Grünes Gewölbe: Mehrjährige Haftstrafen für Juwelendiebstahl in Dresden
Am Dienstag ist das lang erwartete Urteil im Prozess um den Einbruch ins Grüne Gewölbe in Dresden gefallen. Fünf Mitglieder des Remmo-Clans müssen ins Gefängnis, ein weiterer Angeklagter wurde freigesprochen.
Dresden. Dreieinhalb Jahre nach dem spektakulären Juwelendiebstahl aus dem Historischen Grünen Gewölbe in Dresden sind fünf junge Männer aus dem Berliner Remmo-Clan zu Freiheitsstrafen verurteilt worden.
Das Dresdner Landgericht sprach sie am Dienstag der besonders schweren Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls mit Waffen, Sachbeschädigung und vorsätzlicher Brandstiftung schuldig. Das Strafmaß fußt auf einem "Deal". Ein sechster Angeklagter wurde bei der Urteilsverkündung am Dienstag freigesprochen. Ahmed Remmo (25) hat ein Alibi.
Die höchsten Strafen im Prozess wurden gegen Wissam R. (26) und Rabieh R. (29) verhängt. Sie sollen sechs Jahre und drei Monate beziehungsweise sechs Jahre und zwei Monate ins Gefängnis. Bashir Remmo (27) muss fünf Jahre und zehn Monate hinter Gitter.
Einer der Zwillingsbrüder, Mohamed, bekam vier Jahre und vier Monate Jugendstrafe. Die Richter sehen zudem den anderen Zwilling, Abdul, als Mittäter. Der 24-Jährige erhielt fünf Jahre Jugendstrafe - unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung.
Remmo-Clan muss Schadensersatz zahlen
Die vier Beschuldigten müssen für die Beschädigungen am Schloss und der Vitrine aufkommen. Über die Höhe des Schadensersatzes wollte das Gericht nicht entscheiden, da die Größenordnung der verlangten Summe den Prozess unnötig in die Länge gezogen hätte. Der Freistaat muss diese Forderung in einem Zivilprozess durchsetzen.
Drei der Angeklagten werden nach der Urteilsverkündung aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Gericht setzte die Haftbefehle gegen sie gegen Meldeauflagen außer Vollzug. Ihre Haftstrafe werden sie nach Rechtskraft des Urteils zu einem späteren Zeitpunkt in Berlin verbüßen müssen. Zwei Angeklagte bleiben im Gefängnis, weil sie wegen des Diebstahls im Berliner Bode-Museum in Strafhaft sitzen. Der dritte ist Abdul Majed - eine kleine Überraschung.
Der 24-Jährige ist nach Überzeugung der Kammer "ein Mittäter", also einer der sechs Täter, die den Einbruch am 25. November 2019 begangen hatten. Abdul Majed selbst hatte lediglich eine Beihilfe eingeräumt und ausgesagt, er habe nur Werkzeuge, darunter Äxte, aus Baumärkten gestohlen. Daher habe er auch nicht in den Deal – Geständnis gegen Strafmilderung – einwilligen können.
Ziegel begründete die Entscheidung gegen den Angeklagten mit der "Gesamtschau der Indizien". Der 24-Jährige sei mit Bashir und Rabieh Remmo in dem VW Golf gewesen, der in Berlin von der Polizei kontrolliert und kurz observiert worden war - nur sechs Stunden vor dem Einbruch in Dresden. Die Angaben Abdul Majeds passten nicht zusammen. Weiter habe er im Gefängnis gegenüber einem Mitgefangenen Dinge berichtet, die nur er selbst habe wissen können.
Der Angeklagte war sichtlich schockiert, rang um Fassung. Das Gericht sah bei ihm Fluchtgefahr, man habe auch kein Geständnis strafmildernd berücksichtigen können, sagte Ziegel. Zudem war der 24-Jährige bei einer geplanten Festnahme im November 2020 für ein halbes Jahr – "im Schutz familiärer Strukturen", wie es Ziegel nannte – untergetaucht, ist vorbestraft und hat ein Drogenproblem.
Die Entlassung aus der U-Haft gehört zum Deal. Den Verteidigern war das wichtig. Zum Antritt ihrer Reststrafe können die drei Angeklagten nun darauf hoffen, in Berlin schneller oder gar sofort als "Freigänger" zu laufen. Sie könnten tagsüber arbeiten und müssten nur nachts ins Gefängnis einrücken, erklärten die Anwälte.
