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Grünes-Gewölbe-Prozess: Schwierige Suche nach Beweisen

Nach der Sommerpause geht der Prozess um den Diamantendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe in Dresden in die heiße Phase. Immer mehr Angeklagte wollen nicht daran beteiligt gewesen sein.

Von Alexander Schneider
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Tagelang suchte die Polizei Ende November 2019 vor dem Grünen Gewölbe Dresden Spuren. Noch heute ist die Einbruchstelle ein Anziehungspunkt für Schaulustige.
Tagelang suchte die Polizei Ende November 2019 vor dem Grünen Gewölbe Dresden Spuren. Noch heute ist die Einbruchstelle ein Anziehungspunkt für Schaulustige. © Archivbild: Ronald Bonß

Noch immer bleiben Touristen vor dem Zaun stehen, um kurz den Tatort am Dresdner Schloss zu besichtigen. Ein Vater zeigt auf das Erdgeschossfenster, sagt etwas zu Frau und Sohn. Alle drei blicken auf das Gitter, das sich am unteren Rand auch heute noch provisorisch geflickt zur Schau stellt. Ein kleiner Nervenkitzel, dann bummelt das Trio weiter Richtung Zwinger.

Im November 2019 haben sich zwei Männer im Schutz der Dunkelheit durch das aufgetrennte Gitter gezwängt, während ihre Komplizen Schmiere standen. Minuten später flüchteten alle mit mehr als 4.000 Diamanten und Juwelen, wertvollsten Garnituren aus der Schatzkammer August des Starken. Der Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe hält seitdem Sachsen in Atem.

Die Täter hatten offensichtlich einen lange ausgeklügelten Plan umgesetzt: Sie legten einen Brand, um die Straßenbeleuchtung auszuschalten. Sie brachen in das Museum ein, hatten das eiserne Fenstergitter jedoch schon Tage zuvor durchtrennt. Sie flüchteten zunächst in eine Dresdner Tiefgarage, wo sie ihr Auto in Brand setzten. Damit wollten sie ihre Spuren verwischen, verursachten auch dort einen Millionenschaden.

Blamables Sicherheitskonzept

Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und das Sächsische Immobilien und Baumanagement (SIB) wurden bis bis auf die Knochen blamiert. Ihr aufwendiges „Sicherheitskonzept“ entpuppte sich als völlig überholt. Und wo steckt der millionenschwere Schmuck? Niemand weiß es.

Während über die Spur der Steine mangels konkreter Hinweise nur wild spekuliert werden kann, sieht es bei der Frage nach den mutmaßlichen Tätern anders aus. Seit Januar dieses Jahres verhandelt das Landgericht Dresden gegen sechs Angeklagte im Alter von 23 bis 28 Jahren, alle Angehörige des sogenannten Remmo-Clans aus Berlin. Zahlreiche Mitglieder dieser arabischstämmigen Großfamilie sind bereits mit ähnlich spektakulären Einbrüchen und Überfällen aufgefallen. Wissam und Ahmed Remmo etwa, die zu den sechs Angeklagten gehören, verbüßen derzeit Jugendstrafen von jeweils viereinhalb Jahren für den Diebstahl einer Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum.

Verhüllter Westflügel: Nach dem Überfall wurde das Sicherheitskonzept überarbeitet.
Verhüllter Westflügel: Nach dem Überfall wurde das Sicherheitskonzept überarbeitet. © dpa/Robert Michael

Trotz des frühen Verdachts, dass auch hinter dem Dresdner Schmuckdiebstahl „Remmos“ stecken könnten, dauerte es fast ein Jahr, ehe die Sonderkommission „Epaulette“ die ersten Verdächtigen verhaftete. Den Angeklagten wird neben dem Einbruchdiebstahl auch schwere Brandstiftung vorgeworfen. In dem Prozess vor der Jugendkammer – zwei Brüder waren zur Tatzeit Heranwachsende – geht es nun darum, ihnen die Taten nachzuweisen.

