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Der Hoffnungsschimmer von Hellerau

Der Dresdner Dirk Wand hat 150 schmucklose Lampen verteilt und als Kunstwerke zurückbekommen. Sie leuchten als Zeichen der Gemeinsamkeit.

Von Nadja Laske
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Dirk Wand, Initiator der Lichteraktion im Bürgerzentrum Waldschänke Hellerau, ist von den vielen künstlerischen Leuchten fasziniert. Die große Resonanz begeistert den Architekten.
Dirk Wand, Initiator der Lichteraktion im Bürgerzentrum Waldschänke Hellerau, ist von den vielen künstlerischen Leuchten fasziniert. Die große Resonanz begeistert den Architekten. © Sven Ellger

Dresden. Alles muss klein beginnen. Lass etwas Zeit verrinnen. Es muss nur Kraft gewinnen. Und endlich ist es groß. Aus diesen Zeilen klingt so viel Zukunft, dass sie Dirk Wand immer wieder anspornen. Der Refrain des Liedermachers Gerhard Schöne ist über die Jahre zum Credo für zahlreiche Projekte geworden, die der Architekt auf den Weg gebracht und begleitet hat.

Das jüngste leuchtet seit Januar in jedem Fenster des Bürgerzentrums Waldschänke im Dresdner Stadtteil Hellerau. Aus der Ferne wirken die Lämpchen, die dort rund um die Uhr Leben in den ehemaligen Gasthof bringen, einheitlich. Doch wer sich nähert, sieht: Keines ist wie das andere. Zwar gibt es die schlichten Glasschirme in einem großen schwedischen Einrichtungshaus als Massenware. In Hellerau aber sind Unikate daraus geworden.

Waldschänke gilt als Gründungsort der Gartenstadt

"Angefangen hat alles ganz klein", erzählt Dirk Wand. Um individuelle Geschenke für Großeltern und Pate zu basteln, kaufte er mehrere "Grönö" aus Frostglas, damit sein 13-jähriger Sohn sie gestalten konnte. Die fertigen Tischleuchten gaben solch ein schönes Licht, dass sich der "Wohlfühlminister", wie scherzhaft sein Schriftführer-Amt im Verein Bürgerzentrum Waldschänke genannt wird, solch wohligen Hoffnungsschimmer auch für das Vereinshaus wünschte.

Beklebt, bemalt, umhäkelt: Rund 150 Glasleuchten im neuen Gewand schmücken nun die Fenster der Waldschänke.
Beklebt, bemalt, umhäkelt: Rund 150 Glasleuchten im neuen Gewand schmücken nun die Fenster der Waldschänke. © Sven Ellger

Die historische Waldschänke gilt als Gründungsort der Gartenstadt Hellerau und hat bedeutende Künstler der europäischen Avantgarde beherbergt. Franz Kafka, Gerhart Hauptmann und Oskar Kokoschka haben dort gewohnt. In der DDR war sie Gaststätte und nach der Wende eine Ruine, bei deren Anblick nicht nur Architekten das Herz blutete.

Mehrere Hellerauer taten sich schließlich zusammen, um das Gebäude mit Sälen, Terrassen und großem Garten vor dem endgültigen Verfall zu retten. Sie gründeten einen Verein und damit das Bürgerzentrum, warben Mittel aus öffentlicher Hand und privaten Geldbeuteln ein und restaurierten es binnen zweier Jahre. Die Sanierung endete 2015. Heute hat der Verein rund 120 Mitglieder.

"Gerade haben wir die voraussichtlich letzte größere Anschaffung im Haus installiert", erzählt Dirk Wand und führt stolz in einen der Säle, die für Festlichkeiten, Kulturveranstaltungen, Vorträge und Ausstellungen genutzt werden können. Gerade hängen dort Bilder der Fotografin und Arktisreisenden Barbara Schennerlein. Sie werden nun optimal beleuchtet. Denn der Verein hat in eine professionelle Lichtanlage investiert.

"Ein Licht bringt Fröhlichkeit in dein Herz"

Bevor die Arbeiten im Außengelände weitergehen können, müssen die Coronazahlen zumindest in die Schranken gewiesen und die Temperaturen angenehmer sein. Beide misslichen Umstände haben auch das Vereinsleben gelähmt. Die Menschen konnten sich nur beschränkt oder gar nicht an jenem Ort treffen, der als Treffpunkt konzipiert und gebaut worden ist.

