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Ein neues Buch vereint politische Artikel von Erich Kästner

Er warnte vorm Doppelselbstmord von Russen und Amerikanern. Und nannte Deutsche so "vergesslich wie Stubenfliegen".

Von Karin Großmann
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Mehr als ein Kinderbuchonkel: Erich Kästner (1899 – 1974) schrieb schon als junger Autor über Tagespolitik und protestierte im Alter gegen Aufrüstung und Atomwaffen.
Mehr als ein Kinderbuchonkel: Erich Kästner (1899 – 1974) schrieb schon als junger Autor über Tagespolitik und protestierte im Alter gegen Aufrüstung und Atomwaffen. © Sygma

Kästner glänzte in vielen literarischen und journalistischen Gattungen. Man könnte sie in einem Strauß zusammenfassen. Wie sähe der aus? Wie ein Gebinde aus Gänseblümchen, Orchideen, sauren Gurken, Schwertlilien, Makkaroni, Schnürsenkeln und Bleistiften. So beschreibt es der Autor selbst. Sein Biograf Sven Hanuschek pflückt sich aus dem geschmackvollen Bukett etwas heraus: rund vierzig politische Reden und Artikel. Einige stehen bereits in der Werkausgabe. Andere erschienen bislang nur einmal in Zeitungen. Fünf Reden werden erstmals gedruckt.

Die Auswahl zeigt Erich Kästner als kämpferischen Demokraten und politischen Journalisten. Seine Texte liefern Stichworte für heutige Debatten: über Zivilcourage und Intoleranz, über die Freiheit der Kunst und den Staat als Gouvernante, über Krieg und Diktatur. Noch bevor Kurt Tucholsky Soldaten als Mörder bezeichnete, nannte Kästner sie in einem Artikel „uniformierte Mörder“. Er forderte schwerste Strafen für sinnloses „Heldentum“.

Bei ihm selbst findet sich die griffige Formulierung von der „chronischen Aktualität“. So kann das Buch ein Auftakt sein für den 125. Geburtstag des Dresdner Literaten im nächsten Jahr. Die hiesigen Bibliotheken, das Kästner-Museum am Albertplatz und andere Institutionen verbünden sich für das Fest. Das Buch spannt einen zeitlichen Bogen von 1924 bis 1970, vier Jahre vor Kästners Tod. Dazwischen klafft eine Lücke. Sie umfasst die zwölf braunen Jahre.

Der Autor, der schon als Student in Leipzig tagesjournalistisch arbeitete und in der Weimarer Republik ein Dutzend Zeitungen belieferte, durfte nach dem Machtantritt der Nazis keine politischen Artikel mehr veröffentlichen. Die Literarische Welt druckte am 17. März 1933 noch seine Antwort auf eine Umfrage zum Tag des Buches. Dann war Schluss. Er suchte sich harmlose Spielwiesen und fand sie in Unterhaltungsromanen, Boulevardkomödien, Filmdrehbüchern.

Im Unterschied zu vielen anderen Künstlern blieb Erich Kästner in Nazideutschland. Er nannte es seine Pflicht und Schuldigkeit. Er habe den großen Roman aus dem Inneren des „Dritten Reiches“ schreiben wollen, so die Begründung. Auch die geliebte Mutter in Dresden dürfte eine Rolle gespielt haben bei der Entscheidung. Und in einer Rede von 1968 heißt es: „Niemand kann die Mutfrage beantworten, bevor die Zumutung an ihn herantritt.“

Heimlich die Faust geballt

Politische Reden hielt Kästner erst nach 1945. Er ging sogar auf die Straße gegen atomare Bewaffnung und Vietnamkrieg. Als überzeugter Pazifist warnte er: Je mehr die Menschen mit Gewalt erreichen, desto mehr Gewalt wenden sie an. „Raubtiere pflegen sich nicht plötzlich auf Spinat umzustellen.“ Wenn Washington meine, Kriege ließen sich durch Aufrüstung verhindern, sei das ein Irrtum. Amerika und Russland würden in einem Doppelselbstmord enden.

So schrieb Erich Kästner vor mehr als einem halben Jahrhundert. Das Gefühl der Vergeblichkeit war ihm vertraut. Schon 1929 hatte er seine Zeitgenossen aufgefordert, die Erfahrung von Erstem Weltkrieg und Inflation an die Kinder und Enkel weiterzugeben. Doch viele würden sich dieser Aufgabe entziehen, weil „wir wie die Stubenfliegen vergesslich sind“. Wie zur Selbstermutigung streute er in seine Reden und Artikel wiederholt die Maxime ein, die dem Buch den Titel gibt: „Resignation ist kein Gesichtspunkt.“

Herausgeber Sven Hanuschek nahm auch den berühmten Text über die Bücherverbrennung auf. Kästner erinnert sich, wie er in Berlin dabeistand, als seine eigenen Werke ins Feuer flogen, und fragt sich im Nachhinein: Warum hat er nicht aufgeschrien und nur die Faust in der Tasche geballt? Es sei zu spät gewesen, so seine Antwort, er hätte sich zum Märtyrer gemacht. Wehret den Anfängen heißt die Botschaft, die er vor allem der jungen Generation vermitteln will.

„Bildet euch ein Urteil! Nehmt beizeiten Einfluss! Verjüngt beizeiten die Mannschaften!“ Voraussetzung sei freilich ein Bildungssystem, das nicht die Interessen der Obrigkeit vertritt und das allen Kindern die gleichen Chancen einräumt. Wer an die Zukunft seiner Kinder denke, sollte deshalb nicht die CSU wählen, sondern die SPD, schrieb er 1970 in einem Aufruf. Der Bayernkurier beschimpfte ihn daraufhin als senil und fett. Der Tagesspiegel konterte: Aus dem Rechtslager habe Kästner der Wind schon immer entgegengeblasen.

Mit Witz, Freundlichkeit und Ironie wehrte der Autor die Angriffe ab. Doch das Leben unter dem NS-Regime hat ihn verändert, heißt es im Nachwort. Die übermütige Leichtigkeit kam ihm abhanden. Dass er sich ausgerechnet im Bericht über den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess darum bemühte, wirkt mehr als peinlich. Aber auch das gehört zum Bild, das dieses Buch mit aufschlussreichen Kommentaren liefert.

Erich Kästner: Resignation ist kein Gesichtspunkt. Atrium Verlag, 238 Seiten, 23 Euro