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Dresden-Gorbitz: Das „freundliche Neubaugebiet“

Gorbitz steht in Dresden für Plattenbau. Vor 40 Jahren wurde der Grundstein gelegt. Der nicht immer unumstrittene Stadtteil hat seine Reize.

Von Ralf Hübner
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Dorfgeschichte und Plattenbauten: Blick auf Gorbitz in den 80er-Jahren.
Dorfgeschichte und Plattenbauten: Blick auf Gorbitz in den 80er-Jahren. © SZ Archiv

Es ist das größte Neubaugebiet Dresdens. Rund 21.600 Menschen wohnen derzeit dort. In Gorbitz stehen die Häuser nicht in Reih und Glied wie anderen Neubauvierteln der einstigen DDR. Sie schmiegen sich an den Hang. Die Luft ist gut, viele Bewohner haben einen reizvollen Ausblick auf die Stadt. Wohl auch deswegen gilt Gorbitz trotz des nicht immer guten Rufes als „freundliches Neubaugebiet“. Am 21. August 1981 wurde symbolisch der Grundstein gelegt.

Die DDR hatte damals beschlossen, die Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990 zu lösen. Gorbitz war Teil dieses Projektes. Die Grundsteinlegung wird als eher stilles Ereignis geschildert. Sie ging an den Fundamenten der künftigen Wohngebietsgaststätte „Zum Grünen Heinrich“ mitten auf einem Felde des ehemaligen Kammergutes über die Bühne. Bauleute, Funktionäre der SED und des Gewerkschaftsbundes FDGB, Abgeordnete des Rates der Stadt und des Bezirkes sowie Vertreter der Arbeiter-Wohnungsbaugenossenschaft waren gefahren gekommen. Schaulustige hatten sich eingefunden. Stadtbezirksbürgermeister Fritz Oehring begrüßte die Gäste umgeben von Baugruben, Kieshaufen, Betonmischern und Baggern, wie die Sächsische Zeitung berichtete. Oehring erinnerte an den X. SED-Parteitag und vollzog dann die traditionellen drei Hammerschläge.

Sorgen wegen der Hanglage

Der Gorbitzer Hang war in den Fokus der Stadtplaner gerückt, nachdem die großen Freiflächen in der Stadt mehr oder weniger bebaut waren. Nach dem Krieg hatte die Aufmerksamkeit zunächst vor allem dem historischen Zentrum gegolten. In den 1960er- und 1970er-Jahren waren in der Johannstadt, Leuben, Altgruna, Dobritz und Altseidnitz Lücken geschlossen worden. Erste Wohngebiete mit Plattenbauten entstanden. Das Neubaugebiet in Prohlis war eine Siedlungserweiterung. Wegen der günstigen Wege zu den Arbeitsstätten, zum Stadtzentrum und den Naherholungsgebieten schien der Gorbitzer Hang den Planern als Neubaugebiet ideal. Sorgen bereitete ihnen jedoch der um 85 Meter ansteigende Hang, der felsige Untergrund und der fehlende technische Anschluss.

Schon 1972 hatte die Stadt den Standort untersuchen lassen. Der Siegerentwurf eines Wettbewerbs sah vor, das Neubaugebiet der Landschaft zu öffnen. Wege und Übergänge sollte es mit der Umgebung, mit dem nur wenige Minuten entfernten Omsewitzer Hang, dem Zschonergrund, dem Leutewitzer Volkspark, den Wiesen des ehemaligen Hebbelbades in Cotta sowie dem Schlosspark von Altfranken verbinden. Auf einer Fläche von 165 Hektar sollten rund 15.000 Wohnungen für etwa 45.000 Menschen entstehen, was sich als völlig überzogen erwies. Um den Anblick der Plattenbauten erträglicher zu gestalten, wurden die Fassaden mit Klinkerbausteinen und Keramik-Elementen versehen sowie farblich in Weiß-, Ocker-, Grün- und Brauntönen gehalten.

