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So begeistert Startenor Rolando Villazón an der Dresdner Semperoper

In Dresden macht der Spanier aus seiner Titelrolle in "l'Orfeo" eine extrem bewegende Charakterstudie und eine Gesangs-Meisterleitung.

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Großartige Sangesleistungen, berauschendes Bühnenbild: Rolando Villazón in der Titelrolle des Orfeo mit Euridice (Anastasya Taratorkina) und Puppenspieler Angelo Konzett.
Großartige Sangesleistungen, berauschendes Bühnenbild: Rolando Villazón in der Titelrolle des Orfeo mit Euridice (Anastasya Taratorkina) und Puppenspieler Angelo Konzett. © Ludwig Olah

Von Jens Daniel Schubert

Der Ton verklingt. Der Ruhm verblasst. Das einzig Beständige ist der Tod. Und kannst du wie Orpheus singen, die verlorene Liebe bleibt verloren. Aber seine Geschichte bewegt, berührt die, die sie hören. In der Semperoper hatte Monteverdis „L’Orfeo“ Premiere. Mehr als vierhundert Jahre nach der Uraufführung dieser wohl ältesten Oper überhaupt wurde sie erstmals an Dresdens Opernhaus inszeniert.

Die Optik war ungewöhnlich und stark. Die szenischen Lösungen verbinden Archaisches mit Modernem. Die Musik wurde von der „lautten compagney Berlin“ unter Wolfgang Katschner interpretiert, die Titelrolle sang Rollando Villazón. Das Publikum im ausverkauften Saal war begeistert, erhob sich und der Applaus wollte nicht enden. Am Sonntag war es. Nur Erinnerung klingt noch.

Die Geschichte des Sängers, der am Hochzeitstag seine Braut verliert, stammt vom antiken Dichter Ovid. Viele Künstler, vor allem Musiker, haben seither von Orpheus erzählt, der mit seinem bewegenden Gesang sogar bis in die Unterwelt vordringt. Dreh- und Angelpunkt ist, dass die Rückkehr der Euridice in die Welt der Lebenden an die immer gleiche Bedingung geknüpft ist. Der ihr voraus gehende Bräutigam darf sich nicht zu ihr umdrehen.

Die Gründe, warum er es dennoch tut, sind je unterschiedlich ausgelegt worden. Aber der Weg ist genauso lang, dass er unter diesen Bedingungen nicht zu schaffen ist. Je näher das Ziel, umso deutlicher wird, dass es nicht erreicht werden kann. Auch wenn die Zuschauenden Hoffnung haben, im Schattenreich gibt es sie nicht.

Apollons Sohn wird von Bacchantinnen zerfleischt

Bei Ovid zerreißen und zerfleischen die Bacchantinnen, Anhängerinnen des Weingottes und der sinnlichen Künste, den Sohn des Apollon, der für die abgeklärte, aufklärende vergeistigte Kunst steht. Monteverdi wählt den „Deus ex machina“ als weniger blutige Lösung. Der Vater holt den Sohn heim in den Himmel. Eine geradezu christliche Apotheose. Grund genug für die „lautten comagney“ als Finalsatz ein musikalisch passendes Stück aus Monteverdis „Marienvesper“ mit dem Lob auf den dreifaltigen Gott samt Halleluja einzusetzen.

Monteverdis Musik löst bei vielen Menschen Begeisterung aus. Andere aber sind ob der ungewohnten Länge, den zahlreichen Wiederholungen und ungewohnten Verzierungen verunsichert, wenn nicht gar abgestoßen, läuft sie doch heutigen Hörgewohnheiten zuwider. Dass der Abend in der Semperoper so uneingeschränkt fesselnd, von großer Dichte und poetischer Spannkraft war, lag zunächst natürlich an der großartigen musikalischen Interpretation.

