Dresden
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Der vergessene Dresdner Bluttag

Im ehemaligen Dresdner Keglerheim ist es nur wenige Tage vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten bei einer Versammlung 1933 zu Ausschreitungen mit Toten und Verletzten gekommen.

Von Ralf Hübner
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"Wenn ihr geschlagen werdet, schlagt wieder": Kommunistische Großdemonstration anlässlich der Beisetzung der Toten aus dem Keglerheim 1933.
"Wenn ihr geschlagen werdet, schlagt wieder": Kommunistische Großdemonstration anlässlich der Beisetzung der Toten aus dem Keglerheim 1933. © Repro: SZ/Archiv/Werner Mohn

Das Ereignis ist fast vergessen. In der DDR war das sogenannte Blutbad im Keglerheim fester Teil staatlicher Gedenkkultur. Jetzt erinnert nur noch eine Tafel an das Ereignis vor 90 Jahren. Als die Polizei am 25. Januar 1933 eine antifaschistische Versammlung auflösen wollte, geriet die Situation völlig außer Kontrolle. Die Polizei schoss in die Menge. Neun Teilnehmer kamen ums Leben, zwölf weitere wurden zum Teil schwer verletzt.

Die Proteste hatten am Nachmittag auf dem Bönischplatz begonnen. Die KPD hatte Tage nach einer Nazi-Demonstration vor ihrer Parteizentrale in Berlin zu Protesten in ganz Deutschland aufgerufen. In Dresden hatte der kommunistische Kampfbund gegen den Faschismus die Demonstration organisiert. Nach einer Kundgebung zogen mehr als Tausend Teilnehmer zum Keglerheim in der Friedrichstraße, einem ehemaligen Ball- und Konzerthaus, der traditionellen Versammlungsstätte der Friedrichstädter Arbeiterschaft. Etwa 800 Menschen drängten sich in den übervollen Saal. Es sei von Anfang an eine "außergewöhnlich aufgeregte Stimmung festgestellt" worden, hieß es später im Polizeibericht.

"Wenn ihre gestochen werdet, stecht wieder"

Schließlich ergriff ein ehemaliges Mitglied der Nazipartei das Wort, der zur KPD gewechselt war. "Wenn ihr geschlagen werdet, schlagt wieder. Wenn ihre gestochen werdet, stecht wieder. Wenn ihr geschossen werdet, schießt wieder", soll er dem Bericht der Dresdner Nachrichten zufolge der Menge zugerufen haben. Das sei von der Polizei als Gewaltaufruf verstanden worden, der "aufsichtsführende Beamte" habe sich deshalb entschlossen, den Saal räumen zu lassen. Das Unheil begann.

Unter der Überschrift "Blutige Zusammenstöße in Dresden" zitierten die Dresdner Nachrichten in einem groß aufgemachten Bericht auf der Seite eins einen Augenzeugen. "Die Polizei wollte nunmehr in Ruhe die Versammlung auflösen und forderte die Anwesenden zum Verlassen des Lokals auf", hieß es dort. Als nach wiederholter Aufforderung zum Verlassen des Versammlungslokals dieser nicht restlos nachgekommen wurde, ging die Polizei mit dem Gummiknüppel vor. Der Saal leerte sich auf etwa ein Drittel. Nun setzte von der Galerie ein Bombardement mit Stühlen, Biergläsern, Tischbeinen und Wurfgeschossen ein.

"Die Beamten sahen sich daraufhin genötigt, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Sie feuerten zunächst Schreckschüsse gegen die Saaldecke und zur Galerie. Im Treppenhaus brach Panik aus." Die Polizei machte Notwehr geltend. Von der Galerie aus sei auf die Beamten geschossen worden.

Am Tag nach den Ereignissen sei in der Umgebung des Keglerheims noch eine "ziemliche Erregung" spürbar gewesen, berichteten die Dresdner Nachrichten weiter. Gruppen Neugieriger oder debattierender Menschen hätten beieinander gestanden. Polizei habe patrouilliert. Ein kommunistischer Umzug sei widerstandslos aufgelöst worden. In Niedersedlitz gingen die mehr als 800 Beschäftigten des Sachsenwerkes wegen der Ereignisse spontan auf die Straße.

Als die Ausschreitungen am folgenden Tag im Landtag debattiert wurden, kam es zu einer Schlägerei. Der parteilose Innenminister Friedrich Wilhelm Richter erklärte, dass er die Untersuchungen von Staatsanwaltschaft und Gericht abwarten wolle und er sich zuvor kein Urteil zu den Vorgängen erlaube. Während der späteren Rede eines kommunistischen Abgeordneten soll es angeblich beleidigende Rufe von der Pressetribüne gegeben haben, sodass ein kommunistischer Abgeordneter auf die Tribüne stürmte und auf einen nationalsozialistischen Journalisten einschlug. Ob es die Rufe tatsächlich gab, konnte nicht geklärt werden. Die Schlägerei sei von Landtagsdienern beendet worden, hieß es. Die Auseinandersetzungen seien in den Gängen des Hauses weitergegangen. Ein Nazi-Abgeordneter sei bedrängt worden und sollte vermutlich aus dem Fenster geworfen werden, was jedoch verhindert worden sei.

Wie genau es indes zu der Tragödie im Keglerheim selbst kam, konnte auch in einer Landtagssitzung am 31. Januar 1933 nicht restlos aufgeklärt werden. Innenminister Richter widersprach Darstellungen, dass die Dresdner Polizei besonders schießwütig oder gar betrunken gewesen sei und hielt an der Darstellung fest, dass auf die Polizisten geschossen wurde.

Am selben Tag kamen Zehntausende Menschen auf dem Johannisfriedhof in Tolkewitz zusammen, um die Getöteten zu Grabe zu tragen. Es war in Dresden die letzte öffentliche Massenaktion vor der Machtergreifung der Nazis.

Das Keglerheim diente bis zu der Zerstörung 1945 als Versammlungsort für das Winterhilfswerk der Organisation "Kraft durch Freude" und war später ein Zwangsarbeitslager für Ostarbeiter des Reichsbahnausbesserungswerkes.

In der DDR wurden die Ereignisse im Keglerheim mit Kampfdemonstrationen, Trauermärschen und Kranzniederlegungen propagandistisch genutzt. Die Ereignisse mahnten zur Einheit der Arbeiterklasse, wie es hieß. In vergangenen Jahren haben nur noch wenige Menschen am Ort des Geschehens Blumen niedergelegt.