"Dazu kommt dieses seit Wochen anhaltende dunkle, graue, deprimierende Wetter", sagt Dirk Wand. Die toten Fenster des Bürgerzentrums konnte er nicht mehr ertragen und hatte eine Idee. Wie die Sanierung der Waldschänke und etliche weitere Projekte war auch sie zunächst eine kleine Pflanze, die seither wächst.

Während seiner Armeezeit hatte er Dresden kennengelernt und sich in die Stadt verliebt. Seine Faszination für Hellerau war noch viel älter. "Als Schüler habe ich im Kunstunterricht zum ersten Mal von der Siedlung und ihrer Geschichte gehört", erzählt Dirk Wand. So wurde er nach seinem Studium in Erfurt Wahldresdner und zog mit seiner Frau in die Gartenstadt.

Seit 2013 ist das Bürgerzentrum Waldschänke aktiv. Das Gebäude wurde zwei Jahre lang saniert und ist nun Treffpunkt nicht nur für die Hellerauer.
Seit 2013 ist das Bürgerzentrum Waldschänke aktiv. Das Gebäude wurde zwei Jahre lang saniert und ist nun Treffpunkt nicht nur für die Hellerauer. © Sven Ellger

Um ihren Glanz auch in freudloser Zeit sichtbar zu halten, aktivierte er den Stadtbezirksrat Klotzsche und bekam für das Projekt des Vereins unkompliziert 900 Euro zugesprochen. Also fuhr er zum Möbelhaus und kaufte den ersten Schwung Tischleuchten. Das dazugehörige Plakat war rasch entworfen, gedruckt und aufgehängt. "Ein Licht bringt Fröhlichkeit in dein Herz" titelt es und ruft die Hellerauer auf, sich eine Lampe im Vereinshaus abzuholen und sie daheim zu bemalen, zu bekleben, zu besprühen, zu umwickeln.

Über 100 Lampen: Waldschänke leuchtet

Heute weiß Dirk Wand: Das ist bei weitem nicht alles. Die Kreativität kennt keine Grenzen. In den Fenstern leuchten auch Lampen im Strickkleid und Filzmantel, als Puzzle gestaltet, mit Mosaik verziert und gepressten Blüten geschmückt. Wahre Kunstwerke sind eingegangen - inzwischen weit über 100 Stück. Bald werden es 150 sein. Der Blick auf die Waldschänke zaubert nun Spaziergängern ein Lächeln ins Gesicht, genauso, wie erhofft. "Die Menschen haben gemeinsam etwas geschaffen, das jetzt für alle da ist und Freude bringt."

Für Freude sorgen und die dunkle Zeit mit Lichtern vertreiben - das ist den Hellerauern mit ihren kreativen Leuchten gelungen.
Für Freude sorgen und die dunkle Zeit mit Lichtern vertreiben - das ist den Hellerauern mit ihren kreativen Leuchten gelungen. © Sven Ellger

Am 25. März plant der Verein von 17 bis 20 Uhr eine Dankeschön-Veranstaltung mit Lagerfeuer für alle Beteiligten. "Dann geben wir ihnen ihre Lampen zurück. Einen Teil davon wollen wir versteigern." Schließlich braucht das Bürgerzentrum auch weiterhin Geld. Im Garten soll eine Bühne entstehen, Licht- und Tontechnik installiert werden. "Wir wollen uns besser ausrüsten für Zeiten, in denen die Nutzung der Innenräume nicht erlaubt und nicht sicher genug ist", erklärt Dirk Wand.

Derweil überbrücken die Lichter der Hoffnung das sehnsüchtige Warten auf den Frühling und eine entspannte Lage. Dann werden wieder Sänger und Bands zur Freude und für den Hut musizieren, Theatergruppen spielen, Kinofilme laufen. Yoga, Spiele-Treffen, Seniorentanz und Reisevorträge kehren sicher bald zurück. Frauen des Vereins kochen Suppe für die legendären Suppen-Jazz-Abende und zum dankbaren Lächeln gesellt sich Leichtigkeit und Frohsinn.

Informationen gibt es auch unter www.hellerau-waldschaenke.de.