Warum darf Dresden Ukraine-Geflüchtete abweisen?

Dresden. Die Stadt wird ab dem 16. Mai die Registrierung ukrainischer Kriegsflüchtlinge einstellen. Wer dann in Dresden ankommt, muss denselben Weg gehen wie jeder Asylbewerber. Dieser führt in eine Erstaufnahmeeinrichtung des Freistaats. Von dort aus werden die Flüchtlinge auf die sächsischen Kreise und kreisfreien Städte verteilt, sofern sie nicht selbst eine Unterkunft finden. Der direkte Weg in eine von der Stadt organisierten Wohnung fällt weg.
Die Masse an Flüchtlingen bringe die Verwaltung, insbesondere das Sozialamt an die Kapazitätsgrenzen, rechtfertigt Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) den Schritt, der bislang einzigartig in Sachsen ist. Dresden habe bereits über 2.000 Menschen mehr aufgenommen als es der Verteilungsschlüssel vorsieht. Aber: Kann die Stadt das einfach so entscheiden? Warum fehlen Kapazitäten? Und was passiert mit Asylbewerbern, die nicht aus der Ukraine kommen? Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zum Aufnahmestopp.
Verstößt Dresden mit dem Stopp gegen geltende Vereinbarungen?
Nein, teilt die Landesdirektion Sachsen auf Anfrage von Sächsische.de mit. "Die Einstellung der Registrierung von ukrainischen Flüchtlingen seitens der Ausländerbehörde Dresden ist rechtskonform", sagt Sprecher Ingolf Ulrich. Wegen des besonderen Status' der Ukraine-Flüchtlinge könne die Stadt diese, im Gegensatz zu Asylbewerbern, direkt aufnehmen und registrieren. Sollte allerdings die Unterbringung faktisch nicht möglich sein, darf die Verwaltung die Aufnahme aussetzen. Das Vorgehen der Landeshauptstadt sei mit der Landesdirektion im Vorfeld abgestimmt worden.
Wohin sollen sich ukrainische Flüchtlinge nun wenden?
Anlaufstelle ist ab dem 16. Mai nur noch die Erstaufnahmeeinrichtung an der Stauffenbergallee 2b. Dort können sich Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine registrieren lassen. Wer keine Unterkunft hat, findet hier auch eine Bleibe.
Dresden spricht von einer vorübergehend Regelung, die so lange greifen soll, bis die Verteilungsquote wieder stimmt.
Hat Dresden tatsächlich mehr Ukraine-Geflüchtete aufgenommen als vorgeschrieben?
Im Fall der Ukraine-Flüchtlinge hat Dresden tatsächlich mehr Menschen aufgenommen als vorgesehen, bestätigt die Landesdirektion. "Dasselbe gilt auch für die Stadt Chemnitz sowie die Landkreise Görlitz und Nordsachsen", so Ulrich. "Dies hat seinen Grund darin, dass die Ukraine-Flüchtlinge – anders als Asylbewerber – sich direkt nach ihrer Ankunft in Sachsen an eine Kommune wenden können." Dresden gehörte von Anfang an zu den begehrten Anlaufpunkten, unter anderem deshalb, weil es hier eine größere ukrainische Gemeinschaft gibt, nicht erst seit Kriegsausbruch.
Die Kommunen könnten dann frei entscheiden, ob sie auch über den üblichen Verteilschlüssel hinaus Menschen aufnehmen wollen und können. Insofern sei das Land für die Aufnahme der etwa 2.000 zusätzlichen Geflüchteten nicht verantwortlich.
Ein Ausgleich erfolgt laut Ulrich, indem die Landesdirektion solange keine Flüchtlinge aus den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen an die Stadt verteilt, bis die Anzahl der Flüchtlinge wieder der Verteilquote entspricht.
Wie beteiligt sich der Freistaat an der Unterbringung?
Mit der neu eröffneten Notunterkunft im Erlwein-Forum neben der Dresdner Messe sei es aktuell möglich, die Kapazitätsengpässe in Dresden zu entschärfen. In Dresden gebe es in Summe 2.570 Plätze, von diesen seien 1.001 frei. In ganz Sachsen gebe es seitens des Landes 8.903 Plätze, von denen 3.638 frei seien. "Im Einzelfall müssen Ukraineflüchtlinge von einer Unterkunft zu einer anderen verlegt werden", sagt Ulrich.
Warum hat Dresden nicht ausreichend viele Wohnungen?
