Feuilleton
Merken

Klaviermagier Chilly Gonzales: Im Morgenrock in die Semperoper

Der kanadische Tastenvirtuose mausert sich zum heimlichen Weltstar und darf nun auch in Sempers Prunkbau.

 7 Min.
Teilen
Folgen
Seinen ersten Dresden-Auftritt hatte Chilly Gonzales im Mai 2019 bei den Musikfestspielen im Kulturpalast. Jetzt kommt er in die Semperoper – wieder in ungewöhnlicher Aufmachung.
Seinen ersten Dresden-Auftritt hatte Chilly Gonzales im Mai 2019 bei den Musikfestspielen im Kulturpalast. Jetzt kommt er in die Semperoper – wieder in ungewöhnlicher Aufmachung. ©  [M] dpa / SZ

Chilly Gonzales, bürgerlich Jason Charles Beck, ist ein klassisch ausgebildeter Pianist, der aber sehr lässig sowohl mit Jazz als auch mit diversen Pop-Spielarten jongliert. Für seine Arbeit mit Daft Punk etwa bekam er 2014 einen Grammy. Der 50-jährige Kanadier, der in Köln lebt, vermischt in seinen Shows nicht nur Deutsch und Englisch zu einem einzigartigen Kauderwelsch, sondern improvisiert zudem auf höchst unterhaltsame Weise. Bevor Chilly Gonzales am 9. November in der Dresdner Semperoper auftritt, spricht er im Interview – doch lieber auf Englisch als in gebrochenem Deutsch – über die Liebe zu Extremen, Details seines Outfits und die spezielle Verbindung zum Publikum.

Bei Ihrer brandneuen Show verwandelt sich die Bühne in ein Labor – was genau wird da erforscht?

Die Bühne ist ein Labor, weil ich keinen Song aufnehmen kann, bevor er drei Tests bestanden hat. Der erste Test ist, ob er mir gefällt. Der zweite Test ist, ob meine Gruppe liebevoller, aber ehrlicher, anspruchsvoller und attraktiver Freunde – also meine Peer-Group vertrauenswürdiger Musiker – glaubt, dass es ein gutes Musikstück ist. Schließlich muss ich es mit dem Publikum austesten, und da kommt das Labor ins Spiel. Ich kann die Songs auf verschiedene Art und Weise gestalten. Genau genommen ist also das Publikum das Labor. Es ist der letzte und dritte Schritt bei der Entscheidung, ob ich einen Song aufnehme und er zu etwas Offiziellem wird.

Ist die spontane Verbindung mit dem Publikum für Sie ein entscheidendes Mittel, um alles aus der Musik herauszuholen?

Ich würde sagen, dass diese spontane Echokammer wesentlich ist. Ich denke, jedes Konzert hat die Chance, einzigartig zu sein, aber man muss sich davon lösen, immer alles zu spielen. Es ist ein bisschen wie eine Militäroperation: Man bereitet sich in gewisser Weise vor, ist „tapfer“, wie die Deutschen sagen würden, und akribisch. Man bereitet sich mit Disziplin und Intellekt vor, und wenn man dann da oben steht, wird man zur „Rampensau“ – eine „Sau“ ist ein wildes Tier, daher der Begriff. Man muss loslassen und seinen Instinkten vertrauen, wie es ein Tier tun würde. Nur so kann jede Show zu dem werden, was sie sein soll. Das kann auch bedeuten, dass eine Show manchmal unbeholfen wird oder dass man negative Energie herauslässt. Manchmal geht es nur um Frieden, Liebe und Spaß. Manchmal ist es ein bisschen von allem. Aber wenn jede Show einzigartig ist, verlässt das Publikum sie mit dem Gefühl, etwas erlebt zu haben, das noch nie passiert ist und nie wieder passieren wird. Das ist auf jeden Fall ein Grund, um wiederzukommen und meine Show drei Jahre später anzusehen!

Zuletzt waren Sie 2019 im Dresdner Kulturpalast zu Gast. Wie haben Sie das Dresdner Publikum in Erinnerung?

Wir hatten einen wunderbaren Auftritt im Kulturpalast! Ich freue mich schon sehr darauf, in der Semperoper zu spielen. Ich hatte eine tolle Erfahrung in Dresden! Es war ein eher ruhiges, klassisches Publikum, aber sie waren total offen für das, was ich gemacht habe. Ich glaube, Malakoff Kowalski stand mit mir auf der Bühne, mit meiner damaligen Band, und wir hatten eine fantastische Zeit. Ich freue mich also sehr auf die Fortsetzung.

Diesmal treten Sie in der Semperoper auf, einem echten Prachtbau. Empfinden Sie das als eine Art Upgrade?

Ich glaube nicht, dass es um Upgrades geht. Mir geht es darum, jedem Konzert die Chance zu geben, ein eigenes, einzigartiges Event zu sein. Daher ist es immer Teil der Strategie, den Ort zu wechseln, an dem wir spielen – ein neuer Ort setzt der Show einen unbewussten Rahmen. Manchmal spielen wir in wunderschönen Gebäuden wie der Semperoper, was den punkigen Aspekten meiner Musik erlaubt, besonders zu glänzen und einen Kontrast zu schaffen. Manchmal spielen wir an einem eher abgerockten Ort und dann hat die Raffinesse in den Kompositionen die Chance, als Kontrast hervorzustechen. Es geht eigentlich immer darum, Kontraste zu schaffen. Jeder Veranstaltungsort bietet dafür einen einzigartigen Rahmen, in dem ich bestimmte Aspekte meiner Arbeit hervorheben kann.

