Der einzige Engländer unter Dresdens Taxifahrern

Dresden. Ferienlaunige Leere auf der Kreuzung vor Niks Nase. Er schaut die Alaunstraße hinunter und die Louise hinauf. Nichts. Kein Auto. Minutenlang. "Dresden ist so herrlich entspannt", sagt der Taxifahrer. "Vor allem nachts."
Doch jetzt ist es mittags, und Nik hat ausgeschlafen. Auf dem Tisch vorm Café steht sein Radler. Das ist für ihn der erste Unterschied, der ihm zwischen Deutschen und Briten einfällt: Die einen treffen sich zum Kaffee, die anderen zum Bier.
Seit 25 Jahren lebt der Engländer in Dresden und mag Kaffee nicht ganz so sehr wie Bier. Doch er spricht gut Deutsch und kennt all die Antworten, die jemand geben können muss, wenn er die deutsche Staatsangehörigkeit erlangen will. Nik Davis besitzt beide, die eine von Geburt an, die andere seit knapp zwei Jahren.
Koch, Bauarbeiter, Taxifahrer
Ein Freund hatte ihn einst auf die Idee gebracht, nach Deutschland zu gehen, um Arbeit zu finden. Nach seiner ersten Ausbildung in der Gastronomie und einigen Jahren als Koch und Mitarbeiter verschiedener Hotels bekam er die Gelegenheit, auf dem Dorf als Bauarbeiter zu arbeiten. "Ich habe Mauern gepflastert und später eine weitere Ausbildung zum Gipser abgeschlossen", erzählt er.
Hier würde man Maurer sagen. Der Job machte ihm Spaß und ließ ihn leben, bis die Auftragslage schlechter wurde und er bessere Jobs in Hamburg, Heidelberg und Stuttgart bekam. Eine neue Baustelle brachte ihn schließlich nach Dresden. Der Bauboom Anfang und Mitte der 1990er-Jahre, besonders in den neuen Ländern, verschaffte ihm solide Einnahmen, für sich und die Familie, die er bald gründete.
Der Brexit setzte Davis unter Druck
Während Nik im Westen Deutschlands mit seiner Muttersprache gut zurechtkam, hatte er im Osten seine liebe Not. So lernte er Deutsch, zunächst auf eigene Faust, später professionell bis zum Level B1. Auch das gehört zu den Voraussetzungen, offiziell Deutscher zu werden.
Für Nik Davis gehörte diese Entscheidung spätestens ab dem drohenden Brexit zu seinem Weg. "Es wäre vieles sonst echt kompliziert", sagt er. Allein für Reisen nach Tschechien und Österreich bräuchte er seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ein Visum. "Als es ernst wurde damit, gab es von der Botschaft eine Informationsveranstaltung in Dresden. Da riet man uns, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen."
Zu dieser Zeit hatte er sich längst aus dem Baugeschäft verabschiedet. Das große Investieren und Sanieren hierzulande hatte sich vorübergehend erschöpft, und Nik zog mit seiner damaligen Freundin und den beiden gemeinsamen Töchtern für zwei Jahre nach Holland. "Aber auch dort wurde dann nicht mehr so viel gebaut. Deshalb haben wir uns entschlossen, nach Dresden zurückzugehen."
Ein kleines bisschen hat sich Nik Davis auf seinen ersten Beruf zurückbesonnen. Zwar bekocht und bewirtet er niemanden mehr, doch von abends bis zum frühen Morgen bringt der 54-Jährige Gäste von A nach B. Wieder zurück in Dresden, war er nach einer kurzen Phase als Chauffeur 2013 als Fahrer zu den gelben Taxis gewechselt und ist seines Wissens nach der einzige Engländer unter Dresdens Taxifahrern - ein Job, von dem er sagt: "Es gibt für mich nichts Besseres!"
Spätestens nach der Entscheidung, sich die stressigen Tagfahrten mit eiligen Geschäftsreisenden und nervigen Staus zu ersparen, hat Nik seine Leidenschaft entdeckt. "Am frühen Abend sind die Leute gut gelaunt, denn sie wollen zu einer Feier, ins Restaurant, Kino oder Theater. Nachts kommen sie gut gelaunt von ihrer Veranstaltung und wollen ins Bett." Entsprechend seien sie drauf. Was will er mehr?
"Die Leute wollen einfach nur die Sau rauslassen"
"Ich sehe sofort, was meine Fahrgäste brauchen", sagt Nik - manchmal eine ruhige, rasche Route nach Hause, meistens jedoch Party, so lange die Räder rollen. "Dann drehe ich die Musik im Auto auf 300 und die Fete geht weiter." Viele lustige Geschichten kann er von seinen nächtlichen Touren erzählen: von Heimkehrern, die ihn bitten, noch eine Runde um den Block zu fahren, weil sie nicht aufhören wollen zu feiern. Und von denen, die zum Rhythmus der Musik dermaßen rockten, dass der Wagen schwankte und vorbeifahrende Polizisten streng zuschauten.
Die Zeit des langen Lockdowns war auch für Nik Davis schwer. Kaum etwas zu tun in der Kurzarbeit. Umso mehr gehe jetzt die Post ab: "Die Leute wollen einfach nur die Sau rauslassen. Jeden Freitag und Samstag ist jetzt Silvester." Das merkt Nik auch an den neuralgischen Neustadtpunkten. Das Assi-Eck sei ihm ein Grauen, sagt er. Wenn irgendwie möglich, nehme er Fahrten in den Szenekessel nicht an.
Anlass Angst zu haben, gebe es kaum einmal. "Die Taxizentrale macht einen tollen Job, in ihrer Vermittlung fühle ich mich sicher." Aber in der Neustadt müsse er ja immer über die Kreuzung, und das sei ihm einfach zu gefährlich. "Wenn was passiert, habe ich nur Ärger" - an Leib und Leben oder am Auto. Das erspart er sich gern.
"Du klingst so sexy!"
Viel lieber fährt er die stimmungsvollen Gäste durch die Stadt, oder auch mal Supertouren nach Dortmund beispielsweise. "Das ist meine längste Fahrt bisher gewesen." Die kürzeste indes war so kurz, dass das Taxameter von den 3,90 Euro für die Anfahrt auf 4,60 Euro sprang. "Das waren ältere Herrschaften. Sie kamen vom Friseur."
Dabei fällt ihm eine Anekdote zum Abschluss ein: Nicht jeder kann seinen Akzent richtig zuordnen. Viele halten ihn für einen Holländer. "Doch wenn die Fahrgäste erfahren, dass ich aus England stamme, wollen die Männer über Fußball reden und die Frauen sagen zu mir: Du klingst so sexy!" Das erzählte er einst auch einem hochbetagten Fahrgast. Der antwortete empört: "Sie klingen überhaupt nicht sächsisch!"