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Grünes Gewölbe: Der Deal mit den Dieben steht

Im Prozess um den Juwelendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe hat eine Restauratorin Angaben zum Zustand der Kunstschätze gemacht. Der Richter nannte indes Details zu Rückgabe und Strafmaß.

Von Mirko Jakubowsky & Alexander Schneider
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In dem Prozess sind sechs Männer angeklagt - allesamt Mitglieder des Berliner Remmo-Clans
In dem Prozess sind sechs Männer angeklagt - allesamt Mitglieder des Berliner Remmo-Clans © Jens Schlueter/POOL AFP/dpa

Dresden. Es ist ein Tag mit vielen Überraschungen und Neuigkeiten. Seit knapp einem Jahr verhandelt das Landgericht Dresden gegen sechs Angehörige der arabischstämmigen Remmo-Großfamilie aus Berlin um den Einbruch ins Grüne Gewölbe Dresden. Vor drei Wochen hat die unerwartete Rückführung eines Großteils des am 25. November 2019 gestohlenen Schmucks bundesweit für Schlagzeilen gesorgt - und für große Freude nicht nur bei den Mitarbeitern der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD).

Doch nun dürfte auch einige Ernüchterung hinzukommen. Der historische Diamantenschmuck ist offenbar erheblich beschädigt. Das berichtete eine Restauratorin der SKD, die bereits am Sonntag, den 18. Dezember, mit weiteren Experten ihres Hauses die Kunstschätze inspizierte. Das waren nur zwei Tage, nachdem der Schmuck in 31 Einzelteilen in einer Berliner Anwaltskanzlei der Dresdner Polizei übergeben und anschließend im Landeskriminalamt kriminaltechnisch untersucht worden war.

Neben abgebrochenen Steinen, Fassungen oder etwa Nietverbindungen sind einige Teile erheblich deformiert. Zeugnisse einer erheblichen Gewalteinwirkung, so die Expertin. Die Schmuckstücke sind auch durch eine unbekannte Flüssigkeit beschädigt worden. Viele Brillanten funkeln nicht mehr. Als Ursache gelten eine unsachgemäße Lagerung oder gar Reinigungsversuche als wahrscheinlich, so die Restauratorin.

Die Feuchtigkeit sei unter die Diamanten in die Fassungen gelangt und habe unter anderem zu einer "Kondensatbildung" geführt. Davon zeugen schwarzen Stellen, teilweise mit roten Rändern, Rost. Der entstand wohl durch eingeschwemmt eisenhaltige Korrosionspartikel. Hinzu kommen zahlreiche frische Kratzer auf den Rückseiten der Fassungen. Die Frage, ob oder wie sich die Schäden beheben ließen, konnte die Restauratorin nicht beantworten.

Die Expertin bezifferte den Gesamtschaden des herausgegebenen Schmucks - vorläufig und nach erster schnellen Prüfung - auf rund 22 bis 25 Millionen Euro. Allein der restauratorische Aufwand, um die Beschädigungen zu beheben, belaufe sich unter Vorbehalt einer genaueren Begutachtung auf 126.800 Euro, sagte die Zeugin.

Am schlimmsten beschädigt ist etwa auch der diamantenverzierte Degen, der den Ermittlern nur in Einzelteilen übergeben worden war. Es fehlte die Klinge. Die Suche nach ihr war auch der Grund für den Einsatz von 22 Polizeitauchern in einem 170 Meter langen Abschnitt des Neuköllner Schifffahrtskanal in Berlin an den Weihnachtsfeiertagen. Nach Informationen der Sonderkommission Epaulette sei die Klinge dort versenkt worden.

Trotz wiederholtem und peniblem absuchen des Grunds blieb die Klinge verschwunden. Der Tauchgang hatte allerdings jede Menge anderer Fundstücke ans Tageslicht gebracht: mehrere Geldkassetten und Tresore, Modeschmuck, Fahrräder, Verkehrsschilder. Das sei recht ungewöhnlich, denn der Kanal werde zweimal pro Jahr, im April und im November für die Schifffahrt ausgebaggert, sagte ein Ermittler der Soko. Offenkundig werde der Kanal genutzt, um dort allerlei Dinge zu entsorgen, mutmaßte der Beamte. Man habe sich auch erkundigt, ob die vermisste Klinge eventuell bei früheren Kanalreinigungen aufgetaucht sei. Erfolglos.

Erste Sondierungsgespräche schon im August

Bekannt wurde an diesem spektakulären Prozesstag auch, dass erste "Sondierungsgespräche mit dem Ziel einer Verfahrensverständigung" bereits im August vergangenen Jahres stattgefunden haben. Damals habe es Kontakte zwischen der Staatsanwaltschaft Dresden und einem Verteidiger des ältesten Angeklagten R. Remmo gegeben. Der 29-Jährige war der Einzige, der sich in dem Prozess "geständig" eingelassen habe, wie es in einem Vermerk der Staatsanwaltschaft hieß. Der Angeklagte hatte bereits Ende März in einer Erklärung zumindest eingeräumt, dass der Einbruch ins Grüne Gewölbe eine Remmo-Aktion gewesen sei.

