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Ein Dresdner enträtselt Richard Wagners sperrigen "Ring"

Dirigent Christian Thielemann leitet vorerst letztmals in der Semperoper den "Ring". Ein Anwalt gibt Hoffnungen, das Opernprojekt zu verstehen.

Von Bernd Klempnow
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Ein Fest steht bevor: Wagner-Experte Christian Thielemann leitet in der Semperoper den "Ring des Nibelungen".
Ein Fest steht bevor: Wagner-Experte Christian Thielemann leitet in der Semperoper den "Ring des Nibelungen". © dpa

Ab Freitag ertönt er wieder in der Semperoper, der für viele Ohren sinnfreie Gesang in Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“. So entfaltet sich etwa aus den tiefen Es-Tönen der Kontrabässe zu Beginn ein Stammeln der Rheintöchter: „Weia! Waga!, Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia“. Lautmalerisch nehmen die Sängerinnen die Wellenklänge der Staatskapelle im Graben unter Christian Thielemann auf, nur schön oder eingängig ist der Gesang nicht. Zweimal wird Thielemann den "Ring" bis Mitte Februar vor ausverkauftem Haus musizieren - vorerst letztmals. Sein Dresdner Vertrag endet Mitte 2024.

Und es wird im Laufe der insgesamt 16-stündigen Aufführung aller vier Teile des Werks nur partiell besser. Wohl ist die Musik von großer suggestiver Kraft, aber der Text ist meist sperrig, unverständlich, rätselhaft. Wichtige Details der Figuren und Handlung werden gar nicht oder erst extrem spät und dann teils nur in Andeutungen erklärt. Selbst Fans dieser Opern lehnen die Dichtung wegen ihrer eigenwilligen Wortschöpfungen und malträtierten Stabreime ab. Auf die der Komponist im Übrigen sehr stolz war. Das liebste Adjektiv ist frommen. Stets geht es um den Treuesten der Treuen, um den Traurigsten von allen, um hehrste Helden, um Raub, Totschlag, Inzest und Brandstiftung. Sogar erfahrene und gefeierte Dirigenten des „Rings“ verschmähen den Text.

Viel Glanz und noch mehr Emotionen: Szene aus "Rheingold", dem Auftaktabend zum "Ring des Nibelungen".
Viel Glanz und noch mehr Emotionen: Szene aus "Rheingold", dem Auftaktabend zum "Ring des Nibelungen". © dpa

„Völlig falsch“, sagt der Dresdner Anwalt Wolfgang Kau. „Das Textdrama ist so vielschichtig wie die Musik. Man muss sich ihm nur vorurteilsfrei nähern, dann wird man belohnt. Denn wer den Text versteht, hört die Musik mit anderen Ohren.“

Nun gibt es zu Richard Wagner und seinen Opern, aber speziell zum „Ring“ als dem monumentalsten Kunstwerk des 19. Jahrhunderts, schon unzählige gute Einführungen und Deutungen. Doch die versteht eigentlich nur der, der sich ohnehin intensiv mit der Materie beschäftigt.

Nach einer Liebesnacht schon Verdruss

Wolfgang Kau freilich, der sich als Musikfreund, aber nicht Wagnerianer bezeichnet, ist einen anderen Weg gegangen – den einer Gesamtschau. In gut vierjähriger Arbeit hat er einen Leitfaden entwickelt, der Zeile für Zeile den Originaltext der Orchesterpartitur zitiert. Unterbrochen werden die nachvollziehbar von Erläuterungen zum Bühnengeschehen: Was Wagner en détail an Regieanweisungen gegeben hat, welches Bühnenbild er wünschte, wie die Handelnden reagieren, was sie sehen, fühlen, wollen, Kau spricht von „spannungs- und beziehungsreich anlegten Reibungen zwischen Text, Handlung und Musik “.

Er übersetzt die skurrilen Wortschöpfungen ins Heutige, erklärt, nie etwas voraussetzend, gibt Anregungen zu weiterer Literatur. Er zitiert Experten wie Regisseur Harry Kupfer, die Szenen, die dem bis dato Unwissenden verzichtbar erschienen, eine „unglaubliche Notwendigkeit“ attestieren.

Und er löst Rätsel und Fragen, auf die man erstmal kommen musste. Der „Ring“ spielt in einem Zeitraum von gut 40 Jahren. Wie lang waren die Pausen zwischen den Teilen? Oder, wie potent waren die Helden? Nur einmal Sex reichte offenbar für Schwangerschaft oder ersten Überdruss.

Das Fazit nach 650 Seiten: Dieser Leitfaden ist so anregend wie unterhaltsam. Er macht das Drama ungemein lebendig, ist für Wagner-Anfänger überlebensnotwendig und auch für Kenner ein Gewinn!

  • Wolfgang Kau: „Leitfaden zu Wagners ,Ring’“, Königshausen & Neumann (4 Bände, je 14.90 Euro)