Das wird nicht einfach sein. Klare Beweise gibt es nicht, es ist noch nicht einmal klar, wie viele Täter beteiligt waren, geschweige denn, wer konkret was gemacht hat. Von Tag zu Tag erleben die Zuschauer der Verhandlung jedoch, was Polizei und Staatsanwaltschaft alles unternommen haben, um die Täter zu stellen. Sie werteten Tausende Autobewegungen allein auf der Autobahn 13 Berlin–Dresden aus, verfolgten die Herkunft der Tatfahrzeuge, eines Audi A6 und eines Mercedes E 500, über Jahre zurück.

In dem 750 PS-Mercedes, mit dem die Täter als Dresdner Taxi „verkleidet“ und nach Berlin gerast sein sollen, fanden Spurentechniker DNA-Spuren mehrerer Angeklagter und feinste Splitter, die „chemisch identisch“ mit dem Sicherheitsglas der eingeschlagenen Museumsvitrine sind. Die Ermittler zogen sogar den Überfall auf eine Berliner Bank Anfang November 2019 an sich, weil auch dort DNA-Spuren eines Angeklagten gefunden wurden.

Gutachter zerpflücken Hunde-Resultate

Manche Maßnahme schlug krachend fehl. So teilte das Gericht etwa mit, „Hundespuren“ nicht zu beachten. Eineinhalb Jahre nach der Tat sollten sogenannte Mantrailer-Hunde die Anwesenheit Verdächtiger an Tatorten belegen. Zwei Gutachter zerpflückten die Resultate des tierischen Einsatzes als nicht haltbar.

Während drei Angeklagte noch immer schweigen, behaupten die anderen drei, nicht an dem Einbruch mitgewirkt zu haben. Auch das ist eine echte Überraschung dieser Hauptverhandlung. „Normalerweise“ machen Angehörige dieses Clans nie Angaben. Ende März hatte der älteste Angeklagte erklärt, er habe von dem Plan gewusst, sei auch in Dresden gewesen, um sich den späteren Tatort anzusehen.

Doch als er und drei weitere Familienmitglieder in der Nacht vor der Tat schon auf dem Weg nach Dresden in eine zufällige Polizeikontrolle gerieten, habe er es sich anders überlegt. Belege für die Behauptung gibt es bislang nicht. Doch es ist kurios, dass ihm das erst nach eineinhalb Jahren in Haft einfiel. Es könnte eine Schutzbehauptung sein. Doch der 28-Jährige gab damit zu, dass es Einbruchpläne der Remmos gab.

Am Tatort an der Kötzschenbroder Straße in Dresden kam ein Mantrailer-Hund zum Einsatz.
Am Tatort an der Kötzschenbroder Straße in Dresden kam ein Mantrailer-Hund zum Einsatz. © Tino Plunert

Zuletzt behauptete auch ein 23-Jähriger, einer der Zwillingsbrüder, wegen dieser Kontrolle in Charlottenburg nicht mit nach Dresden gekommen zu sein. Der dritte Angeklagte, Ahmed, scheint tatsächlich ein Alibi zu haben. Die Polizei ermittelte erst während des bereits laufenden Prozesses, dass der 24-Jährige bis gegen 3 Uhr in der Notaufnahme einer Klinik in Berlin-Neukölln gewesen sei. Sein Verteidiger beantragte daher am letzten Verhandlungstag vor der Sommerpause, das Verfahren abzutrennen und Ahmed freizusprechen.

Ob das wirklich passiert, ist nicht wahrscheinlich. Die Staatsanwaltschaft widersprach diesem Antrag. Aus Sicht des Gerichts dürfte eine Abtrennung zu aufwendig sein, denn der Prozess geht bereits in die letzte Phase. Es sind nur noch wenige Zeugen geplant, die Kammer will sich bereits mit den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten befassen. Dennoch rechnen Beobachter nicht mit einem Urteil vor Ende Oktober wie zunächst geplant. Das Gericht hat vorsichtshalber zusätzliche Sitzungstage bis Ende 2022 angesetzt.