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Grünes Gewölbe: Verdächtige am Tag vor der Tat in Polizeikontrolle

Am Abend vor dem Einbruch bekamen die Angeklagten Angst. Die Polizei fand bei ihnen Brecheisen und Bolzenschneider.

Von Alexander Schneider
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Auf der Kötzschenbroder Straße in Dresden wurde das mutmaßliche Fluchtauto in einer Tiefgarage angezündet. Tage später suchte ein Spürhund nach Geruchsspuren.
Auf der Kötzschenbroder Straße in Dresden wurde das mutmaßliche Fluchtauto in einer Tiefgarage angezündet. Tage später suchte ein Spürhund nach Geruchsspuren. © Tino Plunert

Dresden. Am späten Abend vor dem Einbruch ins Dresdner Grüne Gewölbe kontrollierte die Polizei in Berlin offenbar zufällig einen VW Golf. Das Auto fiel den Beamten einer Zivilstreife gegen 23 Uhr an einer Ampel in Charlottenburg auf, weil die Insassen in dem Golf plötzlich nervös schienen und die Beamten wissen ließen, man habe sie als Zivilstreife erkannt. Dann fuhr der Golf recht zügig los, bog in Nebenstraßen ab. In der Krummen Straße stoppten die Polizisten den verdächtigen VW: „Guten Abend, allgemeine Verkehrskontrolle“.

Von dieser Kontrolle war im Prozess gegen die sechs mutmaßlichen Juwelendiebe, die am 25. November 2019 ins Grüne Gewölbe eingedrungen sein sollen, schon mehrfach die Rede. Am Dienstag nun sagten die Beamten aus, die den Golf wenige Stunden vor dem Einbruch kontrolliert hatten. Am Steuer: J. Remmo, der 22-Jährige, der unter Beihilfe-Verdacht steht.

Er ist der Bruder eines Angeklagten und wurde erst im Mai als Zuschauer des Remmo-Prozesses verhaftet. Inzwischen ist der junge Mann wieder auf freiem Fuß. Das Landgericht Dresden hob auf seine Beschwerde hin den Haftbefehl auf. Es lägen keine Gründe vor, die eine Flucht- oder eine Verdunkelungsgefahr rechtfertigten. Weniger verdächtig dürfte er deswegen nicht sein – zumindest aus Sicht der Dresdner Staatsanwaltschaft, die mitgeteilt hatte, die Freilassung anzufechten.

Tatverdächtige von Zivilstreife in Berlin gestoppt

Der Polizeizeuge berichtete nun, neben J. Remmo hätten in dem Golf auch drei der Angeklagten (23, 26, 28) gesessen. Alle vier seien wegen Eigentumskriminalität polizeibekannt. Beim Blick in den Kofferraum hätten die Beamten eine weiße Tüte erblickt und sich daher über die Staatsanwaltschaft die Durchsuchung des Autos genehmigen lassen. Während die Insassen auf dem Bürgersteig warteten, entdeckten die Beamten in der Tüte Kleidung und Einbruchswerkzeug: ein Brecheisen und zwei Bolzenschneider. Die Kontrolle dauerte eine Dreiviertelstunde, dann ließen die Beamten die Männer weiterfahren. Sie hätten jedoch veranlasst, dass der Golf ab sofort von Kollegen observiert wird.

Was bei der Observation herauskam, ist unklar und wird möglicherweise noch thematisiert werden. Der 28-jährige Angeklagte hatte bereits im März in der Hauptverhandlung erklärt, er habe wegen dieser Kontrolle Angst bekommen und sei in doppelter Hinsicht ausgestiegen: aus dem Auto und aus dem Einbruchsvorhaben. Es war eine völlig unerwartete Erklärung des Mannes, der etwa aussagte, er werde keine Namen nennen – und doch berichtete, am Steuer habe J. Remmo gesessen.

Verdächtige Suchanfragen

Offenbar hatte jedoch auch J. Remmo Panik bekommen. Das ergibt sich aus Chat-Nachrichten, die auf seinem Handy gefunden wurden. Der 22-Jährige habe gefürchtet, die Polizei werde aufgrund des Einbruchwerkzeugs noch in jener Nacht seine elterliche Wohnung durchsuchen. Die Auswertung seiner Internet-Aktivitäten habe weiter ergeben, dass er über Monate gezielt recherchiert habe, wie man mit Straftaten zu Geld kommt. Das sagte ein Ermittler der Sonderkommission Epaulette. Dafür sprächen Google-Suchbegriffe wie „Objekte mit Bargeld“, „mit was Panzerglas durchbrechen“, Hydraulikpresse“, „wann werden Ermittlungsverfahren eingestellt“ und, ganz nah am Einbruch ins Dresdner Residenzschloss: „Strom lahmlegen“.

Die Verteidiger von Ahmed Remmo forderten das Gericht auf, ihren Mandanten nun endlich von dem Prozess abzutrennen und freizusprechen: „Das Beweisprogramm ist erschöpft“, sagte Andreas Boine. Er bezog sich auf die beiden Sachverständigen, die am letzten Prozesstag kein gutes Haar am Einsatz der Mantrailer-Hunde gelassen hatten (die SZ berichtete).

"Hokuspokus" und "Esoterik"

Die Sachverständigen hätten ausgesagt, die Hundeführer seien falsch vorgegangen und die Geruchsspuren – der Hundeeinsatz fand im Frühjahr 2021 statt – seien rund eineinhalb Jahre nach der Tat „unfassbar alt“. Die Experten hätten schon Bedenken, Hunde in solchen Fällen nach 48 Stunden einzusetzen. Boine nannte den Einsatz der Hunde „Hokuspokus“ und „Esoterik“. Zudem sei es für die Beschuldigten demütigend, ihre Geruchsproben vor laufender Kamera und vor den Augen vieler Beamter abgeben zu müssen. Er verstehe nicht, so Rechtsanwalt Boine, warum Sachsens Polizei an diesen Hunden festhält angesichts dieses Risikos für Fehlurteile.

Die Hunde hätten keine Beweiskraft und auch die DNA-Spuren gegen seinen Mandanten seien nicht eindeutig. Zudem habe Ahmed ein Alibi. Er sei am 25. November 2019 bis 2.46 Uhr in der Notaufnahme einer Neuköllner Klinik gewesen. Auch andere Verteidiger kritisierten den Hundeeinsatz und forderten das Gericht auf, im Prozess ein Zeichen zu geben, die Hunde als Beweismittel nicht zu berücksichtigen.

Ganz am Ende des langen Sitzungstages am Landgericht Dresden berichtete ein Hauptkommissar des Berliner Landeskriminalamts, dass die Soko Epaulette „Hunderte“ Amtshilfeersuchen gesandt hatte. Auch das zeigt zweierlei: den hohen Ermittlungsdruck in Dresden – und dass die Spuren schon früh nach Berlin wiesen.

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.