Der Vorsitzende Richter Andreas Ziegel sagte, Einbruchsdiebstähle seien für eine Große Strafkammer eigentlich nichts Besonderes. Der Diebstahl im Historischen Grünen Gewölbe unterscheide sich aber in vielerlei Hinsicht erheblich von anderen Straftaten. Es sei eine bis zum 25. November 2019 von vielen für unmöglich gehaltene Tat gewesen. Das Grüne Gewölbe sei eine der ältesten Schatzkammern, die ihre Ausstellungsstücke in der Vergangenheit häufig an ausländische Museen verliehen habe.
Nicht nur die Versicherungssumme in Höhe von mindestens 116 Millionen Euro sei für viele Normalbürger unvorstellbar. Die Juwelen hätten auch einen zweifelsfrei überragenden kultur- und kunsthistorischen Wert für den Freistaat Sachsen und für jeden Kunstfreund. Selbst der frühere US-Präsident Barack Obama habe sich während seines Dresden-Besuchs mit Angela Merkel dort getroffen, sagte Ziegel.
Richter verteidigt "Deal"
Ziegel lobte den hervorragenden Einsatz der Ermittlungsbehörden, die in bisher nicht gekannter Weise einen Aufklärungserfolg vorweisen konnten. Ein großer Teil des gestohlenen Schmucks sei wieder zurückgegeben worden.
Der Richter verteidigte den sogenannten Verfahrensdeal zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung, der zu milderen Strafen geführt hat.
Die Kritiker hätten suggeriert, dass die Justiz sich nicht mit Mitgliedern der Familie Remmo verständigen dürfe, weil diese in der Vergangenheit bereits erhebliche Straftaten begangen hätten. Ohne den Deal könne der Schmuck wohl nie mehr an seinen Platz in das Historische Grüne Gewölbe zurückkehren, sagte Ziegel. Trotz der Schäden an den Juwelen und Diamanten dürfe man nicht so tun, als wäre das nichts. Auch wenn die Täter mit hoher krimineller Energie gehandelt hätten, habe das Gericht eine Schadenswiedergutmachung in dieser Größenordnung zuvor nur selten erlebt.
Eine Verfahrensverständigung sei auch keine Gnade, sagte Ziegel. Seit Jahren sei es geltende Rechtslage, das Geständnis und Wiedergutmachung Auswirkungen auf das Urteil haben. Es wäre eine skandalöse Preisgabe rechtsstaatlicher Prinzipien, wenn das, was für Müller, Meier oder Schmidt gelte, nicht auch für Mitglieder der Familie Remmo Anwendung finden würde.
Spekulationen, welche Strafe ohne die sogenannte Verfahrensverständigung herausgekommen wäre, wolle das Gericht nicht befeuern. Ein Urteil an der Strafobergrenze von 15 Jahren sei allerdings fernliegend gewesen, sagte Ziegler.
Am Ende der etwa anderthalbstündigen Urteilsbegründung wandte sich Ziegler mit persönlichen Worten an die Angeklagten. Sie seien inzwischen alle im Erwachsenenalter und könnten trotz der familiären Strukturen, in die sie eingebunden seien, sich nun selbst entscheiden, ob sie "so weitermachen wollten" wie bisher. "Es ist Ihre Entscheidung, was sie aus Ihrem Leben machen." Selbst wenn man als Familienvater nicht mehr so schnelle Autos fahren könne, sei die Verantwortung für eigene Kinder doch etwas Gutes, sagte der Richter an die Adresse von Rabieh Remmo, der sein Kind, das nach seiner Verhaftung im November 2020 zur Welt kam, noch nie gesehen habe.
Reaktionen von Kretschmer und Klepsch
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) schrieb bei Twitter, das das Urteil eine gewisse Genugtuung sei, den eingetretenen ideellen und materiellen Schaden aber nicht wiedergutmachen könne. "Wir hoffen, dass die Tat vollständig aufgeklärt & die fehlenden Schmuckstücke zurückgeführt werden. Jetzt geht es darum, die zurückerlangten Stücke zu restaurieren, um sie wieder für alle zu präsentieren. Kunstschätze dürfen durch solche Straftaten nicht unzugänglich werden", schrieb Kretschmer weiter.
