Dresden
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Angeklagter Opfer jahrelanger Lügen

Ein angeblicher Mordanschlag auf eine junge Frau in Strehlen entpuppt sich im Prozess am Landgericht Dresden als eine tragische Liebesgeschichte.

Von Alexander Schneider
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Nach einer mehr als dreimonatigen Beweisaufnahme wird das Urteil gegen Lawin P., hier mit seinem Verteidiger Jürgen Saupe, am Donnerstagnachmittag erwartet.
Nach einer mehr als dreimonatigen Beweisaufnahme wird das Urteil gegen Lawin P., hier mit seinem Verteidiger Jürgen Saupe, am Donnerstagnachmittag erwartet. © Foto: Alexander Schneider

Dresden. Nach der dreimonatigen Beweisaufnahme im Prozess gegen einen 22-jährigen Kurden aus dem Irak ist die Staatsanwaltschaft von ihrem Mordvorwurf abgerückt. Der folgenschwere Messerstich, den Lawin P. seiner langjährigen Freundin Huda zugefügt hatte, sei demnach weder heimtückisch erfolgt, noch im Willen, die 22-Jährige nachhaltig aus dem Leben zu befördern.

Die Staatsanwältin sagte, das Motiv für die Tat, die sich am Abend des 2. Februar 2020 im Hugo-Bürkner-Park in Strehlen zugetragen hat, liege „völlig im Dunklen“. Denkbar seien schwere Kränkungen und Provokationen des Angeklagten durch die Geschädigte. So sei er etwa von der Frau über Jahre im Unklaren gelassen worden, was aus dem gemeinsamen Kind geworden sei.

Huda hat das Baby im Herbst 2017 in einer Klinik in Plauen entbunden und offenbar auf Drängen ihrer Mutter abgegeben. Hudas Mutter behauptete, Lawin habe ihre Tochter vergewaltigt. Ob das ihre Idee oder die Folge von Hudas Lügen war – man weiß es nicht. Lawin und Huda hatten auch nach der gemeinsamen Flucht aus dem Irak 2016/2017 eine Liebesbeziehung, von der ihre Familien nichts wissen durften.

Lügen aus Angst vor der Familie

Was man nun weiß, ist, dass Huda in drei Polizeivernehmungen und zwei Tagen als Zeugin in dem Prozess am Landgericht Dresden massiv gelogen hatte – möglicherweise aus Angst, von der Familie ausgestoßen zu werden. Erst an ihrem dritten Vernehmungstag revidierte Huda ihre Aussagen – und bestätigte weitgehend die Tatversion, die Lawin inzwischen ausgesagt hatte.

Der Mann habe Huda nicht am Bahnhof überfallen und gezwungen, ihn zu begleiten, sondern er hatte das gesamte Wochenende mit Huda in Dresden verbracht und wie schon öfter heimlich in der Wohnung einer Freundin übernachtet. Huda und die Freundin müssen nun mit Ermittlungen gegen sie wegen Falschaussage rechnen.

Für Lawin P. forderte die Staatsanwältin eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten – wegen gefährlicher Körperverletzung. Huda sei durch Lawin P.s Stich lebensbedrohlich verletzt worden.

Das geht Verteidiger Jürgen Saupe noch nicht weit genug. Er teilt die rechtliche Bewertung der Anklägerin, aber nicht das geforderte Strafmaß. Saupe stellte seinen Mandanten als Opfer vieler Lügen dar – nicht nur in diesem Prozess, auch schon lange Jahre, in denen Lawin versucht hatte, etwas zu seinem Kind in Erfahrung zu bringen. Dass es noch lebt, habe P. erst an jenem Wochenende erfahren, so Saupe.

Nie erlebtes Ausmaß an Falschaussagen

Er habe ein solches Ausmaß an Lügen in einem Strafverfahren noch nicht erlebt, sagte der Verteidiger. Nach seiner Überzeugung habe Huda schon ab der ersten Polizeivernehmung in der Dresdner Uniklinik gelogen, um ihre Beziehung zu P. geheim zu halten.

Es war dem Gericht und Saupe erst in der Beweisaufnahme möglich gewesen, Widersprüche aufzudecken. Saupe forderte für den 22-Jährigen eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und begründete diese ungewöhnlich milde Strafe mit der Besonderheit dieses Falls.

Während die Staatsanwältin dem Angeklagten empfohlen hatte, künftig einen großen Bogen um Huda und ihre Familie zu machen, kann sich Saupe nicht vorstellen, dass P. das gelingen wird. Das Paar würde immer einander suchen. Lawin selbst bat in seinem letzten Wort um eine Chance. Er wisse, dass er etwas falsch gemacht habe, sagte der 22-Jährige.

Das Schwurgericht will das Urteil am Donnerstag, 15 Uhr, verkünden.

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