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Wem nützen Trigger-Warnungen im Theater, Kino oder Museum?

Vor vielen Veranstaltungen lesen Besucher beispielsweise: "Achtung vor Szenen mit explizierter Nacktheit und grellem Licht!". Das ist gut gemeint - doch es gibt unerwünschte Nebeneffekte.

Von Bernd Klempnow
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Mancher findet das Bild anregend zum Besuch, ein anderer abstoßend. Wer mag das entscheiden? Jeder selbst?
Mancher findet das Bild anregend zum Besuch, ein anderer abstoßend. Wer mag das entscheiden? Jeder selbst? © Julian Mommert

Vor geraumer Zeit im Museum Moritzburg in Halle. In einer Willi-Sitte-Schau warnen Schilder vor Gemälden wie „Liebespaar im Badezimmer“. Man könne das Bild so interpretieren, dass der Mann die Frau gegen ihren Willen anfasse. In diesem Frühjahr im Staatsschauspiel Dresden: Es läuft das Stück „Appetit“ und im Programmheft wie auf der Website heißt es: „In der Inszenierung wird das Schlachten und Zerlegen unterschiedlicher Tiere beschrieben und in drei Einspielungen gezeigt.“ Vor ein paar Tagen in der Semperoper zur Uraufführung von „Chasing waterfalls“ weist man explizit auf den „Einsatz von grellen Stroboskop-Effekten“ hin.

Oder im Kino, wo selbst im Werbesports vor "echten Hass-Ausbrüchen" gewarnt wird. Jetzt startet im Festspielhaus Hellerau das Festival „Hybrid Biennale“, das übergreifend analoge mit digitaler sowie darstellender und bildender Kunst in performativen, installativen und musikalischen Projekten präsentiert: Auf der Website gibt es für viele Veranstaltungen einen Unterbutton mit Trigger-Warnungen. Die gehen von „Wut auf der Bühne“ und „kein fester Sitzplatz“ über „grelles und flackerndes Licht“ bis zu „starke Bässe“.

Angst erst durch geschärfte Sinne

Bei anderen Produktionen wurde schon auf „Szenen mit explizierter Nacktheit“ verwiesen oder auf „Handlungen, die sexuellen Missbrauch thematisieren, was belastend oder retraumatisierend wirken könnte“. Warnungen vor Triggern, also bestimmten Reizen wie Geräusche, Gerüche und Bilder, die bei Menschen mit einer traumatischen Vorerfahrung das ursprüngliche Trauma wieder auslösen können, sind zunehmend an der Tagesordnung. Speziell bei modernen Produktionen.

Wenn aber in der „Macbeth“-Inszenierung ohne Zahl gemordet wird oder in der Opern-Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ Freiheitsberaubung, Menschenhandel, Inzest, Totschlag, Brandstiftung und mehr passieren – da warnt keiner. Bei Shakespeare oder Wagner, so argumentieren die Häuser, gehe man davon aus, dass man nicht über den Inhalt aufgeklärt werden müsse. „Aber bei unbekannteren oder neuen Stücken, wenn vielleicht Unerwartetes passiert.“

Gleich mehrere Reizmotive; Polizisten, offenbar Gewalt und Nebel - sie können Trauma auslösen.
Gleich mehrere Reizmotive; Polizisten, offenbar Gewalt und Nebel - sie können Trauma auslösen. © AP

Deshalb sind Häuser wie Semperoper und Staatsschauspiel eher zurückhaltend in der Anwendung. „Da Trigger-Warnungen immer den Eindruck des subjektiven Erlebens betreffen, gibt es kein standardisiertes Verfahren“, so Franziska Blech, Sprecherin des Staatsschauspiels. „Wir bieten daher zusätzliche Informationen direkt stückbezogen an. So kann jeder entscheiden, welche einzeln aufgeklappt werden sollen.“

Ausgewählte Warnungen gibt es vor körperlicher, seelischer oder sexualisierter Gewalt, Kindesmissbrauch, Selbstverletzung, Krieg, Suizid, Essstörungen und Süchten, Rassismus, Homo-/Inter-/Transfeindlichkeit, Altersdiskriminierung, Mobbing, Bodyshaming und Tierquälerei … Man sei sich bewusst, dass die Warnungen ein Stück die Inszenierung vorwegnehmen. „Wir glauben aber fest an die Selbstbestimmung und -einschätzung der Zuschauer. Daher überlassen wir ihnen die Entscheidung, ob sie die Zusatzinformationen lesen und bedenken möchten.“

Deutlich stärker nutzt das Festspielhaus Hellerau diese Form der Kommunikation. „Wir wollen offen für alle sein und Rücksicht auf verschiedene Bedürfnisse und persönliche Situationen nehmen“, sagt André Schallenberg, Programmleiter für Theater und Tanz. „Deshalb sagen wir den Besuchern vorab, was sie erwartet.“ Vor allem von jüngeren Menschen sei das gewünscht und werde auch von den Künstlern oft eingefordert. Explizit erfrage man bei ihnen etwa Altersbeschränkungen, erhöhte Lautstärke, besondere Lichtverhältnisse, Darstellungen von geschlechterbasierter, sexualisierter, politischer, kriegsähnlicher und selbstverletzender Gewalt ab. Die Hintergründe sind klar: Stroboskop-Licht kann epileptische Anfälle auslösen, zu starke Lautstärke kann Migräne hervorrufen, bestimmte Situationen können zu Traumata oder Angstzuständen führen.

Freilich muss man wissen: Nur etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung entwickeln pro Jahr eine posttraumatische Belastungsstörung. Mehr als die Hälfte davon werden laut WHO durch den Tod eines geliebten Menschen ausgelöst, weitere 40 Prozent durch Unfälle, Überfälle und Krankheiten. Bei knapp fünf Prozent gab es missbräuchliche Erfahrungen im privaten Umfeld. Zudem: Die meisten Diagnosen klingen im Laufe eines Jahres ab. Die Heilungsquote bei längeren posttraumatischen Störungen durch Therapien, für die es zu wenige Plätze und lange Wartezeiten gibt, liegt Experten zufolge bei drei Viertel.

Eine der wenigen Studien zu dem Thema aus Harvard kam zu dem Schluss, dass Trigger-Warnungen häufig eher Erwartungsangst triggern. Die Angesprochenen würden mit geschärften Sinnen auf die als problematisch benannten Stellen warten. Das diene kaum der Angstfreiheit.

Neutraleres Wort könnte entspannen

Wie weit man diese Form der Barrierefreiheit treiben kann, zeigt das niedersächsische Festival „Theaterformen“. Das zählt inflationär 2.000 Wörter umfassende Warnungen auf, darunter auch solche vor Polizeiuniformen, akrobatischen Elementen wie Kopfstand sowie Bühnennebel, Weihrauch und Akteuren in Latexstiefeln.

André Schallenberg vom Festspielhaus Hellerau plädiert für einen „entspannten Umgang mit Triggern. Wir informieren nur, wo es nötig ist, so wie wir auch über die Stücklänge, den Saalaufbau und die Sprache informieren.“ Er persönlich findet auch die erregende Wortwahl „Warnung“ falsch. „Hinweis“ wäre besser – aber da sei man in Hellerau noch in der Diskussion.