Die Kapazitätsengpässe, von denen die Verwaltung spricht, betreffen einerseits das Personal im Sozialamt, dass sich um die Flüchtlinge kümmert. Andererseits geht es um die städtischen Unterkünfte. Als die Flüchtlingswelle aus der Ukraine noch nicht absehbar war, Ende letzten Jahres, konnte die Stadt reichlich 3.000 Flüchtlinge gleichzeitig unterbringen – in Wohnheimen sowie in vertraglich gesicherten Wohnungen, hauptsächlich beim Großvermieter Vonovia. Eine Anzahl, die ausreichte, allerdings nicht viel Spielraum nach oben zuließ.
Zwar verfügte die Stadt auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle 2015 zwischenzeitlichvon bis zu 6.885 Wohnplätze. Da in den darauffolgenden Jahren aber immer weniger Menschen Schutz in Deutschland suchten, wurden die Wohnplätze einfach nicht mehr gebraucht. Sie zu behalten, hätte viel Geld gekostet. So wurden bereits Ende 2018 zehn Heime geschlossen und die Verträge für über 400 Wohnungen gekündigt beziehungsweise nicht mehr verlängert.
Auf die Schnelle wieder an Wohnungen zu kommen, ist ein Problem. Der Wohnungsmarkt ist angespannter als noch vor sieben Jahren. Derzeit (Stand: 31. März) verfügt Dresden über 649 Wohnungen mit 2.504 Plätzen für Flüchtlinge. Davon waren Ende März 2.260 belegt. Hinzukommen die Wohnheime, wovon es Ende März neun gab. Von den 548 Plätzen dort waren 466 belegt, wobei die Landeshauptstadt immer eine Vollauslastung vermeiden wollte bzw. eine Vollauslastung oft nicht möglich ist.
Wie viele Flüchtlinge hat Dresden in den letzten Monaten aufgenommen?
Nach dem Abebben der Flüchtlingswelle 2015 schwankte die Zahl der Asylbewerber, die Dresden jedes Jahr zugewiesen wurden, zwischen 600 und 800. Die Zahl der Unterkünfte reichte, denn einerseits gelang es, Geflüchteten eine eigene Wohnung zu vermitteln. Andererseits wurden Asylbewerber abgeschoben.
Zugespitzt hat sich die Lage bereits im vergangenen Jahr. 2021 kletterte die Zahl der Flüchtlinge auf über 900, wie das Innenministerium auf eine kleine Anfrage der AfD im Landtag mitteilt. Ein Grund: Mit der Machtübergabe in Afghanistan an die Taliban verließen Tausende Menschen das Land. Und dieses Jahr? Zieht man die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine ab, so sind der Stadt bis Ende März bereits 286 Menschen zur Unterbringung zugewiesen worden.
Rechnet man die Ukrainer dazu, die nicht selbst eine Bleibe gefunden haben und auf die Hilfe der Stadt angewiesen waren und noch sind, so ergibt sich eine Zahl von 1.957 Menschen, für die die Verwaltung eine Unterkunft finden musste.
Woher kommen die Flüchtlinge?
Schaut man auf das vergangene Jahr zurück, so sieht man, dass Syrien das Herkunftsland Nummer eins bei Flüchtlingen war, die Dresden zugewiesen wurden. Dahinter folgten laut Angaben des Innenministeriums der Irak, Afghanistan, Tunesien und Georgien.
Wer nach Sachsen und später nach Dresden kommt, ist nicht dem Zufall überlassen. Die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Deutschlands regelt der Königsteiner Schlüssel. Dieser berücksichtigt nicht nur die Einwohnerzahl der Bundesländer, sondern auch deren Steuereinnahmen. Große und "reiche" Länder sind verpflichtet, mehr Asylbewerber aufzunehmen. Das zuständige Bundesamt für Migration legt auch die Verteilungsschwerpunkte nach den Herkunftsländern fest.
Die Verteilung innerhalb Sachsens regelt das Flüchtlingsaufnahmegesetz und organisiert die Landesdirektion. Einwohnerstarke Kreise und kreisfreie Städte wie Leipzig und Dresden müssen mehr Asylbewerber unterbringen als kleinere Kreise wie Nordsachsen.
In diesem Jahr liegt bisher Afghanistan an der Spitze der Asylbewerber. Zahlenmäßig suchen zwar deutlich mehr Ukrainer Schutz in Dresden. Allerdings erhalten sie seit Kriegsausbruch auch ohne Asylantrag Schutz in Deutschland. Für die Stadt spielt das bei der Organisation einer Unterkunft jedoch kaum eine Rolle.