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So war die Premiere von "Norma" an der Semperoper

Zeitlos grandiose Musik und eine überzeugende Inszenierung von Altmeister Peter Konwitschny.

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Zwei grandiose Künstlerinnen als Norma und als Adalgisa: Yolanda Auyanet (l.) singt die Titelpartie. Stepanka Pucalkova wandelt sich von der Rivalin zu Normas Freundin.
Zwei grandiose Künstlerinnen als Norma und als Adalgisa: Yolanda Auyanet (l.) singt die Titelpartie. Stepanka Pucalkova wandelt sich von der Rivalin zu Normas Freundin. © Ludwig Olah

Von Jens Daniel Schubert

Eingekreist von Frittenduft, Rummelgetöse und stampfenden Beats mehrerer Stadtfestbühnen feierte man am Samstag in der Semperoper Premiere. Bellinis „Norma“ ist eine der Vertreterinnen des Belcanto, in der die Handlung in erster Linie dazu dient, emotionale Situationen zu schaffen, und so die Musik ihre ganze Schönheit mit Macht entfalten kann. Liebe und Hass, Verrat und Treue, Leben und Tod, Krieg und Frieden – rund um die Hauptfigur Norma scharen sich ein Vater und ein Geliebter, eine Rivalin und Freundin, treu ergebene Begleiter und natürlich ein großer Chor, der die Gefühle potenziert. Das alles kann die Sächsische Staatsoper auf höchstem Niveau bieten.

Yolanda Auyanet ist eine Norma, die jede Szene, jedes Ensemble und jede Arie zu einem Höhepunkt ausgestaltet. Die berühmteste, „Costa Diva“, wird zu einer saalergreifenden Friedensutopie. Dmytro Popov gibt den von ihr geliebten Römer. Mit strahlendem Tenor ist er ein Eroberer, wie er im Buche steht. Doch auch anrührender Trauer, ehrlicher Liebe und zerknirschter Reue vermag er berückenden Ton zu verleihen. Von verführtem Mädchen bis zur betrogenen Frau, von gefährlicher Rivalin zur echten Freundin wandelt sich Adalgisa.

In der beeindruckenden Interpretation von Stepanka Pucalkova wird diese Frau zum Spiegel, zu Reibungsfläche und Resonanzraum der Titelpartie. Der beeindruckende Staatsopernchor und die in großartiger Vielfalt glänzende Staatskapelle runden die glanzvolle musikalische Leistung des Opernabends.

Die Gallier hirschen durch den gemalten Eichenwald.
Die Gallier hirschen durch den gemalten Eichenwald. © Ludwig Olah

Die musikalische Leitung lag in Händen von Gaetano d’Espinosa, eines Italieners mit großem Talent und überzeugender Interpretationskraft. Ihn verbindet eine lange, spannende Beziehung zur Sächsischen Staatskapelle. Sie begann als Konzertmeister zu Sinopolis Zeiten. Nach zahlreichen Dirigaten führte sie nun folgerichtig zur ersten Operneinstudierung und hat hoffentlich eine glanzvolle Zukunft. Der Auftakt war gelungen.

Mit Altmeister Peter Konwitschny saß am Regiepult einer, der nicht erzählbare Geschichten, krude Stoffe und schwer nachvollziehbare Handlungsstränge als Herausforderung begreift. Die passende, inhaltlich pointierte und ästhetisch ausgewogene Ausstattung lieferte ihm Johannes Leiacker. Eine durchgehend logische, klar fassbare Geschichte muss sich hier allerdings der Zuschauer selbst fabulieren. Konwitschny erzählt drei Geschichten in Abfolge, deren Beziehungen denkbar, aber nicht ausgespielt sind.

Norma in einer futuristischen Konzernzentrale
Norma in einer futuristischen Konzernzentrale © Ludwig Olah

Er beginnt, und auch das ist eines seiner wiederkehrenden, wohlvertrauten Mittel, im halbhellen Saal, der zur Ouvertüre erst volle Lichtstärke erreicht und dann mit Öffnen des Vorhangs in eine Theater- oder Comic-Welt erfundener Künstlichkeit überblendet. Fast wie im Asterix-Heft hirschen die Gallier durch den gemalten Eichenwald, mit wallenden Kutten, blonden Zöpfen und langen roten waffenfähigen Stöcken. Ihre Lust auf eine heftige Rauferei, vorzugsweise mit den Römern, ist unverhohlen. Dagegen steht im weißen Flatterhemd und mit stählernem Schwert der Römer als (gescheiterter) „Kulturbringer“. Saallicht an, damit auch der Letzte die Parallele zum Heute erkennt. Norma kommt als Deus ex machina im Ballonkorb von oben und verteilt, zum großen Lob auf den Weltfrieden, Mistelsträußchen für alle.

Das zweite Bild zeigt die private Dreiecksbeziehung. Adalgisa offenbart sich Norma als schwer verliebt und dem Keuschheitsideal nicht gewachsen. Norma hat alles Verständnis dieser Welt. Sie, die Oberpriesterin, lebt selbst in einer heimlichen Beziehung zum Römer Pollione und ist so bereits zweifache Mutter. Doch als sich klärt, dass der auch Adalgisas Verführer ist, obsiegen Eifersucht, Enttäuschung und Wut. Wie schon in der Verführungsszene zwischen Pollione und Adalgisa erweist sich Konwitschny als Meister, innere Entwicklungen und Beziehungen in theatralische Arrangements zu übersetzen.

Dmytro Popov als Römer Pollione und Jürgen Müller als dessen Freund Flavio
Dmytro Popov als Römer Pollione und Jürgen Müller als dessen Freund Flavio © Ludwig Olah

Das dritte Bild spielt in einer futuristischen Konzern-Zentrale. Die Gallier tragen graueinheitliche Kostüme und Anzüge, Norma herrscht vom Chefsessel aus. Die Verhältnisse sind nicht neu. Die anfangs Beherrschten herrschen nicht anders als ihre Unterdrücker. Der Tod auf dem Scheiterhaufen ist der gesellschaftliche: Norma muss ihren Schreibtisch räumen. In dieser Gesellschaft ist kein Platz für Frauen mit Gefühlen oder gar eigenen Kindern. Wenn Norma mit roten High Heels und Sonnenbrille, ihren Utensilienkarton auf der einen, Adalgisa auf der anderen Seite, davongeht, sieht man noch einmal, wo Konwitschny seine Sympathien verortet. Wahrscheinlich ist der gesellschaftliche Tod in diesem uniformen System der ultimative Befreiungsschlag.

Einige wenige Buhs gehörten eher zum guten Ton und konnten sich in der allgemein wohlwollenden Annahme der Inszenierung und dem Jubel für die musikalische Interpretation nicht durchsetzen.

Nächste Termine: 5., 10., 17., 23. und 31. Oktober Kartentelefon: 0351 4911 705