Dresden. Eine Koje ist kein Ort zum Ausruhen. Jedenfalls nicht für Franziska Selle. Im Gegenteil: Maler und Lackierer wie sie verstehen darunter eine Art selbst gezimmerten Raum aus Holz, in dem sie sich mit all ihrem Fachwissen kräftig abarbeiten. Immer dann, wenn Prüfungen oder Wettbewerbe das ganze Können verlangen, bereiten Gesellen oder angehende und fertige Meister dieses Mini-Zimmer vor. Es simuliert einen realen Raum, den es farblich zu gestalten gilt.
Franziska Selle hat im Sommer ihre Ausbildung als Deutschlands Drittbeste in ihrem Beruf abgeschlossen. Gerade zeichnete die Sto-Stiftung die 23-Jährige für ihre großartige Leistung aus. Die Stiftung unterstützt junge Menschen in ihrer handwerklichen und akademischen Ausbildung.
Irgendetwas mit Gestaltung, das könnte sie reizen, dachte Franziska Selle nach der Realschule. So besuchte sie zunächst eine entsprechende Fachschule, merkte jedoch bald: Das ist nicht mein Weg. "Mein Vater ist Tischler und handwerklich sehr begabt", erzählt sie. Im Haus der Familie beim Bauen und Malern zu helfen, machte ihr großen Spaß. Schließlich entschloss sich Franziska, Malerin und Lackiererin zu werden.
42 junge Frauen erobern eine Männerdomäne
Ein Beruf, der noch immer überwiegend junge Männer anlockt. Aber in der Branche passiert ein Wandel. "Frauen sind gar nicht mehr so selten in diesem Bereich", sagt Franziska. Als sie bundesweit die drittbeste Gesellin wurde, hatten sich nicht etwa Männer gegen sie durchgesetzt. Den ersten und zweiten Platz belegten zwei junge Frauen aus Hamburg und Chemnitz. Nach Information der Handwerkskammer lernen im Kammerbezirk Dresden derzeit in allen drei Ausbildungsjahren 198 junge Leute den Beruf des Malers und Lackierers - davon immerhin 42 Frauen.
Wer schon einmal Wände mit Farbrolle am Stab gemalert hat weiß, wie das über Arme und Rücken geht. Dafür sind Muckis gefragt, selbst wenn Geschick einen großen Teil ausmacht. Mit Muskelpaketen kann Franziska nicht punkten. Aber ihre zarte Erscheinung täuscht. Sie ist sportlich und schafft ihren Job mit gekonnter Technik. "Natürlich ist es auch möglich, mal einen Kollegen um Hilfe zu bitten, aber eigentlich lasse ich mir nur sehr ungern etwas aus der Hand nehmen."
Lieber nimmt sie etwas in die Hand - vor allem ihre eigene berufliche Entwicklung. "Es liegt an jedem selbst, in welche Richtung er gehen und etwas erreichen will", sagt sie. Raufaser sei nicht tot. Besonders im sozialen Wohnungsbau gebe es viel zu tun. "Auch das muss man können, es braucht Leute, die gern und gut tapezieren."
Ein Café in Terracotta und Bronze
Franziska selbst hat ihre gestalterische Leidenschaft jedoch nie verloren. Beim sächsischen Landesleistungswettbewerb erhielt sie einen fiktiven Kundenauftrag: Ein Café sollte ausgestaltet werden. Wände, Böden, Türen und einzelne Elemente in Farbe und Material zu konzipieren und das Konzept umzusetzen - eine Herausforderung ganz nach Franziskas Geschmack.

Die durchdachte Kombination von dominanten und sogenannten subdominanten Farben sowie Akzenten, Logos, Applikationen sind ganz ihr Element. "Es gibt unzählige Techniken, und immerzu kommen beim Ausprobieren neue Entdeckungen dazu." Für ihr Café wählte sie Braun-, Grün- und Terracottatöne, Details in Gold und Bronze. Mit Paustechniken und Schablonen applizierte sie Kakaobohnen als dezente Musterung und entwarf einen Schriftzug für den Namen des Lokals.
Als Gesellenstück musste sie Räumlichkeiten eines Kulturzentrums farblich gestalten. "Ich habe eine Farbkombination aus Blau und Gold gewählt. Blau strahlt Ruhe und Konzentration aus." Goldfarbene Details sorgen für Wärme und einen Hauch des Besonderen.
Viele Menschen fürchten sich vor Prüfungssituationen. Franziska Selle scheint sie zu suchen. "Ich sehe in Wettbewerben die Möglichkeit dazuzulernen, Erfahrungen zu machen, neue Ideen zu sammeln." Atemlos lauschte sie jüngst Kollegen, die schon an den Euro-Skills ihrer Branche teilgenommen haben. Es gibt eine deutsche Nationalmannschaft der Maler und Lackierer, aufgestellt vom Bundesbranchenverband Farbe Gestaltung Bautenschutz. Sie hat wie im Leistungssport einen Trainer und ein ganzes Team und tritt gegen die Konkurrenz aus zahlreichen Ländern an.
Keine Zeit zum Pinselauswaschen

"Es war so spannend zu hören, wie es auf solchen Wettkämpfen zugeht", erzählt Franziska. Weil beim Arbeiten nach Stoppuhr keine Zeit bleibt, um Bleistifte zu spitzen, gehen die Teilnehmer mit einem ganzen Bündel gespitzter Stifte ins Rennen. Pinsel auszuwaschen dauert zu lange, man greift zu einem neuen.
Franziska Selle ist direkt im Anschluss an ihre Gesellenprüfung zu ihrem nächsten, ganz persönlichen Wettstreit aufgebrochen: Seit Herbst besucht sie die Meisterschule der Handwerkskammer. Acht angehende Meister lernen mit ihr, darunter mit ihr zwei Frauen.
Franziska Selle absolviert die Meisterschule in Vollzeit. Das kostet insgesamt rund 20.000 Euro. "Ich habe Bafög für meinen Lebensunterhalt und die Kursgebühren beantragt und mich um ein Stipendium beworben", sagt sie. Außerdem gebe es Meisterboni. Klar sei die Qualifikation zum Meister teuer, aber es gebe auch viele Möglichkeiten der Unterstützung.
Meisterin zu sein bedeutet für Franziska, wieder jede Menge gelernt zu haben, einen Handwerksbetrieb führen und junge Maler und Lackierer ausbilden zu dürfen. Es verschafft ihr außerdem einen Abschluss vom Niveau einer Bachelors und die Hochschulreife. Im Anschluss könnte sie studieren.
Welchen Weg sie wählen wird, weiß sie noch nicht genau. "Auf jeden Fall bleibe ich in meinem Fach", sagt sie. Die nächste Herausforderung wartet ganz sicher schon vor der Meisterschulentür. Und die Sache mit der Nationalmannschaft ist mindestens ein inspirierender Traum.
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