Musik an der Grenze zwischen Renaissance und Barock

Die Spezialisten für Musik an der Grenze zwischen Renaissance und Barock auf ihren klangvollen historischen Instrumenten ließen niemals Zweifel aufkommen, dass jede Wiederholung, jede Verzierung, jede Verlangsamung der Handlung bis zum Stillstand genau an dieser Stelle notwendig ist, die dramatischen Situationen auszukosten und zu entfalten. Mit großem Schwung und vergnüglichem Musizieren wurden dagegen Kontrastpunkte gesetzt. Das große Solistenensemble und der hervorragende Staatsopernchor setzten die instrumentale Leistung adäquat im vokalen Bereich fort.

Bühnenbildner Jacob Brossman hat der Inszenierung einen abstrakten, hochästhetischen Rahmen gegeben. Im schlichten schwarz-weiß zieht sich eine Treppe über die gesamte Bühne aufsteigend zum Bühnenhintergrund. In der Mitte eines kreisrunden weißen Spielfeldes steht ein alter knorriger Olivenbaum. Den Rand der geordneten Bühnenfläche bilden wüste Felsen. Die mittlere weiße Scheibe kann sich drehen und den Blick auf die Welt darunter, mit den Wurzeln des Baumes, freigeben. Ein Kreisausschnitt im dunklen Horizont spiegelt die klar begrenzte, zivilisierte Spielfläche der Erde. Sie leuchtet golden zum finalen Aufstieg in den Himmel.

Ab in die Hölle, auf in den Himmel

Cedric Mpaka hat die Kostüme gestaltet. Unschuldiges Weiß, glänzendes Gold, kontrastierendes Schwarz: nur wenige, dramaturgisch bedeutsam gewählte Farbpunkte. Regisseur Nikolaus Habjan gibt mit einem überzeugenden, faszinierend schlüssigen Kunstgriff der Geschichte eine völlig neue Dimension. Orfeo und Euridice sind lebensgroße Puppen. Geschnitzte, ausdrucksstark wirkende, silbrig glänzende Köpfe, ebensolche Hände an dünnen Stoffarmen und bodenlange, weiß-fliegende Gewänder.

Je zwei Puppenspieler und die Sänger der Partien, Rolando Villazón und Anastasya Taratorkina, führen die Figuren, verhalten sich mit und zu ihnen, sind ihnen verbunden und können sich von ihnen trennen. Auch der Höllenfährmann Caronte (Bogdan Talos) und die Unterweltfürsten Prosperina und Plutone (Ute Selbig und Tilmann Rönnebeck) haben überdimensionierte, teils illuminierte und von innen heraus qualmende Puppen. Die Höllengeister im Wurzelwerk des Olivenbaums sind übergroße leuchtende Köpfe und Hände.

Villazón gelingt eine überaus bewegende Interpretation

In diesem bildgewaltigen Umfeld gelingt es dem Regisseur und Puppengestalter Habjan, genau abgestufte und gut nachvollziehbare Figuren zu zeigen, deren Emotionen das Publikum ergreifen und bewegen.

Er erzählt insbesondere die Gefühle vom Abschiednehmen und Begreifen, von Widerstand und Hoffnung, von Trauer und Schmerz. Villazón gelingt eine überaus bewegende, ganz dem Ausdruck verpflichtete sängerische Interpretation. Den emanzipatorischen, aufbegehrenden, selbstverwirklichenden Ansatz, den die Figuren im Laufe ihrer langen Interpretationsgeschichte erworben haben, überlässt Habjan den mitleidenden Zuschauern.

Aber er gibt Hinweise. Etwa, dass Euridices Freundin und Todesbotin einzig im blauen Kleid agiert, die Puppen der Protagonisten auf der Erde bleiben, die schwarz gekleidete Euridice in die Unterwelt ab- und der schwarz gekleidete Orfeo an der Seite seines güldenen Göttervaters (Simeon Esper) in den Himmel aufsteigen. Ist das in der Zugabe aus der „Marienvesper“ christlicher Erlösungsmythos oder eine ernüchterte, religionskritische Sicht auf eine göttliche Welt, die jegliche Menschlichkeit verloren hat? Was steht hinter dem Tod, wenn er das einzig Beständige ist?

Wieder am 8., 12. und 18. Mai, dann erst wieder im kommenden Jahr am 5., 23., 26. und 31. Mai sowie am 3. und 6. Juni 2024. Kartentelefon: 0351 4911 705