Die letzten Stunden des Krieges in Dresden

Dresden. Dresden ist eine Trümmerwüste. Als vor 75 Jahren am 8. Mai 1945 die Soldaten der Roten Armee über die Loschwitzer Brücke, dem „Blauen Wunder“, in die Stadt strömen, dauert der Zweite Weltkrieg nur noch wenige Stunden. Und doch wird auch an jenem letzten Kriegstag weiter gestorben. Selbst in jenen letzten Stunden vor Kriegsende wagen mutige Menschen noch viel. So können die sowjetischen Soldaten an jenem Tag nur deshalb über jene Loschwitzer Brücke in die Stadt marschieren, weil zuvor mehrere Männer die schon vorbereitete Zerstörung des Bauwerks verhinderten und ohne voneinander zu wissen die Zündkabel durchtrennt haben.
Bekannt sollen später vor allem die Namen des Telegrafenarbeiters Paul Zickler, des Klempnermeisters und Volkssturmmannes Erich Stöckel sowie des Wehrmachtshauptmanns Wirth werden.
Bereits am 17. April waren die letzten Bomben auf Dresden gefallen. Sie sollten vor allem die Eisenbahnanlagen treffen. „Wo man hinschaute, sah man zerrissene Gleisanlagen, rauchende, brennende, umgestürzte und übereinander geschleuderte Wagen, Schienen und Schwellen“, schilderte ein Augenzeuge den Anblick. Entlang den Eisenbahnlinien wurden auch Wohnviertel getroffen. So starben im Luftschutzkeller der Feldschlößchenbrauerei an der Zwickauer Straße 70 Menschen.
Am Sonntag, dem 6. Mai, war in der Stadt näher kommendes Artilleriefeuer zu vernehmen. Die Rote Armee hatte die Prager Operation begonnen. Dresden war zur Festung ausgebaut worden, rund 1,50 Meter tiefe Panzergräben wurden angelegt. Rund 20.000 Mann – Wehrmacht, Waffen-SS, Polizei, Volkssturm, Hitlerjugend – standen nach Schätzungen des Historikers Hermann Rahne bereit. Doch dann erhielt General Werner von und zu Gilsa, der letzte Kampfkommandant von Dresden, den Befehl, sich mit seinen Einheiten auf dem Erzgebirgskamm als letzter Verteidigungslinie zurückzuziehen, um so Zeit für Verhandlungen mit den Westalliierten für ein Separatabkommen zu gewinnen.
Als der deutsche Abzug noch lief, erreichten die erste russischen Panzer Wilschdorf und Klotzsche. „Es herrschte eine solche Ordnung, dass man hätte denken können, es habe keinen Krieg gegeben. Wir sahen reiche Häuser, gepflegte Straßen und Zäune. In den Gärten gab es Blumen“, erinnerte sich der Panzersoldat Nikolajls Borisow später. Die Panzer stießen in die Neustadt vor. Am Albertplatz wurde einer von ihnen von einer Panzerfaust getroffen.
Einen Tag später kam es bei Wilsdruff zu einem hefigen Gefecht. 37 Panzer der SS-Panzerdivision „Frundsberg“ wollten den Vormarsch der Roten Armee aufhalten, um den Rückzug der Wehmacht aus Dresden zu decken. Zwischen 50 und 100 Soldaten – vor allem sowjetische – fanden den Tod.
Noch am 8. Mai wird auf der Prager Straße der Mediziner Rainer Fetscher von flüchtenden SS-Männern erschossen. Mit anderen Widerstandskämpfern wollte er der Roten Armee mit einer weißen Fahne entgegengehen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern.

Fetscher stammte einer Wiener Kaufmannsfamilie. Die Erlebnisse während des Ersten Weltkriegs machten ihn zum Pazifisten. Nach dem Medizinstudium in Tübingen wechselte er 1921 nach Dresden, wo er eine Assistentenstelle am Hygiene-Institut der Technischen Hochschule erhielt und 1928 zum außerordentlichen Professor für Hygiene ernannt wurde. Seine Leidenschaft galt der Sozialhygiene, die sich mit den sozialen Ursachen und Folgen von Krankheit beschäftigt. Dabei kam er auch mit der Sexualbiologie, der Eugenik und Rassenhygiene in Berührung.
In den politischen Widerstand geriet er nach Begegnungen mit dem Juristen Hermann Kastner, dem Romanisten Victor Klemperer, dem General Friedrich Olbricht. Zudem hatte er Kontakte zur kommunistischen Widerstandsgruppe in Dresden. Fetschers hohe Reputation in Widerstandskreisen könnte der Grund gewesen sein, dass ihn KPD-Mitglied Hermann Eckardt bat, mit zur sowjetischen Kommandantur zu gehen.