Tunnel unterm Wiener Tunnel in Dresden: Warum Arbeiter in eine 2,40 Meter hohe Röhre hinabsteigen müssen
Dresden. Mit seiner Schaufel steht Sebastian Härtel 14 Meter unterm Wiener Platz. Er arbeitet im Abwassertunnel, der noch unter dem Straßentunnel und der Tiefgarage in der Dresdner Innenstadt verläuft. In der Fachsprache werden solche Röhren Düker genannt, was aus dem Holländischen kommt und so viel wie Taucher heißt. Der 33-jährige Kanalbetriebsarbeiter in seiner grünen Wathose schiebt am stadtseitigen Abschluss der 2,40 Meter hohen Röhre den letzten Schlamm in Richtung Saugrüssel, an dessen oberem Ende sein Kollege Nico Lißner mit seinem Saug- und Spülfahrzeug steht. In den 13 Kubikmeter fassenden Tank wird der letzte Schlamm aus der Tiefe emporgesaugt.
Frank Lieber ist froh, dass die Großaktion an dieser besonderen Anlage an diesem Julitag endlich abgeschlossen werden kann. Denn die ersten Vorbereitungen hatten schon im Februar begonnen, erklärt der Kanalnetzmeister Süd-Ost der Stadtentwässerung.
Die Vorgeschichte: Vorbild im Hamburger Hafen
Der 63-Jährige Abwasserfachmann kennt die Anlage, den sogenannten Luftkissendüker, aus dem Effeff. Der Düker ist einmalig in Sachsen und in Europa äußerst selten. In Deutschland gibt es gerade mal eine Handvoll dieser Anlagen, neben Dresden nur in Regensburg und in Hamburg.
In den 1990er-Jahren haben Lieber und andere Techniker zwei Jahre lange getüftelt, um diese Lösung zu finden. Der Tunnel am Wiener Platz sollte gebaut werden, und der alte Sandsteinkanal von 1870 war im Wege. Mit herkömmlicher Technik wie einer Hebeanlage konnten die dort ankommenden Abwassermengen nicht aus dieser Tiefe wieder nach oben befördert werden. Schließlich sind das bis zu 8.800 Liter pro Sekunde. "Damals hatten wir zur Partnerstadt Hamburg und der Schweiz Kontakt aufgenommen", erklärt Lieber den Auftakt. Im Hamburger Hafen gab es einen kleinen Luftkissendüker. "Wir hatten zwei Jahre getüftelt, bis wir ihn gebaut haben." Das geschah 1998 und 1999.
Das System: Siphons wie am Waschbecken
An den 108 Meter langen Abwassertunnel schließen sich an beiden Seiten sogenannte Siphons an, die nach dem Prinzip des Abflusses eines Waschbeckens funktionieren. Dort sammelt sich das Abwasser zuerst, wenn es aus Richtung Hauptbahnhof unterirdisch zur Reitbahnstraße fließt. Steigt der Spiegel, füllt sich auch der etwas höher liegende Edelstahlkanal.
Dann kommt die Stunde der Druckluft. Von einem leistungsstarken Kompressor erzeugt, wird sie mit einem Druck von bis zu 3,2 Bar in die Röhre geblasen. So bildet sich oben eine große Luftblase, das sogenannte Luftkissen. Dadurch wird das Abwasser auf einen bis zwei Meter pro Sekunde beschleunigt, sodass es in Richtung Reitbahnstraße abfließt, erklärt Lieber. "Dabei wird der Dreck im Düker mitgerissen." Deshalb ist es nur sehr selten nötig, den Luftkissendüker zu reinigen.
Das Abwasser durchströmt den Luftkissendüker aber nur, wenn es stark regnet. Denn bis zu einer Menge von 120 Litern pro Sekunde fließt es durch eine nur 40 Zentimeter starke Leitung, das Trockenwetterrohr. Die Anlage arbeitet nun schon 24 Jahre zuverlässig.
Das Problem: Spezialpumpen ausgefallen
Im Februar hatten Liebers Leute den Luftkissen-Tunnel inspiziert. Dabei hatten sie solche Ablagerungen festgestellt, die eine Reinigung des Dükers nach sieben Jahren wieder nötig machten. Allerdings gab es ein Problem. "Die Restentleerungspumpen waren ausgefallen", erklärt der Meister. Mit ihnen werden am unteren Ende des Siphons die letzten drei bis vier Kubikmeter Schmutz nach oben geholt. "Das ist mit dem Saugschlauch von oben nicht zu schaffen." Erst nach sechs Wochen waren diese Pumpen wieder einsatzbereit.
Die Arbeiten: Asphalttrümmer nach oben geholt
Aufwendig war die komplette Reinigung im Mai. Besonders am Siphon am Auslauf zur Reitbahnstraße hatten sich etwa 1,5 Kubikmeter faustgroße Steine und Reste vom Straßenbau gesammelt. Denn südlich vom Hauptbahnhof werden Straßen saniert. "Wenn dabei die Gullydeckel beiseitegeschoben werden, fallen die Asphaltteile in den Kanal", erklärt der Meister. Das Gestein hat über 100 Eimer gefüllt, die mithilfe des Seilzugs nach oben befördert wurden.
Jetzt hat der Luftkissendüker noch den letzten Schliff bekommen. Liebers Leute beseitigten noch den letzten feinen Schmutz. Sie konnten auch die neuen Gummidichtungen an den Einstiegen einbauen, die endlich geliefert wurden. Denn die müssen dicht sein, wenn das Luftkissen am Düker mit enormem Druck aufgebaut werden muss, erläutert der Meister. Jetzt ist alles in Ordnung. "Da haben wir wieder für viele Jahre Ruhe bis zur nächsten Reinigung", sagt er. (SZ)