Nach diesem ersten Gespräch am 24. August passierte jedoch lange wenig. Erst am 1. Dezember kam es offenbar zu ernsthaften Gesprächen mit dem Inhalt, das Verfahren schneller zu beenden. Es wurde unter anderem ein "Leidensdruck" von Angeklagten und der Familie angeführt. Die Staatsanwaltschaft habe angedeutet, eine Rückführung des Schmucks - schon damals scheint klar gewesen zu sein, dass das Diebesgut nicht mehr vollständig vorliegt - und geständige Einlassungen der Angeklagten könnten sich für sie sehr positiv auf die Straferwartung auswirken. Offenbar betrachtete die Staatsanwaltschaft die Herausgabe der Beute jedoch als "Vorleistung" einer später zu erzielenden Verständigung. Die Verteidiger sagten zu, den Vorschlag bis zum 5. Dezember zu klären.

Andreas Ziegel (2.v.l.) ist Vorsitzender Richter am Landgericht Dresden.
Andreas Ziegel (2.v.l.) ist Vorsitzender Richter am Landgericht Dresden. © Jens Schlueter/POOL AFP/dpa

Der 5. Dezember, ein Montag, ist auch der Tag, an dem die zuständige Jugendkammer erstmals von den Sondierungen erfahren habe, wie der Vorsitzende Richter Andreas Ziegel nun zum Beginn des langen Sitzungstages bekannt gab. Ihm sei mitgeteilt worden, dass 18 der 21 gestohlenen Schmuckstücke herausgegeben werden könnten. Die Staatsanwaltschaft habe den Verteidigern zunächst einen Strafrahmen von gut fünf bis fünfeinhalb Jahren für die zur Tatzeit erwachsenen Angeklagten in Aussicht gestellt und Jugendstrafen von unter fünf Jahren für die beiden zur Tatzeit heranwachsenden Zwillinge. Darüber hinaus legten die Verteidiger bei der Verständigung Wert darauf, dass die Untersuchungshaftbefehle ihrer Mandanten spätestes bei der Urteilsverkündung aufgehoben werden.

Die Jugendkammer nannte am 6. Dezember eine Verständigung grundsätzlich vorstellbar, teilte den Vorschlag der Staatsanwaltschaft und habe auf "überprüfbare geständige Einlassungen" der Angeklagten und die Beantwortung von Rückfragen bestanden. Die etwas höheren Strafvorstellungen der Kammer von bis zu sechs Jahren erklärte das Gericht mit den unterschiedlichen Vorstrafen der Angeklagten und ihren konkreten Tatbeiträgen.

Danach folgte offenbar die interne Abwicklung der Herausgabe der Beute. Am Abend des 16. Dezember, einem Freitag, erhielt die Soko Epaulette überraschend den Auftrag, den Schmuck in einer Berliner Rechtsanwaltskanzlei entgegenzunehmen und abzuholen. Kurz vor Mitternacht seien die Dresdner Beamten in der Kanzlei gewesen, wo die Schmuckstücke bereits auf einem Konferenztisch ausgebreitet vor ihnen lagen.

Die Beute, es waren nun 31 Teile, weil sich einige Bruchstücke darunter befanden, wurde sorgsam verpackt und in Dresden in einem Tresor des Landeskriminalamtes Sachsen verschlossen, um schon am nächsten Morgen nach Spuren untersucht zu werden. Viel gefunden haben die Techniker jedoch nicht. Nur zwei unbekannte männliche DNA-Mischspuren konnten sichergestellt werden. Beim Öffnen der einzeln in Plastiktüten verpackten Steine und Garnituren sei den Beamten der Geruch von Reinigungsmittel aufgefallen.

Die Verständigung

Am Nachmittag gelang dem Gericht dann tatsächlich eine Verfahrensverständigung, über die bereits seit der Herausgabe des Schmucks spekuliert wird. Die Kammer stellte den drei zur Tatzeit erwachsenen Angeklagten Haftstrafen zwischen fünf Jahren und neun Monaten bis sechs Jahren und neun Monaten in Aussicht – im Fall umfassender und glaubwürdiger Geständnisse, Angaben zu Planung, Durchführung und dem Nachtat-Verhalten sowie die Beantwortung von Nachfragen. Dritte müssten die Angeklagten dabei jedoch nicht belasten.

Die zur Tatzeit heranwachsenden Zwillingsbrüder können mit Jugendstrafen zwischen vier und fünf Jahren rechnen. Dafür, dass die Strafrahmen nun etwas höher ausfielen als zunächst vorgesehen, gibt es einen triftigen Grund: der Zustand des Schmucks, der weit schlechter ist, als man es vor der Herausgabe der Beute erwartet hatte. Dem sechsten Angeklagten, Ahmed Remmo, wurde kein Deal unterbreitet. Er hat ein offenbar glaubhaftes Alibi und kann mit einem Freispruch rechnen.

Vier der fünf Angeklagten stimmten der Vereinbarung sofort zu und wollen bereits am kommenden Dienstag, dem nächsten Sitzungstag, aussagen. Der fünfte Angeklagte hat sich bis dahin eine Bedenkzeit erbeten.

Der beim Einbruch in das Grüne Gewölbe am 25. November 2019 gestohlene Schmuck war über drei Jahre lang spurlos verschwunden. In der Nacht zum 17. Dezember 2022 wurde überraschend ein erheblicher Teil der Beute in Berlin sichergestellt. Allerdings fehlen nach wie vor einige Teile der Diebesbeute.