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Grünes-Gewölbe-Prozess: Wo ist der restliche Schmuck?

Gut 88,8 Millionen Euro Schaden ist bei dem Diebstahl aus dem Grünen Gewölbe entstanden. Vor einem Jahr begann der Prozess. Trotz Deals und vier Geständnissen ist offen, wann das Urteil fällt.

Von Alexander Schneider
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Die Epaulette mit dem „Sächsischen Weißen“ aus der Brillantgarnitur fehlt noch immer. Halten die Diebe den Restschmuck bewusst zurück, damit mögliche Mittäter später von einer Schadenswiedergutmachung profitieren?
Die Epaulette mit dem „Sächsischen Weißen“ aus der Brillantgarnitur fehlt noch immer. Halten die Diebe den Restschmuck bewusst zurück, damit mögliche Mittäter später von einer Schadenswiedergutmachung profitieren? © SKD

Dresden. Trotz der Rückgabe eines Großteils des Schmucks beziffert der Freistaat Sachsen den Beuteschaden auf mehr als 88,8 Millionen Euro. Diese Zahl nannten Vertreter des Landesamtes für Steuern und Finanzen im Prozess gegen die mutmaßlichen Täter, die am 15. November 2019 ins Grüne Gewölbe Dresden eingedrungen sind.

Diese Summe setzt sich aus den noch fehlenden drei Objekten, darunter der mit 50 Karat größte Diamant, der „Sächsische Weiße“, und den Beschädigungen an den im Dezember 2022 zurückgegebenen 18 Stücken zusammen. Der Freistaat beantragte jetzt, als sogenannter Adhäsionskläger an dem Prozess teilzunehmen, und will diese Summe als Schadenersatz von den Tätern zurückfordern.

Basis für die Wertermittlung – gefordert werden genau 88.863.750 Euro – ist die in der Anklage genannte Versicherungssumme von 113,8 Millionen Euro. In dieser Höhe waren die Juwelen versichert, wenn sie für Ausstellungen an andere Häuser verliehen wurden. Falls das Gericht diese Sicht nicht teilt, könnte ein Sachverständiger des Auktionshauses Christies mit der Erstellung eines Wertgutachtens beauftragt werden, beantragten die Kläger.

18 Stücke da – aber drei fehlen

Die Verteidiger kritisierten das späte Einsteigen der Kläger – Mitte Dezember – in den Prozess. Das führe zu einer unnötigen Verfahrensverzögerung, argumentierten sie. Wie es mit der Klage weitergeht, will die Kammer später entscheiden.

Im Anschluss machte der Vorsitzende Richter Andreas Ziegel den Verteidigern und Angeklagten klar, dass die Kammer auf die mündliche Beantwortung der Fragen im Gerichtssaal bestehe. Sie werde ihre Fragen in einzelnen Komplexen stellen. Die Angeklagten könnten sich mit ihren Verteidigern beraten, man erwarte jedoch eine Antwort noch am selben Tag. Es solle vermieden werden, dass die Antworten mit anderen Beteiligten abgestimmt werden.

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Die Antworten seien für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Geständnisse wichtig, so Ziegel. Es bleibe auch dabei, dass die Angeklagten keine Mittäter nennen müssen. Die Verteidiger erwiderten, das Ansinnen des Gerichts ginge ihnen zu weit und sei von der vereinbarten Verständigung nicht umfasst. Sie wollen den neuen Vorschlag des Gerichts bis zum nächsten Sitzungstag prüfen. Der Großteil des Schmucks ist da, doch viele Fragen bleiben auch nach vier Geständnissen und der Einlassung eines fünften Angeklagten offen. Heute vor einem Jahr hat die Hauptverhandlung gegen die sechs Männer der arabischstämmigen Remmo-Großfamilie aus Berlin begonnen.

Der Prozess rund um den Diebstahl aus dem Grünen Gewölbe ist am Freitag in Dresden fortgesetzt worden.
Der Prozess rund um den Diebstahl aus dem Grünen Gewölbe ist am Freitag in Dresden fortgesetzt worden. © dpa-POOL

Knapp 40 Sitzungstage haben stattgefunden, etwa 20 weitere wurden aufgehoben, oft wegen Corona-Infektionen Beteiligter. Kurz vor dem geplanten Abschluss der Beweisaufnahme hatten Verteidiger plötzlich einen Großteil der Beute, 18 von 21 Schmuckstücke, herausgegeben, die Basis für die spätere Verfahrensabsprache. Die Stimmung scheint sich zuletzt jedoch spürbar abgekühlt zu haben. Nach den vier verlesenen Geständnissen wurde der Ton rauer. Die Verteidiger bestanden auf Fragekataloge des Gerichts, die sie schriftlich beantworten wollten.

Ernüchterndes Fazit der bisherigen Geständnisse

Für die Abkühlung sind mindestens zwei Ursachen denkbar: Zum Ersten werden die Angeklagten nicht an der Aufklärung des Gesamtkomplexes mitwirken wollen, ihren Geständnissen zufolge muss es noch zwei unbekannte Mittäter geben. Zum Zweiten könnte auch die wachsende Einsicht, einer Verurteilung nicht entgehen zu können, eine Ursache sein.

Das Fazit der bisherigen Geständnisse ist ernüchternd. Die Angeklagten behaupten, den Einbruch ins Grüne Gewölbe hätten „andere“ von langer Hand geplant. Sie hätten jedoch unbedingt mitmachen wollen. Über Insider-Informationen hätten sie nicht verfügt, sich aber intensiv vorbereitet. Sie hätten das Museum besucht, um es auszubaldowern, hätten nachts durch die Fenster gespäht, hätten getestet, ob und wie das Sicherheitspersonal auf Bewegungen an der Fassade reagiert.

Nach den Behauptungen der Angeklagten waren sechs Täter am Einbruch in Dresden beteiligt, aber nur vier der Angeklagten. Das heißt, es gibt noch zwei, möglicherweise unbekannte Mittäter. Dieser Umstand ist Stoff für neue Spekulationen: Sind diese Mittäter der Grund, warum nicht die ganze Beute herausgegeben wurde? Werden die drei Schmuckstücke zurückgehalten, damit auch die Mittäter in ihrem Prozess eines Tages von einer Schadenswiedergutmachung profitieren können? Das Schöne an diesem Gedanken ist, dass die fehlenden Preziosen noch nicht verloren wären. Der Prozess wird am kommenden Donnerstag fortgesetzt.