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"Auch ein Fünfstundentag gibt den Leuten eine Alltagsstruktur"

Die Debatte um die Einführung des Bürgergelds beschäftigt die Dresdner. Was erleben Menschen, die jeden Tag mit Langzeitarbeitslosen arbeiten?

Von Julia Vollmer
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V. l. n. r.: Sozialarbeiter Ingo Gutte, Werkstattleiter Thomas Springfeld und Geschäftsführerin Solveig Buder arbeiten in Dresden mit Langzeitarbeitslosen.
V. l. n. r.: Sozialarbeiter Ingo Gutte, Werkstattleiter Thomas Springfeld und Geschäftsführerin Solveig Buder arbeiten in Dresden mit Langzeitarbeitslosen. © René Meinig

Dresden. Lohnt sich das Arbeiten dann überhaupt noch? Oder ist der Ausstieg aus dem umstrittenen Hartz-IV-System nicht längst überfällig? Zwischen Fragen wie diesen bewegte sich die Debatte über die Einführung des Bürgergeldes ab 2023.

Im Bundesrat war es zunächst gescheitert, nun haben Ampel und Union einen Kompromiss gefunden, der beschlossen wurde. Was bedeutet das für betroffene Dresdnerinnen und Dresdner und wie blicken Menschen, die mit Langzeitarbeitslosen arbeiten, auf das Thema? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was genau ändert sich für die betroffenen Dresdnerinnen und Dresdner?

Zurzeit bekommen rund 12.500 Menschen in Dresden Hartz IV, das vom Bürgergeld abgelöst werden soll. Zum 1. Januar soll der Satz für einen Erwachsenen von 449 Euro auf 502 Euro angehoben werden. Für unter 25-Jährige, die bei ihren Eltern leben, erhöht sich der Betrag auf 402 Euro. Für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren liegt der Satz bald bei 420 Euro, für Kinder von sechs bis 14 Jahren bei 348 Euro. Bei Kindern unter sechs Jahren sind es 318 Euro.

Einer der größten Kritikpunkte der Union waren die beschränkteren Sanktionen. Doch die umstrittenen Maßnahmen soll es weiter geben. Wer nicht mit dem Jobcenter kooperiert, muss mit Leistungskürzungen rechnen.

Dresdens Jobcenter-Chef Thomas Berndt befürwortet das Bürgergeld. "Das Bürgergeld ist in vielen Punkten sinnvoll: Der soziale Arbeitsmarkt wird entfristet – wir können Langzeitarbeitslose längerfristig mit einem Lohnkostenzuschuss unterstützen", sagt er. Die Menschen bekämen ein berufsbegleitendes Coaching, das sei sowohl für sie als auch für die Arbeitgeber hilfreich. "Denn wir betreuen viele Bürger mit massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen, körperlich, aber auch psychosozial", sagt er.

Was denken Menschen, die in Dresden mit Langzeitarbeitslosen arbeiten, über das Bürgergeld?

Rainer Pietrusky arbeitet seit Jahren mit Langzeitarbeitslosen, Obdachlosen und Geflüchteten in seinem Projekt Chancen für Chancenlose. Dort arbeiten die Menschen bei der Parkpflege oder bei handwerklichen Projekten wie etwa bei der Jüdischen Gemeinde. Wie bewertet er das Bürgergeld? "Die Richtung ist richtig, die Regelsätze sind aber noch immer viel zu niedrig", sagt er. Er findet es aber richtig, den Fokus mit dem neuen Bürgergeld mehr auf Qualifizierung zu legen und nicht mehr nur auf die reine Vermittlung in einen neuen Job.

Er betont aber auch, es sei wichtig, langfristig mit den Betroffenen zu arbeiten. "Maßnahmen, die nur sechs Monate dauern, bringen den Menschen nicht viel. Auch in meinem Projekt gibt es Betroffene, die keine Ausbildung oder wenig Schulbildung haben. Hier brauchen wir langfristige Lösungen", so Pietrusky. Er wünscht sich, dass das Jobcenter genauer schaut, was der oder die Arbeitslose braucht. "Es gibt auch Betroffene, die aus gesundheitlichen Gründen nicht täglich acht Stunden arbeiten können, sondern nur drei. Für jene brauchen wir auch Möglichkeiten". Sanktionen findet Rainer Pietrusky falsch. "Das bringt gar nichts."

Auch Anne Klawa, Chefin und Sozialarbeiterin in der Suppenküche auf der Kamenzer Straße in der Neustadt, befürwortet ganz klar die Anhebung der Regelsätze. "Die Lebenshaltungskosten sind stark gestiegen, das brauchen die Menschen." Sie findet es aber auch gut, dass es weiter Sanktionen gibt. "Ich beschäftige bei mir selbst elf Mitarbeiter in Maßnahmen für Langzeitarbeitslose, die Menschen brauchen ein bisschen Druck", so Klawa.

Solveig Buder und Ingo Gutte vom Träger "Jugend - Arbeit - Bildung" arbeiten seit vielen Jahren mit Langzeitarbeitslosen und Geflüchteten und setzen sie ein in Maßnahmen in der Holz- oder Metallverarbeitung. Aktuell mit 150 arbeitslosen Menschen, die vom Jobcenter vermittelt werden. "Ich finde es gut, dass die Regelsätze angehoben werden, das war dringend nötig", sagt Buder. Nötig findet sie auch die Sanktionen. "Ohne ein wenig Druck würde das mit unseren Klienten hier nicht funktionieren, zumindest nicht bei allen", sagt die Geschäftsführerin des Trägers.

Sie hält es für wichtig, dass die Menschen, mit denen sie arbeitet, weiter in den Maßnahmen bleiben können. Dass diese immer auf drei Jahre befristet sind und die Menschen dann zwei Jahre auf die nächste warten müssen, sei fatal. "Viele verlieren dann die einmal mühsam eingeübte Tagesstruktur", sagt Buder.

In ihren Werkstätten arbeiten die arbeitslosen Menschen täglich fünf Stunden. "Selbst ein Fünfstundentag gibt den Leuten eine Alltagsstruktur und auch der Vati steht früh mit dem Schulkind auf", betont sie. Sie sei ein großer Fan von "Fordern und Fördern". Sie übe mit ihren Klienten neben der praktischen Arbeit auch Bruchrechnung oder Rechtschreibung.

Wie bewerten Dresdner Politikerinnen und Politiker die Debatte?

Die Dresdner SPD-Bundestagsabgeordnete Rasha Nasr betont: "Wir beenden mit dem Bürgergeld die langjährige Praxis, Menschen mit Zwang kurzfristig in Aushilfsjobs zu pressen." In Zeiten von Fachkräftemangel müsste man einen besonderen Fokus darauf legen, dass die Menschen sich qualifizieren können, damit sie nachhaltig wieder auf dem Arbeitsmarkt einsteigen können, sagt sie. "Wir bieten damit nicht nur den Menschen im Leistungsbezug eine gute und langfristige Perspektive, sondern ebenso den Unternehmen, die auch bei uns in Dresden händeringend nach Fachkräften suchen", so Nasr.

Der Dresdner CDU-Bundestagsabgeordnete Markus Reichel sagt: "Uns lag auch an der Regelsatzerhöhung, dies ist bei den aktuellen Preissteigerungen ein Muss", so Reichel. Die oberste Maxime müsse sein, dem Fachkräftemangel zu begegnen und gleichzeitig den Menschen so schnell wie möglich zu helfen, Arbeit zu finden.