Gardetanz in Dresden: Wie der Weltrekord geknackt wurde

Dresden. Auf dem Weg zum Weltrekord wird gesungen, gejauchzt und gebrüllt. Mädchen und Frauen mit geflochtenen Zöpfen, glitzernden Röckchen und Federhüten ziehen am Landtag vorbei. Arm in Arm hüpfen sie in Richtung Theaterplatz, schwenken Fahnen und rufen: "Helau!" Eine von ihnen ist auf Krücken unterwegs, humpelt aber tapfer mit. Kein Wunder. Es steht ja was auf dem Spiel heute.
Auf dem Theaterplatz wollen sie am Sonntag den bislang größten Outdoor-Gardetanz unter freiem Himmel hinlegen. Den Rekord hält derzeit noch Mecklenburg-Vorpommern. In Anklam kamen vor einigen Jahren 371 Tänzerinnen zusammen. Um diesen Rekord einzustellen, sind Mädchen und junge Frauen aus ganz Sachsen angereist.
Wurgwitz, Wernsdorf, Großenhain, Kesselsdorf, Radeburg, Weinböhla und Coswig - so steht es auf Schildern, die sie in die Luft halten. 185 Vereine haben ihre Tänzerinnen in die Landeshauptstadt geschickt, begleitet von ihren Trainerinnen und den Männern der Clubs. In Dresden sieht man selten so viele Karnevalisten auf einem Fleck. Zumal die fünfte Jahreszeit noch gar nicht angefangen hat.
Schon seit dem Frühjahr läuft die Organisation. Monatelang haben sie trainiert, jeder Verein für sich. Aber noch nie zusammen. Was die Anzahl angeht, so dürfte der Rekord zu knacken sein. Gegen 10 Uhr haben sich am Sonntag schon 1.000 Tänzerinnen angemeldet. Fast dreimal so viel wie einst in Anklam. Was kann da noch schiefgehen?
"Alles", sagt Michael Rohde, Sprecher des sächsischen Carneval-Verbands. Er war in den vergangenen Tagen nervös. Wir wird das Wetter? Hält die Technik durch? Zwar scheint die Sonne. Aber sicher ist der Rekord aber nicht: Ob der Auftritt den Standards entspricht, prüft ein Gutachter vom Hamburger Rekordinstitut für Deutschland (RID). Er achtet vor allem darauf, dass auf dem Theaterplatz synchron getanzt wird. Der Carnevalsverband hat ein Video mit der Choreografie an alle Vereine verschickt.
"Kein Fasching, sondern eine reine Tanzveranstaltung"
Mit dem Weltrekord-Versuch will der Verband zum einen Aufmerksamkeit erzeugen. Zum anderen, so Rohde, sollen die Tänzerinnen nach der langen Corona-Pause mal wieder richtig Spaß haben. Auch wenn die traditionelle Brauchtumszeit noch nicht angefangen hat. Damit ist wiederum nicht zu spaßen. "Es ist kein Fasching, sondern eine reine Tanzveranstaltung", sagt Michael Rohde.
Das wissen auch die Vereine. Mehr oder weniger jedenfalls. Als Claudia Jaunich, Tanztrainerin beim Dresdner Carneval-Club, am Sonntag mit ihrem Vereinsorden um den Hals auftaucht, muss der Präsident freundlich, aber bestimmt eingreifen. "Den bitte abnehmen", sagt Andreas Huxol. Auch er trägt zwar seine grüne Vereinsweste, hat aber eine Lederjacke darüber geworfen, damit er nicht als Jeck zu erkennen ist. Claudia Jaunich grinst und lässt den Orden in ihrer Tasche verschwinden. "Da muss man aufpassen", sagt sie.
"Der Zweck des Vereins ist die Brauchtumspflege", erklärt Andreas Huxol. Carneval soll demnach nur zwischen dem 11.11. und Aschermittwoch stattfinden. Andernfalls könnte die Gemeinnützigkeit des Vereins infrage gestellt werden. Nur die Garde darf am Sonntag in den grün-weißen Kleidern des Clubs auftreten.
Seit den Sommerferien hat Tanztrainerin Jaunich mit ihnen geübt. Sie ist guter Dinge, dass alles klappt. Die Jüngste in der Garde ist zehn Jahre, die Älteste 27 Jahre alt. Sind sie aufgeregt? "Ja, ziemlich", sagt Adonia Hering. "Großes Lampenfieber." Adonia ist 18 Jahre alt. Schon als Fünfjährige hat sie im Club getanzt. Training, Ausflüge, Stadtfeste - Adonia liebt das Vereinsleben, den Zusammenhalt. Auch aus Großenhain ist der FCV mit der Kinder-, der roten und der blauen Garde angereist. 28 Funkenschnitten sind vom RCC Radeburg gekommen. Dazu Tänzerinnen aus Moritzburg oder Laußnitz und Ottendorf.

Der Weltrekord könnte einer der Momente werden, der die Mädchen und Frauen im Verein noch enger zusammenschweißt. Gegen 13 Uhr steigt die Spannung auf dem Theaterplatz. Rundum das König-Johann-Denkmal haben sich die Garden von über 80 Vereinen formiert. Dann setzt die Musik ein, die Tänzerinnen legen los.
Das Publikum klatscht im Takt. Zuschauer richten Smartphones auf das Spektakel. Aus der Distanz sieht es aus wie ein bunter, wogender Teppich. Trainerin Claudia Jaunich steht ungünstig am Rand, sie kann ihre Gruppe nicht sehen. Bei den anderen Tänzerinnen fallen ihr ein paar Patzer auf.
Nach ein paar Minuten ist alles vorbei. Der Mann vom Hamburger Rekordinstitut greift zum Mikro. Er bestätigt den Rekord: 1136 Tänzerinnen unter freiem Himmel. Dann bricht Jubel aus, Sektkorken knallen, Tränen fließen.
Claudia Jaunich strahlt. "Schön", sagt sie. Als sich die Menge lichtet, kommt Adonia Hering, die 18-Jährige aus ihrer Garde, herangelaufen. Sie ist noch völlig außer Atem, kann kaum sprechen. Jemand reicht ihr eine Wasserflasche. Sie nimmt einen Schluck und sagt: "Wir haben es geschafft"