Dresden
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Das Sanatorium der feinen Gesellschaft

Das Lahmann-Sanatorium hat den Weißen Hirsch in Dresden bekannt gemacht. Dort erholte sich einst die Hautevolee, die feine Gesellschaft. Der Weiße Hirsch gilt seither als die wohl vornehmste Adresse Dresdens.

Von Ralf Hübner
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Das Sanatorium trifft mit seinen naturnahen Kurmethoden den Nerv der Zeit. Galt doch Dresden mit als Zentrum der sogenannten Lebensreformbewegung, die sich als Antwort auf die Industrialisierung immer stärker etablierte.
Das Sanatorium trifft mit seinen naturnahen Kurmethoden den Nerv der Zeit. Galt doch Dresden mit als Zentrum der sogenannten Lebensreformbewegung, die sich als Antwort auf die Industrialisierung immer stärker etablierte. © Sammlung H. Naumann

Dresden. Das ehemalige Lahmann-Sanatorium auf dem Weißen Hirsch ist wieder chic, auch wenn es längst kein Sanatorium mehr ist und keine gut betuchten, weitgereisten Kurgäste dort mehr promenieren. Der einstige Verfall ist frischen Fassaden gewichen. Vor 135 Jahren hat der aus Bremen stammende Naturarzt Johann Heinrich Lahmann dort sein "Physiatrisches Sanatorium" eröffnet. Das war am 1. Januar 1888. Dessen Geschichte währte nur kurz und dennoch wurde das Lahmann-Sanatorium weltbekannt.

Mit Lahmann hatte der Kurbetrieb auf dem Weißen Hirsch einen rasanten Aufschwung genommen. Schon im ersten Jahr behandelte er dort 385 Kurgäste. Mit fast 7.500 Gästen wurde 1913 die höchste Belegung erreicht. Doch Lahmann hatte das Kuren auf dem Weißen Hirsch nicht erfunden. Vor ihm waren schon der Baumeister und Unternehmer Theodor Lehnert sowie der Besitzer einer Dresdner Seifenfabrik, Ludwig Künzelmann, auf die Idee gekommen, dort Heilanstalten zu errichten.

Fleisch nur sonntags

Lehnert hatte schon 1867 nahe dem Gasthof "Weißer Hirsch" in Richtung Mordgrundbrücke ein Kurbad eröffnet, dem er den Namen seiner Tochter Frida gab. Das für Badekuren benötigte Wasser wurde mittels hölzerner, drei Kilometer langer Rohrleitungen aus zwei Waldquellen herangeführt. Der Kurbetrieb umfasste neben Wasserbehandlung auch Ernährung sowie Bewegung und Heilgymnastik. Neben Anlagen für die Kaltwasserbehandlung gab es ein römisch-irisches Bad, ein russisches Dampfbad sowie verschiedene Arten von Duschen. Künzelmann ließ ein Gutshaus zu einem Kurhaus umbauen.

Das Fridabad kam Anfang der 1880er-Jahre in finanzielle Schwierigkeiten und musste 1883 Konkurs anmelden. Zunächst hatte eine Krankenversicherungsgesellschaft die Regie übernommen, bis der Arzt Heinrich Lahmann während einer Reise auf die Anlage stieß und sie Ende Oktober 1887 pachtete. Der erste Gast kam am 3. Januar 1888.

Lahmann war der Sohn eines Seifers. Er hatte zunächst in Hannover Technik studiert und war dann zur Medizin gewechselt. Als Arzt gab er später der alternativen Medizin den Vorzug. Statt Medikamenten verordnete er Bäder, Dampfbäder, Waschungen, Güsse, verschiedene Wickel, den Wechsel von Betätigung und Ruhe. In seinem 1891 veröffentlichten Buch "Die diätische Blutentmischung" vertrat er die Auffassung, dass alle Krankheiten durch falsche Ernährung verursacht seien.

1895 richtete er ein Labor ein, um den menschlichen Stoffwechsel zu untersuchen. Lahmann empfahl eine überwiegend vegetarische Ernährung vor allem aus Obst, Gemüse, Salat und Nüssen - Fleisch nur sonntags. Ein Gut in Friedrichstal bei Radeberg, das er 1894 erworben hatte und wo er unter anderem eine große Obstplantage anlegen ließ, sicherte die Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln. Die Kurgäste waren in bis zu 16 Villen untergebracht. Sie trafen sich allmorgendlich leicht bekleidet zur Gymnastik im Park.

Nur gesunde und vegetarische Kost wurde bei Lahmann serviert, wie die Postkarte um 1910 zeigt. Fleisch gab es nur einmal in der Woche.
Nur gesunde und vegetarische Kost wurde bei Lahmann serviert, wie die Postkarte um 1910 zeigt. Fleisch gab es nur einmal in der Woche. © Sammlung Marina Lienert

In Lahmanns Sanatorium kurten die Reichen und Schönen, Großbürgertum und europäischer Hochadel, Künstler, Politiker und hohe Militärs. Die Liste ist lang. Zu den Gästen zählten Mitglieder des Hauses Hohenzollern sowie der russischen Zarenfamilie, Könige aus Europa, Asien und Ägypten. Kurgäste kamen aus Österreich-Ungarn, Russland, Frankreich, Norwegen und der Schweiz, den USA, Persien, Sumatra, Neuguinea, China, Indien und Japan. 1901 und 1905 weilte der Schriftsteller Rainer Maria Rilke im Sanatorium, 1903 Franz Kafka und 1906 Thomas Mann. Großadmiral Heinrich Prinz von Preußen und die Generale von Brauchitsch und von Richthofen erholten sich dort.

In den 1920er- und 1930er-Jahren verbreiteten unter anderen Viktoria Luise von Preußen, Ernst August von Braunschweig sowie Friederike von Hannover, die spätere Königin von Griechenland, adligen Glamour. Weitere prominente Gäste waren Reichswirtschaftsminister Albert Neuhaus, die Unternehmer Heinrich Büssing und Hugo Junkers, die Komponisten Paul Lincke, Jean Gilbert und Victor Hollaender, die Sängerinnen Zarah Leander und Claire Waldoff, die Schauspieler Gustaf Gründgens, Otto Gebühr, Heinrich George, Heinz Rühmann, Paul Kemp und Johannes Heesters, aber auch Nazi-Größen wie Generalfeldmarschall Werner von Blomberg, Joseph Goebbels und Hermann Göring.

Während der Weltkriege war das Sanatorium Lazarett. 1946 wurde es entschädigungslos enteignet und diente der Sowjetarmee bis 1992 als Militärhospital, nach dem Abzug blieben völlig heruntergewirtschaftete Gebäude zurück. Die Zeit des Sanatoriums war zu Ende. Die großen Villen wurden zu Mehrfamilienhäusern. Viele Besitzer waren geflohen. Doch auch in der DDR-Zeit behielt der Weiße Hirsch Anziehungskraft und wurde Wohnort für Künstler, Wissenschaftler und Politiker.

Lahmann jedoch war schon 1905 im Alter von nur 45 Jahren nach einer Grippeerkrankung an einer Herzmuskelentzündung gestorben. Er war von einem Erholungsurlaub an der Adria krank nach Dresden zurückgekehrt.