Trickfilmstudios im früheren Dorf

Am 15. Februar 1982 wurden die ersten 102 Wohnungen übergeben. Die Familie des Rangierleiters Bernd Klemm, Am Dahlienweg 10, bekam als erste den Wohnungsschlüssel feierlich überreicht. Nur ein Vierteljahr später war im Juni 1982 die tausendste Wohnung fertig.

Vormals war Gorbitz ein beschauliches Dorf gewesen, eingebettet zwischen Zschoner und Plaunschem Grund, zwischen Hügeln, Tälern, versehen mit fruchtbarem Lößboden. Zusammen mit Dresden wird es 1206 in einer Urkunde erstmals erwähnt. Es gab demnach ein Rittergut, das spätere Kammergut. Seine Felder reichten bis nach Cossebaude. 1412 gehörte es der wohlhabenden Dresdner Bürgerfamilie Busmann. 1505 wechselt es in den Besitz des Klosters Sankt Afra in Meißen, und 1545 erwarb es Ernst von Miltitz. Er brauchte Arbeitskräfte und erlaubte deshalb Siedlern, im tiefer gelegenen Teil des Dorfes kleine Häuser zu bauen. 1573 wurde Gorbitz in Nieder- und Obergorbitz geteilt. So blieb es bis zur Eingemeindung nach Dresden 1921.

Weitere Folgen von Dresden Damals:

1644 erwarb schließlich Kurfürst Johann Georg I. das Gut wegen der fruchtbaren Böden zur Versorgung der Festung Dresden. Seine Gattin Magdalena Sybilla von Brandenburg fühlte sich dort besonders wohl. Für sie war es das „Lieblingsgut“, ebenso wie für Kurfürstin Anna. Mit der Übernahme durch den Landesherrn avancierte Gorbitz zum Kammergut, das erst 1946 mit der Bodenreform aufgelöst wurde.In der Schlacht von Kesselsdorf 1745 wurde das Gebiet teilweise Kampfgebiet. Die Niederlage einer österreichisch-sächsische Armee unter Graf Friedrich August Rutowski, einem Sohn August des Starken, gegen die Preußen unter Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, dem „Alten Dessauer“, beendete den Zweiten Schlesischen Krieg.In den 1950er-Jahren wurden Grund und Boden in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) zusammengefasst. Zwölf Gehöfte umschließen in Obergorbitz den Dorfplatz. In der Mitte befand sich einst ein Teich, später die Dorfwaage. Das Ensemble von Drei- und Vierseitenhöfen steht unter Denkmalschutz. In Niedergorbitz verleihen zudem enge Gassen und steile Treppen sowie einzeln stehende Häuser mit Obst- ud Gemüsegärten dem Ort ein malerisches Ambiente. Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten schließlich die Städter Gorbitz. Viele nahmen dort einen Zweitwohnsitz. Neue Gasthöfe entstanden wie etwa 1900 die Wirtschaft „Zum Reichsschmied“, die später zu Filmstudio umgebaut wurde. Ab 1955 befand sich dort das DEFA-Studio für Trickfilme.

Im Sommer 1986 waren die ersten drei Wohnkomplexe des Neubaugebietes fertig. Es schloss sich ein vierter Komplex an, der ursprünglich nicht vorgesehen war und der 1989 abgeschlossen wurde. Nach 1990 sollten Ergänzungen, Modernisierungen und Umbauten wie etwa in der Kräutersiedlung das Wohnen in Gorbitz angenehmer machen und die Mieter im Wohngebiet halten. Den Anfang machte 1993 das Gorbitz-Center mit etwa 30 Geschäften verschiedener Branchen, Cafés und Arztpraxen. 1996 verbesserte das Sachsen-Forum die Versorgung weiter. Die Centralhalle wurde saniert und umgebaut, eine Bibliothek eröffnet. Der „Grüne Heinrich“ jedoch, wo einst der Grundstein gelegt wurde, soll abgerissen werden. Er muss neuen Wohnungen weichen.