnungsort etabliert. Sie ist zum sichtbaren „Ort jüdischen Glaubens“ geworden, sagt Landesrabbiner Zolt Balla. Er sieht in ihr ein religiöses Domizil einer lebendigen Gemeinde. Gestern, am 9. November, feierte sie Jubiläum - wegen der pandemischen Lage nur in einem kleinen Kreis geladener Gäste.

„Die Neue Synagoge steht nach 20 Jahren als Symbol dafür, wie ein neues Miteinander wachsen kann", so Oberbürgermeister Dirk Hilbert. "Gleichzeitig hält sie die Erinnerung an das lebendig, was wir am 9. November 1938 und in der Zeit des Nationalsozialismus verloren haben: Nicht nur den Bau von Gottfried Semper, sondern einen wichtigen Teil unserer Stadtgesellschaft, unserer eigenen Identität." Beide Facetten prägten Dresden und beide Facetten müssten das künftige Handeln der Gesellschaft leiten.

Der gestrige Dienstag war der Tag, an dem sich auch die Pogromnacht von 1938 jährte. Damals zerstörten die Nazis mehr als 1.000 Synagogen und Gebetshäuser sowie 7.500 Läden jüdischer Bürger - der Auftakt zur systematischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung.

"Ein Schub, auch nach außen“: Die Dresdner Synagoge im Abendlicht.
"Ein Schub, auch nach außen“: Die Dresdner Synagoge im Abendlicht. © Christian Juppe

Heute macht Rechtsextremismus vielen wieder große Sorge. Hass gegen Minderheiten und Antisemitismus treffen auch die Jüdischen Gemeinden in Dresden und Sachsen. Die Sorge sei groß, sagt Landesrabbiner Balla. Viele Juden in Sachsen hätten Angst. Die Frage sei, wie eine Gesellschaft mit Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Radikalisierung umgehe. „Die versprochene physische Sicherheit nach dem Attentat von Halle ist bis jetzt nicht in den Gemeinden angekommen, nach zwei Jahren“, so der Rabbiner.

Michael Hurshell, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Dresden sagte anlässlich des Jahrestages der Synagogenweihe: „Eine neue Synagoge in Sachsen, in den östlichen Bundesländern fast 60 Jahre nach der Shoah – für dieses Wunder waren und sind wir heute noch dankbar.“ Der Anschlag von Halle, die Feindseligkeiten gegenüber Juden im Zusammenhang mit den Angriffen gegen Israel im Mai dieses Jahres und wachsender Antisemitismus zeigten aber auch, dass jüdisches Leben in Deutschland verletzlich ist und bleibt.

Nicht erst seit dem Anschlag von Halle im Oktober 2019 wird der moderne Dresdner Gebäudekomplex aus Tempel und Gemeindehaus von der Polizei geschützt. Im November 2019 flogen zwei Eier gegen die Fassade. Anfang 2020 sprühten Unbekannte ein „M“ an die Mauer. In beiden Fällen konnten die Täter bisher nicht ermittelt werden.

Die Neue Synagoge war auf den Tag genau 63 Jahre nach Zerstörung des Vorgängerbaus von Gottfried Semper an historischer Stelle geweiht worden. Die Kosten von elf Millionen Euro wurden von der Stadt Dresden und dem Land Sachsen sowie aus Spenden getragen. Medizin-Nobelpreisträger Günter Blobel, der auch den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche unterstützte, gab 100.000 Euro dazu.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ist froh über das neue Leben in der Synagoge: „Es freut mich, dass hier wieder Gebete, Begegnungen und Austausch möglich sind. Dass die jüdischen Gemeinden bei uns wieder heimisch geworden sind und ein aktives Gemeindeleben entfalten, ist ein großes Glück.“

Vor allem mit dem Zuzug von Juden aus der früheren Sowjetunion nach 1990 ist die Dresdner Gemeinde am Hasenberg inzwischen auf 700 bis 800 Mitglieder gewachsen. Alle drei Gemeinden in der Landeshauptstadt zählen zusammen mehr als 1.000 Mitglieder. Aber die Zuwanderung sei fast versiegt, sagt die Vorsitzende des Landesverbandes jüdischer Gemeinden, Nora Goldenbogen. Der Nachzug von Angehörigen sei wegen der Hürden hinsichtlich Sprache und sozialer Perspektive schwieriger geworden.

Halle-Attentat als Einschnitt

Goldenbogen zufolge kommen nun verstärkt Juden aus Israel und anderen Ländern „der Arbeit wegen“ nach Sachsen, die in Forschung und Wissenschaft tätig sind. Doch der Altersdurchschnitt sei durch den Weggang junger Leute hoch. „Etwa die Hälfte unserer Mitglieder ist über 60 und 65 Jahre alt.“ Deren Betreuung sei eine Herausforderung.

Dennoch: Die Neue Synagoge habe der Gemeinde „einen Schub gegeben, auch nach außen“, sagt Goldenbogen. Davon zeugten mehr als 150.000 Gäste bei Führungen, Veranstaltungen für Schüler, Foren und Konzerten, plus etwa 100.000 unangemeldete Besucher. „Das ist durch die Corona-Pandemie ins Stocken geraten.“ Die eigentliche Zäsur aber sei Halle gewesen, so auch die Landesvorsitzende. Das Attentat habe klargemacht, „dass mit terroristischen Anschlägen zu rechnen ist“. Das Klima sei aggressiver geworden und rechtsextreme Äußerungen seien inzwischen „normaler“. Antisemitismus im Alltag reiche bis in die Schulen, Pegida schüre Unfrieden sowie eine fremdenfeindliche und rassistische Stimmung.

Gebraucht werde mehr Sensibilität für Antisemitismus von Schule bis Polizei und Justiz und auch in der Bevölkerung insgesamt. „Da ist noch viel zu tun.“ (SZ/dpa)