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Denunzianten-Werbung? Dresden streitet über Plakate

In dieser Woche meistgelesen: Trotz einiger Empörung verteidigt die Stadt Dresden eine Kampagne, mit der dazu aufgerufen wurde, Ruhestörer zu melden.

Von Sandro Pohl-Rahrisch
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Mit der Aufforderung, Ruhestörer zu melden, hat die Dresdner Stadtverwaltung den Zorn mancher Bürger auf sich gezogen.
Mit der Aufforderung, Ruhestörer zu melden, hat die Dresdner Stadtverwaltung den Zorn mancher Bürger auf sich gezogen. © Stadtverwaltung Dresden

Dresden. Die Nachbarn hören zu laut Musik? Vor der Einfahrt parkt ein Auto? Oder bleibt Struppis Geschäft wieder einmal auf der Wiese liegen? Nicht darüber ärgern, sondern verpfeifen. So könnte man die Botschaft verstehen, die von der Dresdner Stadtverwaltung in den vergangenen Wochen verbreitet wurde. "Lärm? 488633. Ordnungsamt" war bis zum Dienstag auf Hunderten Plakaten an Straßenrändern, Haltestellen und in Fußgängerzonen zu lesen. Eine unverhohlene Aufforderung zum Anschwärzen, finden viele Menschen und fühlen sich mehr als 30 Jahre in der Zeit zurückversetzt.

Die Dresdner werden zum Denunzieren aufgefordert, schimpft SZ-Leser Bernd Liebschner. "Kann das wahr sein? Und das im Osten? In einer Stadt, die 1989 nun wirklich gegen diese Art der Einschüchterung voran gegangen ist?" Kommentare wie diesen sind zu Hunderten auf Facebook und Twitter zu finden, unter anderem vom Estancia-Steakhouse-Wirt Steffen Zuber.

"Ich bin fassungslos", schreibt er. "Mit Steuergeldern finanziert, ruft der Bürgermeister dazu auf, 'Denunziere Deinen Nachbarn'. In einem Land, wo die Stasi 30 Jahre Menschen verfolgt, enteignet und misshandelt hat. Wie tief kann die Würde des Menschen noch sinken."

"Die Initiative schießt deutlich über das Vertretbare hinaus"

Protest kommt auch aus der Stadtpolitik. "Mitten im Lockdown, mitten in der großen Stille, mitten in der Ausgangssperre und mitten in einer Zeit, in der das gesellschaftliche und kulturelle Lebens völlig darniederliegt, startet die Stadt eine Kampagne gegen Lärmbelästigung", sagt Holger Zastrow, der FDP-Fraktionschef im Dresdner Stadtrat.

Unsensibler und unpassender könne man gar nicht agieren. "Dieses offene Anstiften zum Denunzieren sorgt nicht für einen besseren Zusammenhalt in der Stadtgesellschaft, sondern befördert Misstrauen und Missgunst. Es erinnere entsetzlich an die Blockwartmentalität vergangener Zeiten."

Trotz aller Kritik, die Stadt hat die Plakate nicht vorzeitig abgenommen und steht hinter der Aktion. Die Motive hingen wie geplant vom 26. Januar bis zum 9. Februar. Die Kosten für die insgesamt 260 Plakate beliefen sich laut Stadtverwaltung auf rund 2.100 Euro.

Über einen vorzeitigen Abbruch der Kampagne habe man zu keiner Zeit nachgedacht, heißt es aus dem Rathaus. Obwohl es sogar eine Petition gab, die dies forderte. Bis zum Mittwoch hatten sie rund 2.400 Menschen unterzeichnet.

Stadtverwaltung setzt klärendes Gespräch voraus

Der Gemeindliche Vollzugsdienst des Ordnungsamtes sei für die Kontrolle und Durchsetzung der Regeln des Zusammenlebens verantwortlich, skizziert Stadtsprecherin Anke Hoffmann die Aufgaben der Behörde. Das schließe die Polizeiverordnung ein, in der zum Beispiel geregelt ist, wann Ruhe zu halten ist, und wann es auch mal lauter sein darf.

"Verstöße gegen diese Regelungen können nicht nur zu Ärgernissen, sondern auch zu gefährlichen Situationen führen", so Hoffmann. "Beispielhaft sei hier ein freilaufender Hund auf einem Spielplatz oder eine Kreuzung genannt, die durch Falschparker derart blockiert wird, dass Schulkinder sie nicht mehr gefahrlos passieren können."

Würden solche Verstöße festgestellt, sollte natürlich zuerst ein klärendes Gespräch mit dem Verursacher gesucht werden. "Diese Herangehensweise wird von den meisten Bürgern so gehandhabt und wurde bei der Kampagne als Grundannahme vorausgesetzt."

Wo ein solches Gespräch aber nicht möglich sei, könnten sich die Bürger an die Führungs- und Einsatzzentrale des Ordnungsamtes wenden. Dies könne zum Beispiel ein Falschparker sein, der auffindbar ist. Möglicherweise sei aber auch die Angst zu groß, den Verursacher anzusprechen. "Zum Beispiel im Fall einer gebrechlichen älteren Dame, die sich nicht traut, das Gespräch mit der Gruppe betrunkener Jugendlicher zu suchen, die vor ihrem Fenster Lärm macht."

Rufnummer mit Protest-Stickern überklebt

Da vielen Dresdnern die seit mehr als 20 Jahren existierende Nummer nicht geläufig sei, sie ihnen aber in unangenehmen Situationen sehr helfen könne, habe sich die Stadtverwaltung entschieden, diese nochmals bekanntzumachen. Damit wolle man außerdem eine Entlastung der Notrufnummer 110 erreichen. "Denn viele Hinweise gehen zunächst bei der Polizei ein und werden von dieser anschließend an den Gemeindlichen Vollzugsdienst weitergegeben", so Hoffmann weiter.

Gegen die Plakataktion gab es nicht nur verbalen Protest. Einige Plakate sind - wie hier am Terrassenufer - zum Teil überklebt worden.
Gegen die Plakataktion gab es nicht nur verbalen Protest. Einige Plakate sind - wie hier am Terrassenufer - zum Teil überklebt worden. © xcitepress

Weil es besonders häufig Hinweise über unzumutbaren Lärm gebe, sei Lärm auch plakativ für die Kampagne aufgenommen worden, so die Sprecherin. Wie viele solcher Beschwerden es 2019 und 2020 genau gab? Eine entsprechende Statistik werde nicht geführt, heißt es.

Obwohl die Plakate inzwischen überall in Dresden abgenommen sein dürften: Unwidersprochen sind sie nicht geblieben. Viele sind dort, wo die Behörden-Rufnummer steht, mit Stickern überklebt worden, auf denen "Stasi 2.0" oder "Ich regel das selbst mit dem Nachbarn" zu lesen war.

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