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So enttäuschend ist "Unterleuten" an den Landesbühnen Sachsen

Erfolgsroman als Theaterstück: „Unterleuten“ in Radebeul zeigt die Gerechtigkeiten kleingeistiger Krämernaturen. Doch wer das Buch nicht kennt, hat Pech.

Von Marcel Pochanke
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Inszenierungsfoto | mit: Frank Siebers, Tom Hantschel, Sandra Maria Huimann (v. l.)
Foto: René Jungnickel
Inszenierungsfoto | mit: Frank Siebers, Tom Hantschel, Sandra Maria Huimann (v. l.) Foto: René Jungnickel © René Jungnickel

Wenn in Oberammergau die Passionsspiele stattfinden, steht praktisch der ganze Ort auf der Bühne. An diesen Vorgang erinnerte die Premiere von „Unterleuten“ am Sonnabend bei den Landesbühnen in Radebeul. 33 Figuren aus dem Roman von Juli Zeh, die drei Live-Musiker und Doppelbesetzungen nicht eingerechnet, stehen dort auf dem Tableau. Wie bei Dostojewski sei das, man verliere den Überblick, wer noch mal wer war, bekennt Frederik Wachs (Moritz Gabriel) inmitten der Handlung. Wachs, aus Berlin zugezogen, schaut wie der Zuschauer von außen auf Unterleuten, jenes landwirtschaftlich geprägte Dorf, das die Radebeuler Aufführung aus Brandenburg nach Sachsen verlegt.

Wer das Buch nicht kennt, hat Pech

Viel aktuelles Sachsen findet sich in dem Stück überraschenderweise aber nicht. Keine Wölfe, AfD oder Corona, welche die Dorfbevölkerung spalten. Die 2010 spielende Ausgangslage des Erfolgsromans, in dem beim Streit um die Errichtung eines Windparks alte Rechnungen aufgemacht und persönliche Interessen ausgespielt werden, bleibt unangetastet. Wer das Buch gelesen hat, vermag in den durch Zwischenspiele einer Blechblas-Combo unterteilten Szenen vieles wiedererkennen.

Der Vorlage folgend, kommt nacheinander jede Figur mit ihrer Perspektive zu ihrem Recht. Wer das Buch nicht kennt, hat es nicht leicht, die Geschichten und Konflikte zu verstehen. Hier hilft ein Blick ins Programmheft, das kurze Steckbriefe der Figuren liefert. Die Handlung könnte, ersetzte man die zu errichtenden Windräder durch andere Anlagen, auch vor 100 Jahren spielen. Das gilt auch für Sprache, Kostüme und die Art, wie die Dorfbewohner miteinander umgehen.

Diese Zeitlosigkeit bietet Geschichten für jeden und tut dabei keinem wirklich weh. Nehmen wir noch einmal den erwähnten Dostojewski. Auch wenn sich dort viele Figuren tummeln, gibt es klar positionierte Antagonisten mit großen Ideen. In Unterleuten leben stattdessen graue Krämerseelen mit ihren eher kleinlichen privaten Interessen. Selbst als Kron (Michael Berndt-Cananá), ehemaliger LPG-Brigadeführer, auf der Dorfversammlung zur großen Rede über Kapitalismus und verlorene Gemeinschaft ausholt, versandet der Auftritt in Geschrei und persönlicher Kränkung.

Wie spannend wäre es gewesen, hier einmal Fragen an das Radebeuler Publikum zu richten, dem „sächsischen Nizza“, wie und auf wessen Kosten es denn möglicherweise zu Villen und Ruhestandbezügen gekommen sei. Schließlich sitzt dieses, so hat es Regisseur Manuel Schöbel klug eingerichtet, bereits inmitten der Versammlung. Die Sprecher sind im Saal verteilt, während im Publikum der Stammtisch platziert ist, zu dem sich Bedienerinnen mit vollen Biergläsern an den Zuschauern vorbei immer wieder den Weg bahnen und an dem der Bürgermeister (Matthias Avemang) später seinen Skat drischt.

Entscheidende Fragen kaum gestellt

„Ich habe nichts davon, das Dorf mit toxischen Fragen nach Schuld oder Unschuld zu vergiften“, raunt er mit dem Glas in der Hand. Nur: Welcher Bürgermeister eines sächsischen Dorfes redet so? Die Sprache mag dem kunstvoll gedrechselten Text von Juli Zeh als Roman-Ton zu Gesicht stehen, kommt aber auf der Bühne unwirklich daher. An einer Stelle erleidet der cholerische Kfz-Schrauber Bodo Schaller einen Motorradunfall. Ein Auto ist verwickelt, Fahrerflucht, Schaller wird in den Wald geschleudert, gefunden, er liegt vier Monate im Krankenhaus, die Tochter geht weg. All das berichten er und seine Tochter (Tammy Girke) statisch auf zwei Holzhockern am Bühnenrand sitzend. Oft werden Video und andere Medien im Theater überbordend eingesetzt, hier wünscht man sich davon mehr, ebenso eine forschere Straffung von Handlung und Figurenaufgebot.

Wenige Wünsche lassen die Schauspieler offen. Zehs Figuren geben Raum für Doppelbödigkeit, die etwa Alexander Wulke als Schaller stark auslotet. Er ist der Typ wuchtiger Sympath, der das Herz am rechten Fleck zu tragen scheint, für den man aber nicht auf der falschen Seite stehen sollte. Herausragend auch Tom Hantschel als Rudolf Gombrowski, dem (zunächst) so erfolgreichen wie verkannten Strippenzieher im Ort.

Dass der Ort überall sein könnte, zeigt auch das Bühnenbild von Ralph Zeger. Wir blicken auf hölzerne Fronten, die wie Rückwände einer potemkinschen Fassade wirken. Was sich dort nach außen zeigt, bleibt der Fantasie überlassen. Drinnen ist die Gemeinschaft Idyll und Illusion zugleich. Probleme werden nicht gelöst, stattdessen wird einfach gemacht. Nicht, weil es gut und richtig wäre, sondern weil es sich für den Einzelnen so anfühlt. Opfer sind in Kauf zu nehmen. Aber die wirklichen, die entscheidenden Fragen werden kaum gestellt. So geht es zu unter Leuten.

Wieder: am Freitag und 4. März in Radebeul, Termine auch in Meißen und Großenhain. Kartentel. 0351 8954214