Neustart in der Yenidze: Barock trifft Bollywood

Kirschau/Dresden. Die Kuppel der Dresdner Yenidze ist ein magischer Ort. Draußen herrscht an diesem Vormittag das Schneegrau des Winters. Doch das wenige Licht genügt, um drinnen die Farben des gläsernen Dachs zum Strahlen zu bringen. Auf einem Podest in der Mitte stehen Anne Dietrich und Doreen Seidowski-Faust. Ihr Atem zeichnet kleine Wölkchen in die Luft. Doch der Enthusiasmus der beiden Frauen lässt die Kälte rasch vergessen.
Dieser Ort, hoch über der einstigen Zigarettenfabrik an der Elbe, steht für Aufbruch. Mit ihrem „Theater in der Kuppel“ wollen sie Brücken schlagen: zwischen Kulturen, zwischen Menschen, zwischen Kunstgattungen und zwischen den Kontinenten. Ein Stück Indien in Sachsens bekanntester „Moschee“, das ist ihr Plan.
Die Künstlerinnen gehen die Treppe hinab. Eine Etage unter der Kuppel sind die Stühle im Restaurant nach oben gestellt, der Kunstbetrieb liegt wie allerorts im Lockdown-Winterschlaf. „Eigentlich wollten wir schon spielen“, sagt Doreen Seidowski-Faust. Mit ihrem Mann Mario Faust kennt sie die Bühne seit mehr als 20 Jahren. Sie ist Sängerin, er Jazztrompeter mit einem Faible für die indische Sitar. Ihr gemeinsames indisches Programm eröffnet vielen Zuschauern eine neue, unbekannte Welt.
Begeistert von indischer Musik
Als der langjährige Pächter der Kuppel seinem Projekt ade sagt, sehen die Dresdner die Chance, ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Ins Boot holen sie sich zwei Oberlausitzer: Anne Dietrich vom Zentrum Tanz-Art in Kirschau und Uwe Nimmrichter, der mit der Initiative „Im Friese“ moderne Kunst in den kleinen Ort bei Bautzen holt. Das Quartett kennt sich schon länger, hat schon etliche Projekte auf den Weg gebracht. Gemeinsam haben sie nun die Yenidze Theater- und Veranstaltungs-gGmbH gegründet.

Neben der Liebe zur Kunst verbindet sie die Begeisterung für Indien, berichtet Doreen Seidowski-Faust. Mit Fernweh blickt sie aus dem Fenster. Die gebürtige Mecklenburgerin studierte in Dresden klassischen Gesang. „Ich hatte schon immer eine Affinität zu Indien. Die Musik hat mich fasziniert. Irgendwann trieb mich der Wunsch, das Land besser kennenzulernen“, sagt die 49-Jährige. Im Jahr 1995 packt sie ihre Koffer. Ihr heutiger Mann begleitet sie. Erster Anlaufpunkt ist der Norden, die Fünf-Millionen-Stadt Kalkutta.
Das Land der Superlative enttäuscht sie nicht. Beide tauchen ein in die fremde Kultur. Doreen Seidowski-Faust studiert eine besondere Stilrichtung des indischen Lieds, das dem deutschen Gesang genauso fern ist wie die deutsche Rinderroulade einem indischen Curry. Mario Faust beschäftigt sich mit der Sitar, dem Melodieinstrument Nordindiens.
Delhi wird zur Wahlheimat
Nach dieser ersten Reise fahren beide immer wieder zu Studienaufenthalten in ihr Sehnsuchtsland. Gleichzeitig suchen sie nach Wegen, um das Neuerlernte dem Publikum in Deutschland nahezubringen. „Der Anfang war schwierig, die Skepsis der Musik gegenüber war groß“, sagt die Sängerin.
