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Pop-Melancholiker Sohn in Dresden: Eiskunstlauf als Steilvorlage

Der Brite Christopher Taylor alias Sohn wurde in Wien zum Musiker - und bringt jetzt seine zerbrechlichen Elektro-Klänge erstmals in die Dresdner Reithalle.

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Der Engländer Christopher Taylor nennt sich als Musiker Sohn, weil das aus seiner Sicht keinerlei Rückschlüsse auf die musikalische Orientierung zulasse. Am 2. Dezember tritt Sohn erstmals in Dresden auf.
Der Engländer Christopher Taylor nennt sich als Musiker Sohn, weil das aus seiner Sicht keinerlei Rückschlüsse auf die musikalische Orientierung zulasse. Am 2. Dezember tritt Sohn erstmals in Dresden auf. © PR/Beggars Group

Von Viktor Dallmann

Eine Gestalt mit schwarzem Basecap schält sich aus einem abiotischen, niedrigen Nebel oder aus einem zugewucherten Fabrikkomplex, aus einer seltsam unbelebten Wohnzimmerlandschaft oder aus einem dunkelgrünen, sumpfigen Wald. In den Händen hält die Gestalt Sohns drittes Studioalbum „Trust“.

Das eher anti-zeitgeistige Pseudonym Sohn lässt einen womöglich an Familienhackordnung oder die Bibel denken, zumindest mal an archaische Konstrukte. Christopher Taylor, so der bürgerliche Name des gebürtigen Londoners, der nach Station in Wien mittlerweile mit seiner Familie in Kalifornien wohnt, wollte mit dem Namen woanders hin. Laut ihm gestattet das Wort Sohn schlicht keine Festlegung auf ein bestimmtes musikalisches Genre.

Tatsächlich sind die Klänge auf „Trust“ ziemlich vielgestaltig. Auf dem das Album eröffnenden Song „Antigravity“ jault zwar eine E-Gitarre, trotzdem wirkt alles im besten Sinne verhalten. Luftiger, sentimental-beschwingter Electronica-Pop mit weit aufgefächerten Stimmharmonien, die sich zaghaft zerstreuen.

Die erste Single-Auskopplung aus „Trust“, die bereits im Mai dieses Jahres erschienen ist, trägt den Titel „Figureskating, Neusiedlersee“ und windet sich entlang zarter Gitarrenlinien, denen ein paar akzentuiert eingeflochtene Bläser viel Dramatik geben. Hier trifft die feinsinnige Zerbrechlichkeit eines James Blake auf die Popstimmlichkeit eines Ed Sheeran, und irgendwie ist diese Kombination mitreißend.

Nicht nur an den flächenmäßig größten See Österreichs ist „Figureskating, Neusiedlersee“ eine Hommage, sondern auch an Tom Waits „Alice“. So heißt es etwa: „There’s a crack in the ice where I skated your name“ („Da ist ein Sprung im Eis, wo ich deinen Namen geskatet habe“).„Trust“ ist voller Liebessongs beziehungsweise Erinnerungen nachhallender Liebessongs, beladen von Traurigkeit und noch schmerzhaft nah. Oder wie Christopher Taylor mit der Eislauf-Metapher sagt: „Die Gefahr, durchzufallen, wächst mit jeder Wiederholung“.

Allerdings geht es auch wilder. Auf „M.I.A.“ erinnert die Dominanz des gedrungenen Beats streckenweise an die percussion-lastigeren Kompositionen von Bon Iver – ein kunstvoll stolpernder Spannungsaufbau auf Songlänge. Auf irgendeine Erwartung oder Person bewegen wir uns zu.

Und ja, das geht nicht ohne Kitsch vonstatten, aber es bleibt doch eine gewisse performative Kühle, eine Art undurchsichtige Sentimentalität. Sohn singt: „Riding the horses to the promised plains“ („Reite die Pferde zu den gelobten Ebenen“), und wird von flirrenden Synthies eingerahmt.

Dieses Land der Verheißung ist der Familiensonntag. Richtig gehört, Sohn hat drei Söhne, und auf „I Won’t“ zeigt er väterliche Fürsorge. Ein Song, der aus dem Fenster auf einen ergrauten Novembertag schaut, im Ohrensessel sitzend, die Kinderchen im Arm und die Heizung auf drei. Dort lassen wir die Gedanken schweifen, und sie landen in einem Traum, der einem vorkommt, als hätte man ihn schon mal gedacht.

„Trust“ ist eine lauschig arrangierte Reise durch die innere Flusslandschaft von Christopher Taylor – zwischen den erwartbaren Gefährten tauchen auch immer wieder abwegige Bilder auf. So verflechten sich altbewährte, durchaus radio-poppige Grundstimmungen mit überraschenden Klangfamilien.

Die subtile Verblendung von Vertrautem und Unbekanntem wird dann noch mit wirkungsvollen Versen abgeschmeckt: „20 years sat on the brink, I am a riverbank. Oh, Lord, I’m waitin‘ for you“ („20 Jahre saß ich am Abgrund, ich bin ein Flussufer. Oh, Herr, ich warte auf dich“) – da hätten wir sie wieder, die biblische Beschaffenheit. Das soll natürlich nicht heißen, das „Trust“ nur was für Kenner der Heiligen Schrift ist. Wer hier ein paar tanzbare Deep-House-Vibes erwartet, kommt auch auf seine Kosten. „Segre“ ist Electronica-Pop mit Kopfstimmen-Tremolo und obligatorischem Oh-oh-oh-oh. Tatsächlich lässt dieser Song im Gegensatz zu anderen eine ästhetische Durchkomponiertheit vermissen, zugunsten eines dudeligen Beats.

Glaubwürdige Sentimentalität

Das mag zwar vielen taugen – doch hier versteht man, dass Sohn schon mal eine gewisse Oberflächlichkeit vorgeworfen wurde. Glücklicherweise endet „Trust“ dann wieder ganz intim. Die feinen Klaviermelodien auf „Basis“ erzählen eine Abschiedsgeschichte. Aus dieser Ballade schneiden sich langsam und umständlich ein frickeliger Beat und warme Synthies frei. Diese Sentimentalität ist total glaubwürdig, sie widerstrebt jeder Pop-Beschaffenheit. Das lässt Sohns Sound spürbar gewinnen. Unter den gestaffelten Drums haucht Taylor: „I love you truly, my dark shadow. You’ve been calling me the air I breathe“ („Ich liebe dich aufrichtig, mein dunkler Schatten. Du hast mich die Luft genannt, die ich atme“).

Zurzeit ist Sohn das erste Mal seit 2018 wieder auf Europa-Tournee. Seine Verquickung von Pop, Melancholik und präzise orchestrierten Synthie-Sounds kann man am 2. Dezember auch in der Dresdner Reithalle bestaunen.

Tickets fürs Dresden-Konzert von Sohn am 2.12. gibt’s in allen DDV-Lokalen, telefonisch unter 0351 48642002 und hier.