Wie der größte Stollen der Welt einem Jungen im Rollstuhl helfen soll
Dresden. Es ist Samstagmittag, als Rekordrichter Olaf Kuchenbecker auf dem Theaterplatz verkündet: "Der Titel ist dort, wo er hingehört. Dresden hat den größten Stollen der Welt." Mit einer Länge von 1.020 Metern und einem Gewicht von 6,5 Tonnen nimmt das Gebäck fast den gesamten Theaterplatz ein.
Der Rekordversuch war vom Rekordteam e. V. gestartet worden. Die ehrenamtliche Organisation veranstaltet jedes Jahr Rekordversuche, um mit den Einnahmen Kindern zu helfen. Das Gebäck stellte die Großbäckerei Emil Reimann zur Verfügung. Der längste Stollen der Welt besteht aus 8.000 Stücken, die jeweils 12,5 Zentimeter lang sind. Diese werden auf dem Theaterplatz verkauft, ein Stück kostet 13 Euro.
"Der Titel gehört in die Stollen-Hauptstadt Dresden!"
"Im Januar dieses Jahres kam das Rekordteam auf uns zu und hat gefragt, ob wir uns vorstellen können, den größten Stollen der Welt herzustellen. Wir waren sofort dabei", sagt Peter Rothmann, Geschäftsführer von der Bäckerei Emil Reimann. Insgesamt hat der komplette Betrieb eine Woche gebraucht, um die 8.000 Stück zu backen.
"Die Material- und Energiepreise sind natürlich viel teurer geworden, als wir am Anfang dachten. Aber wir sind nicht abgesprungen, sondern drangeblieben. Es geht hier um ein Kind, das wir unterstützen wollen". Ein Teil der Kosten wird über den Stollenverkauf gedeckt, etwa 20 Prozent sollen so aufgefangen werden. "Wir fahren dafür unser Marketing an anderer Stelle zurück", so der Geschäftsführer. "Aber es war uns wichtig, diese Aktion zu ermöglichen."
Bisheriger Rekordhalter war eine Bäckerei aus Detmold, die 1995 einen 624 Meter langen Stollen gebacken hatte. Abgenommen hat den Rekordversuch Olaf Kuchenbecker vom Rekord-Institut Deutschland.
Der 55-Jährige erklärt, worauf es ankommt: "Es war wichtig, dass es nicht 8.000 Stück waren, die aneinandergelegt wurden. Es musste ein Stollen entstehen." Dazu verklebten etwa 30 ehrenamtliche Helfer die einzelnen Stücke mit geschmolzener Butter und überschütteten sie mit extra Puderzucker. Vier Reihen mit jeweils 250 Metern wurden ausgelegt, sodass die Gesamtlänge von über einem Kilometer entstand.
Olaf Kuchenbecker überprüft alles ganz genau, bevor er dem Rekordteam die Urkunde überreicht. Die Umstehenden jubeln laut, als der Vorsitzende des Rekordteams die Urkunde in Empfang nimmt. Etwas abseits steht die Familie von Louis. Seine Mutter kämpft mit den Tränen.
"Das alles für meinen Louis?"
Louis ist sieben Jahre alt und leidet an dem MED-13-L-Syndrom, einem seltenen Gendefekt. Er sitzt im Rollstuhl, hat kein Sprachverständnis und benötigt den ganzen Tag eine Betreuung. Er hat Pflegegrad fünf. Viel Arbeit für seine alleinerziehende Mutter Katja Schuchardt-Beil und seine drei Geschwister.
Schuchardt-Beil stellte 2018 beim Sozialamt einen Antrag auf Eingliederungshilfe. Er wurde abgelehnt. Nun soll über die Spendenaktion genug Geld gesammelt werden, um der Familie einen behindertengerechten Transporter zu kaufen.
"Dann kann ich den Kofferraum aufmachen und den Rollstuhl einfach hineinschieben", sagt seine Mutter. "Bisher muss ich Louis heben. Dabei darf ich aus gesundheitlichen Gründen eigentlich nur fünf Kilogramm heben. Aber was soll ich denn machen als alleinerziehende Mutter?"
Am Samstagabend glückt am Elbufer noch ein weiterer Rekordversuch. Die größte pyrotechnische Einzelbatterie der Welt wird gezündet. Hergestellt wurde die Batterie mit über 2.200 Schuss von Blackboxx, einem Hersteller aus Sachsen. Auch dieser Rekordversuch wurde vom Rekordteam organisiert.
Organisator Bernd Lehmann: "Wir brechen Rekorde, um Kindern zu helfen." Unter diesem Motto führt das ehrenamtliche Team jährlich aufs Neue einen Welt-Rekordversuch durch. Ziel ist es, einer Familie mit einem schwerstkranken Kind zu helfen. 2021 konnte das Team aus 14.901 brennenden Fackeln das größte Fackelbild der Welt präsentieren.
In einer ruhigen Minute schaut sich Katja Schuchardt-Beil auf dem Theaterplatz um. "Das alles für meinen Louis?" Dresden hat jetzt den größten Stollen der Welt, aber Louis' Familie hofft vor allem, dass sie demnächst endlich einen behindertengerechten Transporter bekommt.