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Als Sarrasanis "Palast der Wunder" in Dresden öffnete

Der einstige Bau des Zirkus Sarrasani in Dresden hat Maßstäbe gesetzt. Er galt als Bau der Superlative: groß, schön und sicher. Vor 110 Jahren wurde er eröffnet.

Von Ralf Hübner
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Am 22. Dezember 1912 feierte der Zirkusbau von Giovanni Sarrasani am Carolaplatz in Dresden Eröffnung. Er war damals der modernste Zirkusbau Europas.
Am 22. Dezember 1912 feierte der Zirkusbau von Giovanni Sarrasani am Carolaplatz in Dresden Eröffnung. Er war damals der modernste Zirkusbau Europas. © Sammlung Holger Naumann

Dresden. Die Dresdner sind Zirkus-Liebhaber. Vor allem beim alljährlichen Weihnachtszirkus, der in diesem Jahr zum 25. Mal sein Chapiteau im Ostragehege aufgebaut, frönen sie ihrer Leidenschaft. Diese Liebe zum Zirkus begann vor 110 Jahren. Damals wurde am 22. Dezember 1912 am Carolaplatz mit einer Wohltätigkeitsveranstaltung die Eröffnung des Zirkusbaus von Sarrasani gefeiert, des damals modernsten Zirkusbaus Europas.

Von einer "Sensation am vierten Advent" berichteten die Dresdner Nachrichten. "Wie ein Phantom, umstrahlt von der Lichterflut aus Hunderten von Lampen, hoben sich die Konturen dieses steinernen Kolosses aus dem abendlichen Dunkel", schwärmte der Reporter. "Ja, dieser Raum! Das Herz ging einem gestern auf, wenn der Blick die mächtige Kuppel durchschweifte." Selbst vom billigsten Platz aus seien die Vorgänge in der Manege mühelos zu überblicken gewesen.

Allerdings sei das Haus nur zu drei Vierteln besetzt gewesen. Der vierte Advent sei für eine Eröffnungsfeier nun mal nicht günstig. Pünktlich 18 Uhr sei König Friedrich August III. mit seinen drei Söhnen und drei Töchtern in der Königsloge erschienen. Nach dem Absingen der Königshymne begann die Vorstellung, der "größtes Lob" gezollt werden müsse, wie der Reporter bemerkte.

Clown Giovanni Sarrasani gründete einst den Zirkus

Gerade gut zehn Jahre zuvor hatte im März 1902 der "Circus Sarrasani" als der "modernste Cirkus der Jetztzeit" in Meißen seine Weltpremiere gefeiert. Gegründet hatte ihn ein 29-Jähriger, der Clown Giovanni Sarrasani, mit bürgerlichem Namen Hans Erdmann Franz Stosch, der Sohn eines Glashüttenbesitzers aus Lomnitz/Posen. Als 15-Jähriger war er von zu Hause getürmt und hatte sich einer bayerischen Wanderschau angeschlossen. Er arbeitete sich vom Stallburschen zum Dressurclown hoch, gastierte in Russland und der Ukraine sowie auf Bühnen in Dänemark, Schweden, Spanien, Portugal, Deutschland und 1899 zum ersten Mal in Dresden – "bei Duttlers" in Strehlen.

Der ursprüngliche Zirkus Sarrasani setzte auch in der Werbung Maßstäbe.
Der ursprüngliche Zirkus Sarrasani setzte auch in der Werbung Maßstäbe. © SZ-Archiv Freital

Obwohl selbst Künstler, führte Stosch-Sarrasani den Zirkus wie ein Unternehmensmanager und wollte für ihn einen festen Sitz, wo vor allem im Winter gespielt werden konnte. Dabei war er zunächst keineswegs auf Dresden festgelegt. Erst nachdem sich Pläne in Städten wie Berlin und München zerschlagen hatten, kam die sächsische Hauptstadt zum Zuge. Am 27. Mai 1910 erwarb er für etwa 450.560 Mark den mehr als 5.600 Quadratmeter großen Baugrund von der Stadt. Im Mai 1911 starteten die Bauarbeiten. Das Projekt stammte von der Münchner Firma Heilmann & Littmann.

"Gewaltige Wasserkaskaden" stürzten in die versenkte Manege

Der aus Chemnitz stammende Münchner Architekt Max Littmann galt als Theaterspezialist. Mehr als 20 Firmen waren beteiligt. Der Bau war mehr als 35 Meter hoch, die Kuppel hatte einen Durchmesser von 46,50 Metern und eine lichte Höhe von fast 29 Metern. Die Manege konnte versenkt und mit Wasser gefüllt werden. Dresdner schwärmten vom "Palast der Wunder", von den "gewaltigen Wasserkaskaden", die, oft begleitet von Feuerwerk, aus großer Höhe in die versenkte Manege stürzten, aus der plötzlich Wassernixen auftauchten.

Es gab eine Bühne mit Orchesterwanne sowie Garderoben, Ställen, Lagerräumen, Archiv, Dienst- und Wohnräumen, auch drei Etagenbuffets, ein Speiserestaurant mit Künstlerklause, die Tunnelschänke sowie das Varieté-Theater Trocadero. Das "Circus-Theater der 5.000" galt als einer der größten, schönsten, modernsten und brandschutztechnisch sichersten Bauten seiner Art. Die genaue Kapazität des Zuschauerraumes ist nicht eindeutig geklärt. Unterlagen der Baupolizei gehen von 3.860 Plätzen aus. Möglicherweise war die Zahl 5.000 ein Wunsch des Zirkusdirektors.

Während der Novemberrevolution 1918 verkündete im Zirkus USPD-Führer Hermann Fleißner das Ende der Monarchie. Als während des Zweiten Weltkrieges alle Theater schließen mussten, durfte Sarrasani dennoch spielen. Auch am Abend des 13. Februar 1945, einem Faschingsdienstag, lief eine Vorstellung. Gegen 21.45 Uhr unterbrach Clown August das Programm wegen Luftalarms. Zögernd erhoben sich die Menschen und verließen das Haus.

Noch während sie auf dem Heimweg waren, fielen die ersten Bomben. Der Zirkus wurde schwer getroffen und brannte aus. Die Kuppel stürzte in die Manege. Als nach dem Krieg noch intakte Stahlträger für den Wiederaufbau des Schauspielhauses abmontiert wurden, war das Ende absehbar. Jetzt stehen dort Wohnhäuser.