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Probleme am "Assi-Eck" in Dresden: "Viele Menschen fühlen sich durch die Polizei bedroht"

Die "Nachtschlichter" entschärfen seit zwei Jahren Konflikte zwischen Anwohnern und Partygästen in der Dresdner Neustadt. Die Stadt selbst präsentiert keine neuen Ideen im Umgang mit dem Kiez.

Von Julia Vollmer & Connor Endt
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André Barth, Florian Bölike, Thomas Mickan (hinten, von links nach rechts) und die "Nachtschlichter" entschärfen Kiez-Konflikte in der Dresdner Neustadt.
André Barth, Florian Bölike, Thomas Mickan (hinten, von links nach rechts) und die "Nachtschlichter" entschärfen Kiez-Konflikte in der Dresdner Neustadt. © René Plaul

Dresden. Felix Scheibner rollt durch die Neustadt, seine Augen huschen von links nach rechts, scannen die Seitenstraßen. Immer wieder umkurvt er mit seinem Rollstuhl leere Bierflaschen oder Menschen, die gerade lachend aus einer der Bars kommen.

Felix ist einer von derzeit zwanzig "Nachtschlichtern", die von Donnerstag bis Samstag nachts in der Neustadt unterwegs sind, um Konflikte zu entschärfen. In dem Dresdner Szeneviertel kommt es immer wieder zu Problemen, besonders dort, wo sich Louisenstraße, Rothenburger und Görlitzer Straße kreuzen. Dieser Teil der Stadt hat deswegen schon lange einen Spitznamen: "Assi-Eck". Immer wieder beschweren sich Anwohner hier über Lärm und Müll.

Ein Gerichtsurteil verdonnerte die Stadt in der Vergangenheit deshalb dazu zu handeln und die Anwohner zu schützen. 2022 scheiterte das Rathaus mit dem Vorschlag, Alkohol am Eck zu verbieten, am Stadtrat. Der erste Entwurf zu einer neuen Polizeiverordnung sorgte für massive Kritik, die Stadt ruderte daraufhin zurück und nahm ihn von der Tagesordnung der Gremien.

Ein Satz im Entwurf sorgte damals für besonders heftige Diskussionen, er lautete: "Während der Nachtruhezeiten ist jede Person verpflichtet, sich aus einer Menschenansammlung im öffentlichen Bereich zu entfernen oder von ihr fernzuhalten, wenn und solange von dieser Ansammlung unzumutbarer Lärm ausgeht."

"Ich kenne hier alle und alle kennen mich"

Die Nachtschlichter setzen auf eine andere Strategie. "Wir wollen mit den Menschen hier auf Augenhöhe kommunizieren", sagt Florian Bölike, der die Nachtschlichter seit April koordiniert. Deshalb haben er und sein Team am Donnerstagabend zum Kiezspaziergang eingeladen.

Felix Scheibner ist regelmäßig als Nachtschlichter im Einsatz.
Felix Scheibner ist regelmäßig als Nachtschlichter im Einsatz. © René Plaul

Etwa 20 Personen haben sich gegen 21.30 Uhr am "Assi-Eck" versammelt, die Gruppe setzt sich in Bewegung. Felix Scheibner schlängelt sich an zwei Tischen im Außenbereich eines Cafés vorbei. "Klar nervt das, hier zu fahren", sagt er. Als Nachtschlichter ist er eigentlich hauptsächlich am Albertplatz und dem Anfang der Alaunstraße unterwegs. Scheibner kommt aus der Technoszene, wohnt "schon seit Ewigkeiten" in der Neustadt, war laut eigener Aussage auch mal Hausbesetzer. "Ich kenne hier alle und alle kennen mich", sagt er und grinst. "Das hilft bei der Lösung von Konflikten."

