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Sven Helbig bekommt den Dresdner Kunstpreis

Der Dresdner Komponist Sven Helbig arbeitet für Rammstein und die Pet Shop Boys. Jetzt spielt er Eigenes in der Staatsoperette.

Von Andy Dallmann
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Der Komponist Sven Helbig ist der neue Dresdner Kunstpreisträger.
Der Komponist Sven Helbig ist der neue Dresdner Kunstpreisträger. © Claudia Weingart

Den Kunstpreis der Landeshauptstadt Dresden 2022 erhält der Komponist Sven Helbig. Er "ist mit seiner Strahlkraft und seinem Innovationsdrang nicht nur für die kulturelle Landschaft in Deutschland prägend. International unterwegs, wandelt er zwischen den Genres, sprengt Definitionen und produziert damit einen neuen Ausdruck", so die Jury. Helbig, 1968 in Eisenhüttenstadt geboren, kam mit 20 nach Dresden, um Musik zu studieren. Mit Markus Rindt gründete er 1996 die Dresdner Sinfoniker, spielte Jazz, schrieb eigene Stücke und arbeitete als Komponist und Produzent für namhafte Kollegen. Bevor er sein neuestes Album live in Dresden vorstellt, spricht er über seine Ideen, über den Abschied vom Schlagzeug und darüber, dass niemand weiß, wann die nächste Rammstein-Platte erscheint.

Was ist aufregender für Sie: die Veröffentlichung eines Albums oder das dazugehörige Konzert?

Heutzutage geht ja niemand mehr am Tag X in einen Laden und ist total gespannt auf ein neues Album. Da trödelt eine Veröffentlichung lange vor sich hin, ist durch diese Streaming-Möglichkeiten etwas entwertet. Früher stand man in einer Schlange vorm Saturn, hörte dann in die Songs rein und überlegte sich dabei, ob man die 30 Mark nun ausgibt oder nicht. Heute weiß ja jeder längst vorher, wie das Album klingt, ist vielleicht mit einzelnen Songs zufrieden. Nur eine Minderheit geht los und kauft sich eine CD oder eine Platte. Der Tag der Veröffentlichung ist also nichts Besonderes, die Fertigstellung eines Albums schon.

Gehen Sie ähnlich nüchtern an das bevorstehende Dresdner Konzert heran?

Auf keinen Fall. Es ist das erste Konzert mit dieser Musik, das ist natürlich mit viel Aufregung verbunden. Funktioniert das überhaupt live? Es ist ja eher monochrome Musik ohne eine Zirkusnummer, wo jeder noch mal ein Solo hat. Keine Ahnung, wie das ankommt. Es ist eben kein Mozart-Abend. Den will man soundso haben, kriegt ihn, ist hinterher glücklich. Dann findet alles auch noch zu Hause statt. Das ist völlig neu. Beim letzten Album war die Premiere in Berlin. Das ist viel anonymer, da kann ich mich ein bisschen entspannen.

Der Druck ist in der Heimat größer?

Auf jeden Fall. Ich kenne hier sehr viele Leute, hier kommen auch Freunde ins Konzert, und die gucken mit einem ganz anderen Blick drauf. Da sind die Reaktionen nicht nüchterner, sondern vielleicht ein bisschen klarer, unverfälschter. Eigentlich wollte ich ursprünglich lieber das erste Konzert wieder in Berlin spielen, wurde dann aber überzeugt. Und jetzt freue ich mich auch drauf.

Wer genau spielt Ihre Musik live?

Das Hamburger Ensemble Reflektor, in diesem Fall konkret ein Streichquartett plus drei Hornisten. Den Tuba-Part wiederum übernimmt Tom Götze, ein alter Freund von mir aus Dresden. Die Hamburger konnten keinen Tubisten aufbieten, Tom hatte ja bereits das Album mit eingespielt. Somit passt das perfekt.

Halten Sie selbst sich abseits?

Nein, im Gegenteil. Ich bin auf der Bühne, übernehme alles, was an elektronischen Klängen einfließt. Das ist seit Jahren mein Hauptbetätigungsfeld als Musiker.

Spielen Sie eigentlich manchmal noch Schlagzeug?

Zurzeit gar nicht. Vor Corona habe ich in der Dresdner Musikkneipe Blue Note manchmal mit Freunden kleine Jazz-Konzerte gegeben. Aus so einer verklärten Sentimentalität heraus. Das war ganz toll, das alles vermisse ich auch sehr. Aber das werden wir wahrscheinlich nach dieser komischen Corona-Zeit nicht wieder aufnehmen. Wir haben alle unsere Leben, unsere Jobs und wir werden auch immer älter. Obwohl wir uns natürlich weiterhin ziemlich jung fühlen.

Aber Sie haben noch ein Schlagzeug?

Ja, schon. Das steht allerdings verpackt im Keller und da wird es wohl auch bleiben. Um auf meinem einstigen Niveau spielen zu können, müsste ich regelmäßig üben. Doch die Zeit habe ich einfach nicht.

Wie viel Dresden steckt jetzt aber in Ihrer neuen Musik?

Dass mein Großvater, um den es hier auch geht, aus Kamenz stammt, meine Eltern wieder in Dresden leben, meine Familiengeschichte viel mit der Region zu tun hat, steckt auch in der Musik. Die Stücke von "Skills" sind für mich also eine sächsische Erzählung. Da geht es um Tradition, nicht nur um das Handwerk. Das ist vielmehr eng gekoppelt an das, was man gerade für wichtig hält, für richtig und schön. Die romantische Erinnerung an die weihnachtlichen Klöße trifft da auf den Stolz, den ich empfinde, wenn ich den Kupferkessel sehe, den mein Großvater als Meisterstück geschmiedet hat.

Der Titel "Skills", also Fertigkeiten, ist absolut bodenständig gemeint?

Unbedingt.

In welche Schublade würden Sie diese Musik stilistisch einsortieren?

Unter moderne Klassik vielleicht. Ich mag solche Schubladen allerdings nicht. Von so einer Markierung kommt man ja dann lebenslang nicht mehr weg. Ich glaube, die Minimalisten wollten beispielsweise auch nicht Minimalisten genannt werden. Grundsätzlich gibt es jedoch seit etwa zehn Jahren eine interessante Bewegung. Modern Klassik oder Neoklassik von Komponisten, die ganz andere Wurzeln haben. Die kommen eher aus dem Ambient oder Postrock, benutzen jetzt Streichinstrumente statt Gitarren und Keyboards, erreichen ein völlig anderes Publikum als das, was sonst in klassischen Konzerten sitzt. Langsam gewöhnen sich sogar die Musikkritiker daran, dass zeitgenössische Klänge nicht äußerst komplex, experimentell, schwer verständlich sein müssen.