Philharmonie-Chef hat faszinierende Brocken im Blick

Dresden. Dieser Blick von Marek Janowski ist so typisch für ihn. Der gerade 83 Gewordene weiß so ziemlich alles über die klassische Musik, weil er wohl alles mehrfach musiziert hat, und doch hat er noch Visionen. Zugleich weiß er, wie schwer viele der großen und oft gerade die populären Werke sind, dass ihre Aufführungen misslingen können. So schwingt bei ihm immer eine gewisse Hoffnung wie Skepsis mit. „Egal ob Publikum und Kritiker jubeln, ich weiß doch selbst, ob wir gut oder nur dicht dran waren“, sagt er gern. Wenn es Fehler gab, dann sucht er die nie nur beim Orchester, sondern zuerst bei sich.

Diesen vielsagenden Blick dürfte er in der nächsten Zeit öfter draufhaben. Denn was er für seine letzte Saison als Chef von Dresdens Philharmonie ab September 2022 bis Juli 2023 vorhat, sind allesamt Großprojekte. Einige davon würden allein eine Saison krönen. Janowski, offenbar mit unendlichen Reserven und einem ungeheuren Vertrauen in sein Orchester, stemmt diese „an oberste Grenzen einer Interpretation“ gehenden Kompositionen. Am Donnerstag stellte er der Presse per Video-Botschaft seine Vorhaben vor. Diese beinhalten Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ in konzertanter Aufführung. Darüber hinaus sind drei neunte Sinfonien und ein ambitioniertes Strauss-Programm geplant. Über alle anderen Veranstaltungen in der kommenden Saison will die Intendanz der Dresdner Philharmonie demnächst informieren.
Auf den „Ring“ warten die Fans schon einige Zeit. Wegen Corona war er geschoben worden. Nun soll der vierteilige Zyklus vom 30. September bis 15. Oktober stattfinden. Für den Chefdirigenten hat er besondere Bedeutung. Zu Beginn der 1980er-Jahre hatte er die Tetralogie im Kulturpalast mit der Staatskapelle Dresden und den besten Wagner-Interpreten jener Zeit musiziert und aufgenommen. Diese konzertanten Aufführungen begründeten seinen internationalen Ruf als Wagner-Dirigent par excellence. Noch heute gelten diese Platten als Referenzaufnahmen und werden unverändert teuer gehandelt. Zudem schwärmen Dresdner Konzertfreunde von den Abenden mit den Stars wie Theo Adam, René Kollo, Peter Schreier, Jessy Norman und Siegfried Jerusalem.
Oberste Grenzen der Interpretation
Nun war die akustische Qualität des alten, mehrfunktionalen Konzertsaals mangelhaft, auch deshalb war es Janowski ein Anliegen, den „Ring“ im klanglich hervorragenden neuen Konzertsaal noch einmal zu präsentieren. „Es ist für mich der geglückteste Konzertsaalneubau der vergangenen 10/15 Jahre in Deutschland, optisch und akustisch“, so der erfahrene Maestro.
Leicht wird es nicht, dass es gut klingt, trotz der feinen Akustik. Die Philharmonie hat mit Wagner wenig Erfahrung und mit dem „Ring“ gar keine. Der Chef will mit „ungeheuer vielen Proben die große Unerfahrenheit“ seiner Musiker kompensieren und erhofft sich durch diese Mammutaufgabe eine Qualitätssteigerung seines Klangkörpers. Bewusst habe er eine Sängerbesetzung ausgesucht, die anders ist als jene, die Christian Thielemann und die Semperoper beim „Ring“ aufgeboten haben. Sein Ziel: „Vokale Vergleiche ermöglichen.“ Da dürften die Wagner-Freunde aus aller Welt nach Dresden pilgern, denn die „Orchestermaschinerie mit ihren vielen Leitmotiven soll ohne Szene, die sich in höchst bezweifelbaren Regionen bewegt, hör- und sichtbar werden“.

Ähnlich schwere Brocken, wenn auch in der Sinfonik, bilden die Klammer der Spielzeit. Anton Bruckners Monumental-Kompositionen gibt es zur Eröffnung und zum Abschluss – Janowski-typisch mit unerwarteten, stark kontrastierenden Werken kombiniert. Zum Start Anfang September erklingt Bruckners Neunte, die unvollendet nur bis zum dritten Satz gegeben wird. Der Chefdirigent hält nichts von den Versuchen späterer Experten, das Torso zu vervollständigen, und verweist zugleich auf die „musikalisch in die Zukunft“ weisende Qualität des dritten Satzes. Als letzte Amtshandlung hat sich der Chef im Juli 2023 Bruckners Fünfte vorgenommen. Und damit „die schwerste für einen Dirigenten mit ihrer architektonisch-musikalischen Struktur und grandiosen Emotionalität“.
Vertontes „Kreuz“ zum 13. Februar
Eine weitere „Herausforderung, mit der man nie fertig wird“, ist zu Silvester Beethovens Neunte. Bereits zwei Mal war sie zum Jahreswechsel geplant gewesen und coronabedingt abgesagt worden. Die Chorpartien übernehmen die Philharmonischen Chöre Dresden und Brno.
Ebenfalls als ein Werk, das die Musiker vor schwer lösbare Aufgaben stellt und selbst Profichöre kaum leisten können, gilt Hans Werner Henzes Sinfonie Nr. 9. Dem „gewichtigsten Stück“ dieses Komponisten liegt Anna Seghers Roman „Das siebte Kreuz“ zugrunde. Janowski wählte die Erzählung über "die sinnlose Furchtbarkeit des Krieges“ zum Beitrag der Philharmonie am Dresdner Gedenktag, dem 13. Februar. Für diese Aufführung hat der Dirigent den von ihm sehr geschätzten MDR-Rundfunkchor eingeladen.
Mehr an Vorhaben der Saison wird voraussichtlich Anfang Mai veröffentlicht. Vorerst startet nur der Vorverkauf für den „Ring“ am 7. März, 10 Uhr, online und beim Ticketservice im Kulturpalast. Die Karten kosten zwischen 45 und 130 Euro. Junge Leute erhalten 50 Prozent Ermäßigung, für alle vier Konzerte im Paket gibt es fünf Prozent Ermäßigung.