Kulturministerin Barbara Klepsch sagte, sie sei dankbar, dass es den Ermittlungsbehörden im Rahmen dieses Verfahrens gelungen sei, einen erheblichen Teil der gestohlenen Schätze sicherzustellen. Damit werde ein Teil der Wunde im sächsischen Staatsschatz wieder geschlossen und die Täter rechtmäßig verurteilt. "Mein besonderer Dank gilt den Ermittlungsbehörden für die hervorragende Arbeit". Gleichwohl werde der Freistaat prüfen, ob er weitere rechtliche Ansprüche wie den Schaden durch die nicht zurückgegebenen Schmuckstücke in einem zivilrechtlichen Prozess geltend macht", sagte die CDU-Politikerin.
An den Sicherheitsvorkehrungen des Museums werde weiter gearbeitet, versicherte Klepsch. Es sei bereits eine neue eigenständige Sicherheitsabteilung aufgebaut worden. Sie verwies auf 25 neue Stellen für Mitarbeiter, darunter 20 für eigene Wachleute. Das Sicherheitskonzept sei an vielen Stellen an aktuelle Anforderungen angepasst worden. Das gelte für das Residenzschloss, genauso wie für alle anderen Einrichtungen der Staatlichen Kunstsammlungen.
Vier Angeklagten hatten gestanden, in der Nacht zum 25. November in das Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes eingebrochen zu sein und Schmuckstücke mit insgesamt 4.300 Diamanten und Brillanten entwendet zu haben. Es sei ihnen sowohl um den Wert der Beute als auch um den Ruhm und die Anerkennung in ihren Kreisen gegangen, sagten sie vor Gericht. Der wegen Diebstahls einer Goldmünze vorbestrafte Wissam Remmo nannte seine Abhängigkeit von der Luxus-Droge Kokain als Motiv.
Obwohl sie vor der Tat in mehreren Nächten über den Zaun geklettert waren, wurde kein Alarm ausgelöst. Mit einem Akku-Hydraulikspreizer zerschnitten sie ein Fenstergitter. In der Tatnacht zertrümmerten zwei Männer mit einer Axt innerhalb weniger Minuten eine Vitrine. Mit der Beute fuhren die sechs anschließend zu einer Tiefgarage in der Nähe der Autobahn, dort steckten sie eines der beiden Tatfahrzeuge in Brand und flüchteten nach Berlin.
Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen vorgeworfen, mit der schweren Brandstiftung Hausbewohner in Lebensgefahr gebracht zu haben.
Die Sonderkommission Epaulette setzt ihre Arbeit unterdessen fort. Sie suche weiterhin nach dem restlichen Schmuck, über dessen Verbleib die Angeklagten nach eigenen Angaben nichts sagen können, teilte die Staatsanwaltschaft Anfang der Woche mit. Im Fokus stünden auch weitere Mittäter, die den Plan ausgeheckt haben sollen.
Weiterer Prozess gegen Betrüger
Unterdessen hat am selben Tag vor einer anderen Strafkammer des Landgerichts der Prozess gegen einen mutmaßlichen Betrüger begonnen. Der Holländer hatte nach eigenen Angaben vorgetäuscht, den beim Diebstahl aus dem Grünen Gewölbe entwendeten polnischen Weißen Adler von Tschetschenen kaufen zu können. Er erhielt dafür während eines Treffens in Antwerpen in einem Hotel 40.000 Euro, die ein privater Verein als Belohnung zur Verfügung gestellt hatte. Die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen, Marion Ackermann, war mit zwei Mitarbeitern zu dem Treffen gereist. Ein international renommierte Kunstexperte, der ebenfalls getäuscht worden war, hatte ihr gegenüber für den Mann gebürgt.
Der Schausteller sagte vor Gericht, er habe sich als Kind eines Schmuckhändlers Wissen über Juwelen und Diamanten angeeignet. Er habe den Vertretern der Staatlichen Kunstsammlung aus Dresden kein Foto gezeigt, sondern nur die Größe des Geschmeides genannt. Es sei nicht schwer gewesen, deren Vertrauen zu gewinnen. Nach der Übergabe des Geldes in einem von ihm angemieteten Appartement sei er verschwunden. Der Prozess wird nächste Woche fortgesetzt. Erst nach der Auslieferung des Holländers an die sächsische Justiz war der Vorfall überhaupt bekannt geworden. (SZ/dpa)