Viele Musikerinnen und Musiker stecken in der Vergangenheit fest. Ein uninspirierter House-Beat über einen Klassiker und fertig ist der Remix-Hit fürs Radio-Gedudel. Wie reist man musikalisch in die Zukunft?

Ich glaube, man reist in die Zukunft, indem man in sich selbst reist. Wenn man sich anhört, was die anderen machen, wird man davon beeinflusst und die eigene Musik bleibt stecken – ich denke eher in der Gegenwart als in der Vergangenheit. Die kollektive Gegenwart, in der die Menschen einander beobachten und entweder bewusst oder unbewusst imitieren: Das ist es, was die Musik verlangsamt. Umso mehr man ignoriert, was die anderen tun, desto mehr reist man in sich selbst. Man findet die Zukunft, einfach weil man origineller wird. Ich mache gern Musik, die sich modern anfühlt, obwohl ich hauptsächlich akustische Instrumente verwende. Es gibt Millionen von Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. In die Zukunft zu reisen, muss nicht immer bedeuten, die neuesten Technologien einzusetzen.

Sie verstehen sich als Entertainer und Künstler, außerdem sind Sie Weltrekordhalter für das längste Solokonzert mit über 27 Stunden. Tragen ein wenig Ausschweifung und Witz einfach am besten durch einen Abend?

Alles, was ich mache, ist in gewisser Weise extrem. Wenn ich ein Solo-Klavier-Album mache, wird es eine sehr zarte, intensive, ruhige Angelegenheit. Wenn ich eine meiner epischen Rap-Orchesterkompositionen mache, wird es bombastisch. Innerhalb dessen gibt es natürlich viele emotionale Schattierungen. Ich mag es, die Dinge in gewisser Weise auf die Spitze zu treiben. Das 27-Stunden-Konzert war 2009, also lange her. Ich bin mir nicht sicher, ob ich so etwas jetzt machen könnte, weil sich die Art dessen, was ich auf die Spitze treiben will, immer ändert. Damals musste ich das tun, um mir und der Welt zu beweisen, dass ich es kann. Ich bin jetzt wo ganz anders, also werden sich die Formen ändern. Aber was auch immer die dahintersteckenden Emotionen sind, ich möchte sie erforschen, hervorheben, übertreiben, ausstellen und schließlich absterben lassen, um sie durch andere Extreme zu ersetzen.

Ihre aktuelle Single „Music is Back“ ist ein englischsprachiger Rap-Song voller Sprachwitz und Homofonie. Sie zogen vor über 20 Jahren nach Berlin und wohnen mittlerweile in Köln. Könnten Sie so etwas Trickreiches auch auf Deutsch verfassen? Welche Rolle spielt die Sprache für Sie beim Komponieren?

Es ist sehr interessant, dass Sie nach dem Rappen auf Deutsch fragen, denn ich schreibe gerade auf Französisch! Ich spreche fließend Französisch, aber nicht fließend Deutsch, traurigerweise. Manchmal, wenn ich mit Leuten auf Deutsch rede, weisen sie mich darauf hin, dass ich meine ganz eigene Art habe, die Sprache zu sprechen! Dass ich vielleicht auf einen Satz stoße, den sich ein deutscher Muttersprachler gar nicht trauen würde zu sagen. Das ist ein Vorteil – es hat einen Vorteil, ein Anfänger zu sein, ein Dilettant. Das ist etwas, worüber ich oft nachdenke ... Ich werde Sie darüber auf dem Laufenden halten, aber ich denke, meine Grundkenntnisse der deutschen Sprache müssten sich erheblich verbessern, damit ich das ernsthaft angehen könnte. Trotzdem ist es eine Sache, die mir in den letzten Monaten durch den Kopf gegangen ist, also dranbleiben. Das ist nichts, was über Nacht passiert.

Bleibt Ihre Garderobe wie gewohnt – Slipper und Morgenrock? Oder gibt es in der Semperoper ein paar pompöse Nuancen, vielleicht Seide oder Spitze?

Das müssen Sie bei meinem Konzert im November schon selbst herausfinden – keine Spoiler, wie man so schön sagt. Klar, meine Garderobe hat sich weiterentwickelt, aber die Grundlage Pantoffeln und Bademantel bleibt bestehen. Es gibt einige andere Elemente, die ich langsam aber sicher verändert habe. Ein Blick auf mein Instagram zeigt Ihnen, in welche Richtung ich mich entwickelt habe. Das bringt uns auch zum Wiederaufbau und zur Neuerfindung, was ja offensichtlich die ganze Geschichte von Chilly Gonzales ist, nicht wahr? Von Rap zu Klaviersolo und wieder zurück. Ja, es ist unerlässlich, sich ständig zu erneuern. Das ist die Grundlage, die Einstiegsebene, um Künstler zu sein. Wenn ein Künstler das nicht tut, Überraschung, dann ist er eben kein Künstler.

Das Interview führte Viktor Dallmann.

Das Konzert: Chilly Gonzales, 9. 11., Semperoper, Dresden; Tickets unter 0351 48642002