"Ab Juni wollen wir auf die Straße gehen"

Dresden. Zwei Männer auf dem Trümmerberg in Friedrichstadt. Der eine in Hemd und Anzug, der andere im Kapuzenpullover. Wahrscheinlich hätten sich die Wege von Christoph Röllig und Moritz Piepel unter anderem Umständen nie gekreuzt. Aber welchen besseren Anlass hätte es dafür geben können als die Rettung der Menschheit?
Die beiden sind die Gründer von DresdenZero, einer Initiative, die nur ein einziges Ziel verfolgt: Über ein Bürgerbegehren sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, Dresden bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu machen.
Hintergrund ist das Pariser Klimaabkommen. Darin hat sich Deutschland als Teil der internationalen Gemeinschaft dazu verpflichtet, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Nach aktuellem Forschungsstand ist das jedoch nur möglich, wenn die Bundesrepublik bis spätestens 2035 klimaneutral wird - und nicht wie bislang anvisiert erst 15 Jahre später. Deswegen soll in Dresden ein Stadtratsbeschluss her.
Zwei auf Augenhöhe
Moritz Piepel stammt aus Münster und zog vor zwei Jahren für sein Physik-Studium nach Dresden. Über die Gruppe "Scientist for Future" kam der 22-Jährige Ende vergangenen Jahres mit Prof. Dr. med. Christoph Röllig ins Gespräch. Der 49-Jährige ist Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie und Bereichsleiter Klinische Studien am Universitätsklinikum.
In dem Moment, als sie sich bei ihrem ersten Telefonat auf die Gründung von "Dresden Zero" verständigten, waren sie einfach nur noch Moritz und Christoph, zwei Umwelt-Enthusiasten auf Augenhöhe, auch wenn Moritz einen halben Kopf größer ist.
Bereits etwas länger gibt es das bundesweite Pendant GermanZero, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein konkretes 1,5-Grad-Gesetzespaket zu entwickeln. DresdenZero ist zwar keine offizielle Tochter, greift das Ziel jedoch auf und versucht, auf kommunaler Ebene rechtzeitig die Hebel umzulegen.
"Wir haben Großes vor"
Bereits nach wenigen Wochen ist aus der Idee DresdenZero eine durchorganisierte Maschine geworden, an der sechs Arbeitsgemeinschaften mitwirken, darunter Vernetzung, Finanzen, Recht und Öffentlichkeitsarbeit. Zum Kernteam gehören etwa zehn Leute. Rund 50 engagieren sich bereits für das Projekt, von denen etwa die Hälfte in Dresden verwurzelt ist und die andere Hälfte aus der Studentenschaft kommt.
"Wir haben Großen vor, da muss man das vernünftig angehen", sagt Moritz und lächelt. Als Konkurrenz zu den anderen in Dresden aktiven Klimainitiativen betrachten sie sich nicht. Ganz im Gegenteil, könne man sich unterstützen und mit der Zeit ein Netzwerk aufbauen.
Vorbilder sind Städte wie Mainz und Münster, in denen ähnliche Initiativen schon deutlich weiter gekommen sind. Insgesamt 35 Zero-Team gibt es derzeit in Deutschland. Dresden ist das erste in Sachsen.
Erfolgreich kann DresdenZero am Ende nur sein, wenn man sich selbst überflüssig macht. Als zeitlich begrenzte Initiative ist keine Vereinsgründung geplant. "Sollten wir unser Ziel auch ohne Bürgerentscheid erreichen, wären wir auch happy", sagt Moritz. Darauf vertrauen wollen sie aber nicht.
30.000 Unterschriften nötig
Durch die Corona-Einschränkungen sind die Umwelt-Kämpfer mit ihrem Zeitplan in Verzug geraten. Statt wie ursprünglich geplant bereits im März mit der Sammlung der Unterschriften zu beginnen, wollen sie nun ab Mitte Juni auf die Straße gehen. Idealerweise sollen dann im Herbst, rechtzeitig zur Bundestagswahl, die nötigen 30.000 Stimmen für ein Bürgerbegehren vorliegen.
"Das ist eine Menge", sagt Moritz. Zwar sind sie sich sicher, dass eine Mehrheit der Dresdner hinter der Idee stehe. Dennoch müsse noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden.
"Der individuelle Beitrag zum Klimaschutz ist wichtig, aber politische Mittel sind oft wirksamer", sagt Christoph Röllig. Als Einzelner könne man momentan gar nicht klimaneutral leben. "Auch ohne große Entbehrungen ist wirksamer Klimaschutz möglich. Dafür muss niemand auf seinen Urlaub verzichten oder kein Fleisch mehr essen."
"Fenster noch einen Spalt offen"
Wenn die Stadt beim Ausstieg aus dem Kohlestrom vorankomme, den öffentlichen Nahverkehr stärke und endlich die Radfahrer vom Kopfsteinpflaster erlöse, könne das Ziel erreicht werden, betont Moritz, der selbst leidenschaftlicher Radfahrer ist.
Konkrete Forderungen zum Umweltschuss sucht man bei der Initiative vergeblich. "Wir sind selbst keine Klimaexperten und wollen nur den Zeithorizont vorgeben, für den andere die nötigen Maßnahmen einleiten", sagt Christoph Röllig.
Es reiche nicht mehr, sich öffentlich mit Worten für den Klimaschutz einzusetzen, "Wir müssen jetzt ein bisschen auf die Tube drücken und einen verbindlichen Beschluss erreichen", so der Mediziner. "Jetzt ist das Fester noch einen Spalt offen, später nicht mehr."
Wer die Gruppe DresdenZero unterstützen möchte, meldet sich am besten unter [email protected]. Alle Informationen zur Initiative gibt es unter www.dresden.zero.de.