Dresden. Der rote Vogel auf dem Tresen ist neu. Den kennt Gudrun Lange noch nicht. Aber sie war ja auch schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr hier. Früher ging sie in der Kakadu-Bar aus und ein. Doch seit ihrer Wiedereröffnung vor 15 Jahren hat sich viel verändert.
Schon früher haben die Dinge begonnen, nicht mehr die alten zu sein. Spätestens mit dem Tag des Mauerfalls. Der wird der 76-Jährigen ewig im Gedächtnis bleiben, wie vermutlich allen 17 Millionen ehemaligen DDR-Bürgern.
"Ich habe gehört, dass die Grenze offen ist und sofort meinen Mann angerufen", erinnert sich Gudrun Lange. Er stand zu dem Zeitpunkt im Parkhotel hinterm Tresen und mixte wie jeden Abend Cocktails für die Gäste der Kakadu-Bar.
Schon weit vor der Sanierung und Wiedereröffnung im Jahr 2006 hatte das legendäre Lokal eine Erneuerung erlebt: 1975 strömten nach umfangreicher Renovierung die ersten Gäste zu den Barhockern, Sitzlounges und Tanzflächen. Neu war damals dort auch Klaus-Dieter Lange.

"Mein Mann hatte immer den Wunsch, in der Gastronomie zu arbeiten, aber von seinen Eltern aus musste er Maurer werden", erzählt Gudrun. Gleich nach der Lehre ging er zur Nationalen Volksarme und beschloss nach dem Wehrdienst, seinen Traum wahr zu machen: Zunächst ungelernt als Leiter des Lagers im Dresdner Restaurant Szeged.
Später begann Klaus-Dieter Lange als Kellner im Augsburger Hof und absolvierte dort auch seinen Facharbeiter. Schritt für Schritt kam er seinem Plan, irgendwann Barmixer zu sein, näher. Heute würde man Barkeeper sagen. Aber Mannequins gibt es ja auch nicht mehr.
Die Chance bot sich zuerst im Waldparkhotel, bekannt für seine beliebten Tanzabende und die Bar im Keller des heutigen Seniorenheims. Bis Ende 1974 machte sich Lange dort einen solch bekannten Namen, dass ihn der Chef der Kakadu-Bar fragte, ob er nach der Sanierung im Parkhotel anfangen wolle.
"KDL" - so nannten ihn die Kollegen und Stammgäste - gehörte ab Januar zum Kakadu-Kollektiv. Fast 15 Jahre lang. Dass jener Anruf seiner Frau am 9. November 1989 der Anfang eines Endes sein würde, konnte keiner ahnen.

In größter Eile machten die Kellner die Rechnungen der Gäste fertig und gaben der Kapelle, die live spielte, Bescheid, was passiert war. Sie beendete ihren Song und gab dem Publikum die unfassbare Nachricht aus Berlin bekannt. Innerhalb kürzester Zeit leerte sich die Bar. Alle zog es hinaus, um die Morgenluft zu schnuppern.
"Wir hatten ein Telefon, weil ich bei der Bank gearbeitet habe", erklärt Gudrun Lange. Unzählige Male hatte ihr Mann nach dem Dienst bei ihr zu Hause angerufen und seinen Feierabend angekündigt. Dann fuhr Gudrun im Dacia los, um ihn von Arbeit abzuholen.
"Ich habe dann immer ans Fenster der Küche geklopft, und Klaus-Dieter gab den Kollegen am Einlass Bescheid. So schlüpfte sie an der Schar der nach Hause gehenden Gäste vorbei ins Kellergeschoss - oder sie passierte die lange Warteschlange derer, die am früheren Abend auf einen Platz in der Bar hofften. An Wochenenden selbst ihren Cocktail sicher zu haben, war schließlich das Privileg der Ehefrau des Barmeisters.
"Wir sind oft danach gefragt worden, wie wir mit unseren so unterschiedlichen Arbeitszeiten als Paar und Eltern zurechtkommen", erzählt sie. "Aber ich habe ihn so kennengelernt und wusste von Anfang an, dass die Gastronomie seine große Leidenschaft ist."
Die Freude über das Ende der DDR mündete bald in Ernüchterung. Im Juli 1991 schloss die Kakadu-Bar und wurde nur noch sporadisch genutzt. Das war auch für Klaus-Dieter Lange das Ende als Barmeister KDL.

Kurz vor der Wiedereröffnung, 15 Jahre später, gab es die Möglichkeit, die für eine halbe Million Euro renovierte Bar zu besichtigen. "Mein Mann wollte da unbedingt hin, und wir haben an einer Führung teilgenommen", erzählt Gudrun Lange. Die Sächsische Zeitung hatte, passend zum Anlass, die alten Zeiten wieder aufleben lassen - mit einem Artikel über Klaus-Dieter Lange und seinen Chef Gerd Weber.
Was am Rande geschah, ist eine Geschichte, die Gudrun Lange bis heute bewegt: "Den großen Beitrag in der SZ hat damals auch die Halbschwester meines Mannes gelesen." Dass es sie gab, war in der Familie bekannt gewesen. Doch niemand hatte Kontakt. Erst über die Zeitung kam er zustande - und somit eine späte Geschwisterliebe, die bis zum Tod beider innig und ein Geschenk war.
All diese Erinnerungen kommen Gudrun Lange nun bei ihrem Besuch in der abermals auf Wiedereröffnung wartenden Kakadu-Bar. Dieses Mal haben keine politischen Veränderungen und dringende Sanierungen für einen Neustart gesorgt. Corona lässt die Bar in Dornröschenschlaf sinken. Wie lange noch, weiß keiner.
Trotzdem feiert sie ihr Jubiläum - mit Erinnerungen aus ihrer Geschichte, an dieser Stelle und in sozialen Netzwerken. Auch der Kakadu aus Porzellan feiert mit. Seit 15 Jahren steht er nun auf der Ecke des Tresens, hinter dem früher KDL mixte und managte.
Dass seine Frau Gudrun ihn noch nicht kannte, hat seinen Grund: Er gehört nicht schon seit den 1970ern zum Inventar. Erst als mit dem Film "Der rote Kakadu" der Dresdner Bar ein Denkmal gesetzt wurde, zog er dort ein - als Talisman.
Er wird Glück und Geselligkeit zurückholen - nicht erst in 15 Jahren.

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