Alaunpark soll bis zum Herbst besser beleuchtet werden

Die Gruppe kommt am Alaunpark an, wo es auch immer wieder zu Problemen mit Anwohnern kommt. Für Stadtbezirksamtsleiter André Barth, der mitspaziert ist, liegt das auch an der fehlenden Beleuchtung. Und tatsächlich, der Park ist in Dunkel getaucht, die Wege kaum erkennbar. "Aktuell rechnen wir damit, dass zumindest die Radwege bis zum Herbst beleuchtet werden", sagt er. "Das wäre zumindest mal ein Anfang."

Barth ist zufrieden, wie sich das Pilotprojekt der Nachtschlichter seit dem Start im Juli 2021 entwickelt hat. "Wir haben aus Johannstadt und Friedrichstadt bereits Anfragen bekommen, ob man ein ähnliches Konzept nicht auch dort umsetzen könnte", sagt er. Besonders an der "Runden Ecke" in Friedrichstadt kommt es immer wieder zu Konflikten, deshalb sei man dort an einem neuen Konzept interessiert.

Stadt trödelt weiter mit Ideen zur Konfliktlösung

Trotz des Zuspruchs ist die weitere Finanzierung der Nachtschlichter unsicher. Im Jahr 2021 wurde das Projekt vom Freistaat noch zu 90 Prozent gefördert. Damals bezahlte der Freistaat fast 39.000 Euro, während sich der Stadtbezirksbeirat Neustadt mit rund 4.600 Euro beteiligte. "Dieses Jahr fördert der Freistaat das Projekt noch zu 75 Prozent, nächstes Jahr sollen es 25 bis 50 Prozent sein", sagt Barth. Er hoffe, dass sich die Stadt an den steigenden Kosten beteilige.

Das Ringen um den richtigen Umgang mit den Krawallen in der Neustadt geht also weiter. Klar ist, dass die Nachtschlichter alleine keinen Frieden im Kiez bringen können. Doch nun trödelt die Stadt erneut bei der Erarbeitung neuer Ideen. "Die Verwaltung hat die angedachten polizeirechtlichen Verschärfungen für das gesamte Stadtgebiet aus dem Entwurf der Polizeiverordnung gestrichen", heißt es auf Anfrage von Sächsische.de. Was das konkret für die Ecke bedeutet, bleibt offen. Auch sonst heißt es nur vage aus dem Rathaus: "Die verbleibenden Änderungsvorschläge, die andere Fragen betreffen, sollen noch vor der Sommerpause dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorgelegt werden."

Man wolle die Präsenz des Ordnungsamtes in der Neustadt verstärken, "um gegen Ordnungsstörungen wie Lärm, achtlos weggeworfenen Müll, wildes Urinieren, sowie unerlaubte Sondernutzungen vorzugehen." Die bestehenden Regelungen der Polizeiverordnung sollen künftig stärker vollzogen und wo notwendig Bußgeldverfahren eingeleitet werden.

Alternative Angebote für eine ruhige Neustadt

Ob die Präsenz von Ordnungsamt und Polizei die Neustadt wirklich ruhiger machen? Felix Scheibner ist sich unsicher. "Viele Menschen fühlen sich durch die Polizei bedroht", sagt er. "Klar braucht es Ordnungskräfte vor Ort, aber die bringen eben auch erst mal mehr Unruhe in das Viertel."

Die Nachtschlichter schaffen alternative Angebote, um auch so die Lage in der Neustadt zu entschärfen. Sie organisieren den Clubkultursommer oder veranstalten Silent Discos. Beim Projekt "Nette Toilette" überzeugt der Stadtbezirksrat Gastronomen, Toiletten kostenfrei zur Verfügung zu stellen. So soll das Wildpinkeln, über das sich Anwohner ständig beschweren, zumindest teilweise eingedämmt werden.

Mittlerweile sind die Spaziergänger am Scheunevorplatz angekommen. Dort veranstalten Bölicke und sein Team eine Tombola. Zu gewinnen gibt es Freikarten für Dresdner Clubs, etwa den Sektor. Felix Scheibner hat sich bereits am Alaunpark verabschiedet und ist in der Dunkelheit verschwunden. Kein Wunder, er hat noch einige lange Nächte vor sich.