Dresden. Sie waren in der Stadt unterwegs, als dieser Bordstein auftauchte. Luise Kempe saß im Rollstuhl, ihr Bruder Alexander ging zu Fuß. Normalerweise hätte die kleine Schwester jetzt Hilfe gebraucht. Doch Alexander ließ Luise üben, was er "Bordsteinkanten-Bewältigung" nennt.
Zehn Minuten mühte sich Luise ab. Zehn Minuten, in denen Alexander sie halb anfeuerte und halb mit spitzen Kommentaren aufzog. Ein paar Fußgänger zeigten Zivilcourage, sie fragten, ob alles in Ordnung sei. Alles war in Ordnung. Am Ende bewältigte Luise den Bordstein und überwand so eine weitere Hürde, die sie von ihrem großen Ziel trennt: Selbstständigkeit.
Luise Kempe ist vor 24 Jahren zusammen mit ihrer Zwillingsschwester auf die Welt gekommen. Während der Schwangerschaft hatte es Komplikationen gegeben, die beiden Mädchen wurden zehn Wochen zu früh geboren. Ihre Schwester war gesund, doch Luise leidet bis heute unter "Infantiler Zerebralparese".