Bei Anne Dietrich tröpfelt die Liebe zu Indien langsam ins Leben. Der Kulturmanagerin und Tanzpädagogin begegnet die indische Kultur im Studium. Nach dessen Ende 2005 bewirbt sich die heute 39-Jährige an der berühmtesten Universität für Kunst und Kultur im südindischen Bundesstaat Kerala. Die Deutsche bekommt einen der begehrten Studienplätze. Ihr Lebensmittelpunkt wird ein kleines Dorf. Der Tag beginnt um 4 Uhr mit Augentraining und quakenden Fröschen im Reisfeld, bevor die große Hitze sich auf das Land legt.
Nach Südindien wird Dietrichs nächste Station die National School of Drama in Delhi, wo sie inzwischen im Winter normalerweise lebt, lernt und selbst lehrt. Erst im Februar 2020 kam sie aus ihrer Wahlheimat zurück. Bei einer solchen Ankunft aus Delhi erhält sie 2013 noch auf dem Flughafen einen Anruf von Doreen Seidowski-Faust. Sie sucht kurzfristig nach einer Tänzerin für das indische Programm. 24 Stunden stehen sie zusammen auf der Bühne. Das ist der Beginn einer künstlerischen Zusammenarbeit, und vor allem einer Freundschaft.
Yenidze-Architekt gehörte zur Familie
In der Gruppe „Atmadhvani“ bekommt ihr kreatives Miteinander einen ersten Rahmen. Das eigene Theater ist nun der nächste Schritt „Es ist das i-Tüpfelchen, dass wir jetzt unsere Kreativität in der Kuppel ausleben können“, sagt Anne Dietrich, die zur Yenidze eine besondere Beziehung hat. Der Architekt des Gebäudes, Martin Heinrich Hammitzsch, gehörte weitläufig zur Familie. „Meine Großmutter hat früher immer Zeitungsbeiträge über ihn und die Yenidze gesammelt. Sie war so stolz, als ich hier zum ersten Mal aufgetreten bin“, sagt die Kulturmanagerin.
Ihr neues Theaterhaus wollen die vier Mitstreiter auf vier Säulen stellen. Zum einen sind eigene Tanz,- Musik- und Theaterinszenierungen geplant - unterstützt durch professionelle Gastspiele, die Einblicke in die Kunst und Kultur Indiens geben, Bollywood inklusive. „Wir wollen Menschen erreichen und berühren, ihnen zeigen, dass diese andere Welt gar nicht so fremd ist“, sagt Doreen Seidowski-Faust. Die Hauptsaison soll von Oktober bis April laufen, im Sommer ist es unter der Kuppel zu heiß.
Workshops, Yogakurse und Ausstellungen
Zum Theater sollen sich Tanz-Workshops, Yogakurse unter der Kuppel und kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche gesellen. Auch Ideen für Ausstellungen gibt es schon, immer in Verbindung zwischen Orient und Okzident. „Wir wollen flexibel mit dem Ort sein, die Schönheit der Kuppel und den vorhandenen Reichtum nutzen“, sagt die Neu-Theatermanagerin Doreen Seidowski-Faust. Als Prolog zur ersten Theatersaison könnte im Frühjahr ein „Nachtwandel“ stattfinden, als theatralische Führung mit Licht und Sound.
Ob es so kommt, hängt vor allem von der aktuellen Pandemiesituation ab. Doch entmutigen lassen sich Dresdens neue Theatermacher deshalb nicht. Die indischen Hindu glauben an den Kreislauf des Lebens. „Es geht immer alles weiter. Wir nutzen die Zeit. Sie ist ein Geschenk für uns. Das Konzept kann so reifen“, sind sich die beiden Geschäftsführerinnen einig.
Dann schließen sie die Glastür zur Kuppel zu. Noch heißt es, sich in Geduld zu üben - für ein Stück Indien im barocken Dresden.
Die Serie "Mutmacher 2020“
2020 ist mehr als Corona. Auch in diesem Jahr haben Menschen ihr Glück gefunden, Neuland betreten und sich von Rückschlägen nicht unterkriegen lassen. Von ihnen und ihren Ideen berichten wir in unserer Serie: Mutmacher 2020: Sechs optimistische Geschichten zum Jahresende.