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Wie es ist, ausgegrenzt zu werden: Frauen erzählen davon im Theater

Am Staatsschauspiel Dresden hat eine bemerkenswerte Sicht auf den Bestseller „Die Wand“ Premiere.

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„Die Wand“ – ist ein Bewegungschorprojekt der Bürgerbühne mit Frauen nach Marlen Haushofer gleichnamigen Roman. Sehr zu empfehlen!
„Die Wand“ – ist ein Bewegungschorprojekt der Bürgerbühne mit Frauen nach Marlen Haushofer gleichnamigen Roman. Sehr zu empfehlen! © Sebastian Hoppe

Von Gabriele Pinkert

Was, wenn man auf unerklärliche Weise von jetzt auf gleich in eine andere Welt katapultiert wird und sich plötzlich in einem Vakuum wiederfindet, ohne Austauschmöglichkeit mit anderen? Das „kainkollektiv“ nutzt in der aktuellen Produktion „Die Wand“ am Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels geschickt den metaphorischen Boden, den die Romanvorlage von Marlen Haushofer hergibt, um geschriebene Fiktion und aktuelles Geschehen miteinander zu verweben.

Im Gegensatz zum Buch kämpft hier nicht nur eine Mittvierzigerin, die in der einsamen Bergwelt durch eine unsichtbare Wand von der Zivilisation abgetrennt ist, ums Überleben und sucht nach Erklärung. Hier stehen, rücken, rutschen, singen, leiden gleich elf Protagonistinnen, jede mit eigener Stimme. Auf Hochdeutsch, Sächsisch, Schwäbisch, mit britischem, slawischem, arabischem Akzent kämpfen sie gegen die Wand an. Die Rothaarige, die Kurzhaarige, die Blonde, die Ältere, die Jüngere, die mit den Locken, die ohne.

"Die Wand" in Dresden: Ein riesiger Befreiungsschlag

Sie alle sitzen in einer Reihe, stehen als Mauer, bauen sich zu einem Haufen, bilden Brücken, tragen einander und erzählen eine und dann ihre eigene Geschichte. Die von dem verstorbenen Kind und der Mutter, die den Verlust nie überwinden und ihren Schmerz mit niemandem teilen konnte. Die von der geschäftstüchtigen Bankerin, die Mann und Villa verlor und mit zwei kleinen Kindern in ungewohnter Umgebung dem Neustart ausgesetzt war. Die von der jungen Iranerin, die unter dem aktuellen Regime um ihr Leben fürchten und deshalb fliehen musste. Die von der Tochter, die nur geboren wurde, um eine längst zerrüttete Ehe zu retten, und weil das nicht funktionierte, ständigen Schuldvorwürfen ausgesetzt war.

Die Premiere am Freitag war für einige der Darstellerinnen offenbar ein riesiger Befreiungsschlag: Sie berichteten von ihrer persönlichen Einsamkeit, in aller Öffentlichkeit, vor fremdem Publikum. Das Regieteam (Mirjam Schmuck, Fabian Lettow und Catherine Jodoin) hatte unter der Dresdner Bevölkerung nach Darstellern gesucht und mit ihnen anhand der Vorlage und persönlich Erlebtem diese Bühnenfassung entwickelt. Cartoons und Videoeinspielungen beleben den Monolog, Choreografien lassen spannende Anordnungen entstehen, um in einem Moment alle Darstellerinnen zu einer verschmelzen zu lassen, die fragt: Wie wäre es, wenn wir alle im Einklang miteinander, mit uns und allem anderen wären? Die Antwort liefert eine aus sich umschlingenden Körpern wachsende Skulptur gleich einem Lebensbaum mit wunderschöner Blüte.

Was aber, wenn es gar nicht um die Darsteller gehe und man selbst als Hauptdarsteller des eigenen Lebens genau diese eine Frage zulasse: „Hast du dich schon einmal komplett einsam gefühlt?“ Zum Finale durchbrechen die Protagonistinnen nicht nur allesamt die (transparente Lein-)Wand, sondern auch die unsichtbare Trennung zum Publikum, quetschen sich in die Reihen, stellen sich Auge in Auge vor die Gäste und fragen. Trauen sich aber auch, anzuklagen: „Weißt du, wie es ist, wenn du ständig auf deine Hautfarbe angesprochen wirst, weil sie anders ist?“, „… wenn du fremd in einer anderen Kultur bist?“, „… wie es ist, wenn alles, was du machst, hinterfragt und in Zweifel gestellt wird?“

Wieder: 30. Mai und 12. Juni; Kartentel. 0351 4913555